Kein Urlaub für Juden

Das Mittelmeer, warm wie das Blut der Geschichte

Man stelle sich folgendes Bild vor: Eine Kreuzfahrt. Blaues Wasser. Eine Insel mit weißen Häusern, zuvorkommenden Kellnern, griechischer Salat, gebackene Sardinen, Ouzo im Sonnenuntergang. Die „Crown Iris“ gleitet ins Hafenbecken von Rhodos, schwer beladen mit 650 israelischen Touristen – Rentner, Familien, neugierige Bildungsbürger mit Sonnenhut und Kreditkarte. Kein Bedrohungsszenario, keine Waffen, keine Netanjahu-Porträts, keine Panzer auf Deck. Nur Menschen, die Urlaub machen wollen.

Doch statt Bouzouki-Musik empfängt sie ein Chor des Hasses: „Mörder! Zionisten raus!“ Die Fackel der Zivilisation, die Europa so gerne in Richtung Levante trug, brennt wieder – diesmal als Mahnfeuer an der Mole. Und man muss fragen: Ist das die neue europäische Gastfreundschaft? Oder einfach nur die alte, recycelte?

Die neue Blockade: Ferienlager verboten

„Sie dürfen demonstrieren, aber nicht blockieren“, sagt der Bürgerschutzminister, der offenbar eine Schulung in semantischer Gymnastik genossen hat. Wie beruhigend. Es klingt nach einem Versuch, den Anschein von Demokratie zu wahren, während die Wogen des Hasses längst über die Kaimauer schwappen. Doch was hier passiert, ist nicht Protest. Es ist Eskalation mit Flip-Flops.

Wenn eine Kreuzfahrt zum politischen Kriegsakt wird, dann hat nicht nur der Tourismus ein Problem. Dann ist nicht Israel das Problem. Dann sind wir es. Die, die sich einreden, der Antizionismus sei der letzte erlaubte Antisemitismus – mit moralischem Öko-Siegel und veganem Etikett. Es ist bequemer, eine Gruppe von Kreuzfahrtgästen für den Gazakrieg haftbar zu machen als etwa die eigene europäische Rüstungsindustrie, die gut an ihm verdient. Protest ist gut, selektiver Protest ist gefährlich. Und was hier demonstriert wird, ist nicht Haltung, sondern Haltungsschaden.

Vom heiligen Zorn zur säkularen Doppelmoral

Es ist en vogue, Israel zu hassen – pardon, zu „kritisieren“. Und selbstverständlich muss eine demokratische Gesellschaft jede Regierung kritisieren dürfen. Auch – und gerade – eine israelische. Doch wer von einer jüdischen Reisegruppe auf einem Schiff verlangt, dass sie sich für Netanjahus Kabinett entschuldige, tut genau das, was Antisemiten seit Jahrhunderten getan haben: Er kollektiviert. Er überträgt Schuld. Er verwechselt Identität mit Politik. Und das mit feierlicher Hybris, als wäre es eine Tugend.

TIP:  Das schaurige Ritual

Wenn 50 Demonstrierende einen Hafen blockieren, weil ein israelisches Schiff kommt, dann ist das kein Friedensdienst – es ist eine Farce. Wo bleibt der Protest gegen syrische, russische oder saudische Touristen? Wo der Boykott gegen amerikanische Kreuzfahrten, deren Heimatland bekanntlich Kriege im Irak und Afghanistan führte? Man stelle sich vor, man würde einem Amerikaner den Strandzugang verweigern, weil George W. Bush existierte. Absurde Vorstellung, nicht wahr?

Europäische Rückfälle – diesmal mit Instagram-Filter

Es ist ein Rückfall in alte Muster, maskiert durch die pathetische Pose moralischer Überlegenheit. „Nie wieder!“ ruft man bei Gedenkveranstaltungen, während man im Alltag längst wieder gelernt hat, zwischen „guten Juden“ und „Zionisten“ zu unterscheiden – als sei das eine moralisch relevante Unterscheidung. Juden dürfen existieren, solange sie sich nicht verteidigen. Juden dürfen reisen, solange sie unsichtbar bleiben. Juden dürfen überleben, solange sie nicht widersprechen. Das ist die neue Toleranz: konditioniert und kontingent.

Und währenddessen? Währenddessen marschiert das Instagram-geölte Empörungskarussell weiter, mit Hashtags statt Argumenten, mit Parolen statt Perspektiven. Der jüdische Tourist wird zur Projektionsfläche – nicht seiner Taten, sondern der europäischen Geschichte, die sich nicht eingestehen will, dass sie nie wirklich abgeschlossen war. Antisemitismus ist nicht tot – er hat nur gelernt, sich in Menschenrechtsrhetorik zu kleiden.

Der Mensch als Mahnmal – und sonst nichts

650 Menschen wollten Rhodos sehen. Stattdessen wurden sie gesehen – und zwar nicht als Individuen, sondern als Stellvertreter eines Staates, den viele von denen, die am lautesten „Solidarität mit Palästina“ schreien, niemals bereist, geschweige denn verstanden haben. Und es ist ja auch viel einfacher, über Israel zu urteilen, als über den eigenen kulturellen Bodensatz. Wo der Antisemitismus nicht verschwunden, sondern nur recycelt ist – als moralisch lackierter Kitsch.

Vielleicht ist das die ultimative Ironie: Dass Juden heute wieder eskortiert werden müssen, um ungehindert europäischen Boden zu betreten – diesmal von der Polizei und nicht von der SS. Dass ein Schiff mit israelischer Flagge behandelt wird wie ein Piratenkutter. Und dass man glaubt, darin Fortschritt zu sehen.

TIP:  Ein Land am Rande des moralischen Abgrunds

Die letzte Pointe: „Wir haben nichts gegen Juden – nur gegen die jüdischen“

Die Krönung aller Debatten ist stets der Nachsatz: „Ich bin kein Antisemit, aber…“ Wer so anfängt, hat meist schon alles gesagt. Der neue Antisemit ist gebildet, progressiv und überzeugt davon, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Er zitiert Judith Butler und Hannah Arendt, verachtet aber deren Erkenntnisse. Er besucht Gedenkstätten, aber boykottiert israelische Produkte. Er hat nichts gegen Juden – nur gegen die jüdischen.

Und so bleibt als bitteres Fazit: Kein Urlaub für Juden. Nicht in Rhodos, nicht auf Syros. Vielleicht bald nicht mehr in Europa. Die Geschichte wiederholt sich nicht – sie reimt sich, sagt man. Doch dieser Reim klingt wie ein böses Echo. Und vielleicht wird man in einem zukünftigen Museum fragen: Warum haben sie damals die Touristen nicht einfach an Land gelassen?

Die Antwort wird sein: Weil es keine Touristen waren. Sondern Juden. Und das hat, so scheint es, in Europa wieder einen Unterschied gemacht.


Letzter Gedanke
Ein Kreuzfahrtschiff ist keine militärische Mission. Aber wer jüdisches Leben kollektiv unter Generalverdacht stellt, macht aus einem Landausflug eine Konfrontation – und aus sich selbst einen Statisten im alten Drama, das wir eigentlich nie wieder aufführen wollten.

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