Finis Europae – Wie das Recht die Politik entmachtet

Finis Europae – Ein Urteil wie ein Spiegel – doch was zeigt das Glas?

Luxemburg, der letzte Hort rechtlich kodifizierter Weltrettung, hat gesprochen. Mit silberner Zunge, geschliffener Feder und dem gleißenden Pathos römischen Rechts, allerdings in Brüsseler Ausführung. Der Europäische Gerichtshof (EuGH), jener feine Salon des moralischen Universalismus in Talar und Robe, hat den Staaten Europas eine kleine, juristisch elaborierte Bombe ins politische Zentrum gelegt: Listen sogenannter „sicherer Herkunftsländer“ – also jener naiven Versuch europäischer Regierungen, dem Asylrecht eine Art Eingangskontrolle zu verpassen – sind nur dann zulässig, wenn sämtliche Bewohner des betreffenden Landes nachweislich und quellensicher sicher sind. Samt Hühnern, Ziegen, Schwiegermüttern und Bloggern.

Ein juristisches Meisterstück in der Kunst der impliziten Sabotage: formalistisch korrekt, in der Substanz final. Man höre und staune: Die Einstufung eines Landes als „sicher“ ist nunmehr so aufwendig, so voraussetzungsvoll, so politisch und faktisch unmöglich geworden, dass man sie schlicht unterlassen kann – oder, wie es der moderne Jurist nennt: de facto unmöglich, was in etwa der richterlichen Version des altbekannten „Sie können es ja mal versuchen, aber…“ entspricht.

Richterrecht als Weltverbesserung – made in EU

Man kann sich den Vortrag im Plenarsaal des Gerichts lebhaft vorstellen: Eine glänzende PowerPoint-Präsentation, Kapitelüberschrift: “Sicherheit ist nicht teilbar.“ Gefolgt von einem Zitat Hannah Arendts, vielleicht ein wenig Jürgen Habermas, dann die Fußnoten, viele Fußnoten – und voilà: kein Staat der Erde, außer Liechtenstein, wird je wieder ein sicherer Herkunftsstaat sein. Selbst die Schweiz müsste sich warm anziehen: man denke nur an die notorische Diskriminierung von Steuerflüchtlingen.

So wird Recht zur Philosophie und Philosophie zur Politik – und Politik? Die ist dann halt einfach überstimmt worden. Vom Gericht. Vom Geist Europas. Vom besseren Menschen. Vom ethischen Jurisdiktionsimperium.

Das französische Asylgericht – avantgardistisch wie die Revolution

Als hätten sie sich abgesprochen, synchronisieren sich Europas Gerichtshöfe auf verblüffende Weise. Während der EuGH mit bürgerlich-kühler Abstraktion ganze Staatslisten ausradiert, bekennt sich das Cour nationale du droit d’asile (CNDA) in Frankreich zur Maximalvariante humanitärer Fortschrittsjurisprudenz: Palästinenser aus dem Gazastreifen gelten – pauschal – als asylberechtigt.

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Nicht „könnten“, nicht „unter Umständen“, sondern „sind“. Weil, und jetzt kommt’s, die israelischen Kriegsmaßnahmen „die gesamte Zivilbevölkerung direkt und willkürlich treffen“. Eine bemerkenswerte Wendung – nicht juristisch, sondern polit-theologisch. Denn damit genügt das Palästinensischsein selbst als Beweis der Verfolgung. Das ethnische Sein ist das politische Argument. Der Flüchtlingsstatus wird so zu einer Frage der Nationalität. Oder genauer: der Zuschreibung einer strukturellen Unschuld.

Ein Passierschein aus Fleisch und Blut.

Asylrecht als Einwanderungsrecht – das große Missverständnis

Wer jetzt noch glaubt, Asyl sei ein Schutzrecht für individuell politisch Verfolgte, für jene, die von Geheimdiensten gejagt, gefoltert oder mundtot gemacht werden, lebt in der Vergangenheit. Asyl ist heute: geopolitisch-ethische Kompensation. Wer aus einem Land kommt, in dem Bomben fallen, Menschenrechte als Lifestyle-Option gelten oder das Internet zensiert wird, ist im Zweifel schutzwürdig – unabhängig von persönlicher Biografie oder Handlung.

Die Grenze zwischen Verfolgung und Betroffenheit? Sie existiert nicht mehr. Die Parole lautet: „Wenn du Pech hattest, bekommst du Schutz.“ Eine Art Soziallotterie im völkerrechtlichen Gewand. Die Genfer Flüchtlingskonvention wird zur Bühne für ein moralisches Weltbürgertum ohne Vetorecht der Realpolitik.

Migrationsrecht als Ersatzreligion

Kritiker – also jene hässlichen, ewigen Spielverderber – sprechen von Kontrollverlust, Sogwirkung und Systemversagen. Aber sie verstehen das neue Evangelium nicht. Die Gerichte sprechen keine Urteile mehr im Namen des Volkes, sondern im Namen der Menschheit. Die Justiz als Heilsbringer, die Migration als Sakrament.

Das Abendland, einst durchzogen von Recht, Grenze, Souveränität, glaubt heute an das Recht auf Mobilität. Grenzen sind Gewalt, Staatsgrenzen gar Kolonialrelikte, Identitäten Konstrukte und „Abschiebung“ der neue Faschismus. Was bleibt, ist die unbegrenzte Aufnahmepflicht – richterlich sanktioniert, moralisch beglaubigt, faktisch alternativlos.

Europa – das postnationale Experiment in Auflösung

Man stelle sich die Szene im Ministerrat vor: Innenminister mit Sorgenfalten, Parteivorsitzende mit sinkenden Umfragewerten, Sicherheitsdienste mit Alarmberichten – und dann: das Urteil aus Luxemburg. Man sieht förmlich, wie die nationalen Entscheidungsstrukturen implodieren. Ein Urteil, härter als jede Wahl. Denn was nützt das Gesetz, wenn das Gericht entscheidet, dass es nichts mehr gilt?

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Europa ist nun also endgültig: nicht abschiebbar. Nicht in sichere Länder, nicht in gefährliche, nicht in die Herkunft, nicht in die Zukunft. Und nicht in die Wirklichkeit. Die Idee der kontrollierten Einwanderung, jenes idealistische „Ja, aber…“ der liberalen Mitte, wurde juristisch ausgehebelt. Wer kommt, bleibt. Wer bleibt, klagt. Wer klagt, gewinnt.

Die Pointe: Menschenrechte als Einbahnstraße

Dass das alles nicht böse gemeint ist, macht es nur noch tragischer. Es ist der Versuch, das Gute mit Gewalt durchzusetzen – aber eben nicht mit brutaler, sondern mit juristischer Gewalt. Paragrafen statt Panzer. Richter statt Räumkommandos. Der Rechtsstaat als Reparaturbetrieb der Weltpolitik. Doch wie jeder weiß, der einmal in einem echten Reparaturbetrieb war: Irgendwann ist auch das beste Gerät einfach irreparabel.

Willkommen in Europa, dem einzigen Kontinent, der sich selbst abschafft – im Namen des Rechts.

Ende gut, Europa aus.

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