Die Drusen in Syrien

oder: Wie man eine Minderheit gleich dreimal verrät und trotzdem mit dem Friedensnobelpreis liebäugelt

Die Tragik des Unsichtbaren: Eine Minderheit als Projektschauplatz für imperiale Eitelkeiten

Die Welt hat ein faszinierendes Talent: Sie entdeckt das Leiden von Minderheiten exakt in dem Moment, wenn es medial verwertbar wird. Und so geschah es auch den Drusen, dieser komplexen, hermetischen, misstrauisch betrachteten Religionsgemeinschaft, deren bloße Existenz ein intellektueller Faustschlag ins Gesicht jeder westlichen Schubladendenke ist. Jahrhunderte im Schatten religiöser Großmächte, beschützt von nichts als der Geografie, der eigenen Verschlossenheit – und einem schicksalsergebenen Galgenhumor. Und jetzt? Plötzlich Talkshow-tauglich, CNN-ready, mit „Breaking News“-Balken versehen: „Drusen unter Beschuss“. Nun denn, Bühne frei für ein weiteres Kapitel des Levante-Schwankes, diesmal unter Regie von Waffenbrüdern, Warlords, Wokeness und westlicher Wohlstandslangeweile.

Der Prophet aus dem Staub: Mystik, Monotheismus und militärischer Machtverzicht

Die Drusen glauben an das „Tawhid“, die Einheit. Das klingt nach esoterischem New-Age-Bullshit, ist aber in Wahrheit ein hochkomplexes philosophisches System, das mit stumpfem Theismus ungefähr so viel zu tun hat wie ein Turing-Test mit einem WhatsApp-Gruppenchat. Die Religion: nicht missionarisch, nicht dogmatisch, aber dafür radikal selektiv – Eintritt verboten seit dem Jahr 1043. Wer drin ist, bleibt drin; wer draußen bleibt, versteht sowieso nichts. Man könnte sagen, die Drusen sind die Schweiz des Nahen Ostens, nur ohne Banken, Käse oder PR-Agenturen.

Ihnen liegt wenig an irdischer Macht. Man hätte sie glatt für glückliche Anarchisten halten können, wären da nicht alle paar Jahrzehnte wieder diese hysterischen Staaten, Kalifate, Imperien, Milizen – die sich einbilden, ausgerechnet diese pazifistische Bergbevölkerung sei ein existenzielles Sicherheitsrisiko. Kurz: Die Drusen wollten nie mitspielen. Und das ist im Nahen Osten ein Todesurteil mit Ankündigung.

Revolution frisst Minderheiten: Wie man in Syrien zuerst Assad, dann das Chaos und zuletzt die Drusen bekam

Es war einmal eine Revolution. Die begann mit Hoffnung, färbte sich dann rot, wurde bald schwarz, und endete in einem Mosaik aus Massakern, Mangelwirtschaft und Megalomanie. Die Drusen? Sie standen am Rand. Wieder einmal. Einige schlossen sich der Opposition an, manche dem Regime – die meisten wollten einfach, dass man sie verdammt nochmal in Ruhe lässt.

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Aber Ruhe gibt es nicht im syrischen Gesellschaftsvertrag, der in Blut, nicht in Tinte geschrieben ist. Wer sich heraushält, macht sich verdächtig. Wer sich verteidigt, wird beschuldigt. Wer schweigt, wird zermalmt. Und so wurden die Drusen in Suweida, die nie ein Kalifat bauen wollten, plötzlich zur Zielscheibe einer postrevolutionären Reinigungswut, die keine Gegner, sondern Sündenböcke braucht.

Denn wo neue Herren herrschen, braucht es Opfer. Und was eignet sich besser als eine spirituelle Elite, die sich für göttliche Inkarnationen interessiert, aber nicht für Ministerposten?

Al-Sharaa: Der Posterboy des Übergangs oder der neue Despot mit Instagram-Filter?

Die internationale Gemeinschaft liebt Übergangsfiguren. Sie riechen nach Hoffnung, nach neoliberaler Planbarkeit, nach drittmittelfinanzierter Stabilität. Und so wurde auch Ahmed al-Sharaa zur neuen Lichtgestalt. Ehemals Milizenführer mit mystischem Kriegsnamen („Al-Jolani“, wie poetisch), heute Präsidentenattrappe mit westlichem Segen. Er verspricht Frieden, Freiheit, Fortschritt – und liefert Massaker, Märtyrer und medienwirksame Mahnungen zur Besonnenheit.

Die Drusen jedenfalls haben in diesem Spiel keine guten Karten. Sie sind zu wenig, zu religiös, zu komplex. Und in einer Welt, die Komplexität nur noch als Feind kennt, ist das tödlich. Al-Sharaa verspricht Schutz – mit denselben Lippen, die gestern noch den Alawiten die Entwaffnung befahlen, bevor ganze Dörfer ausgelöscht wurden. Wer will da noch an gute Absichten glauben? Die Drusen jedenfalls nicht. Die kennen das Spiel. Sie haben es 1.000 Jahre lang überlebt.

Israel, das Damoklesschwert: Zwischen Schutzmacht und Sündenbock

Wenn Israel militärisch eingreift, spaltet das die arabische Welt – und die drusische gleich mit. Einige sagen: „Endlich!“ Andere: „Vorsicht!“ Wieder andere: „Zu spät.“ Das Schöne an den Drusen ist, dass sie in Fragen des Überlebens Realpolitiker ohne Illusionen sind. Sie wissen, dass moralische Klarheit oft nur der Deckmantel für geostrategische Interessen ist – und dass man manchmal mit dem Teufel tanzen muss, wenn der wenigstens verspricht, nicht gleich alle zu verbrennen.

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Dass 99 % der Drusen in Israel hinter den Angriffen stehen, ist eine steile These – aber eine verständliche. Wenn man jahrzehntelang marginalisiert, verleumdet und nun massakriert wird, wird selbst der Teufel im F-16-Jet zum potenziellen Retter. Die Tragödie? Dass der Himmel über Syrien so viele Bomben gesehen hat, dass selbst Engel darunter verdächtig wirken.


Fazit: Die Drusen – eine Tragödie mit 1.000 Jahren Prolog

Wer die Geschichte der Drusen in Syrien verstehen will, braucht mehr als ein paar Zahlen, Zitate und geopolitische Floskeln. Er braucht Geduld. Und ein Gespür für Ironie. Denn dies ist eine Geschichte von Menschen, die nie die Macht suchten, aber ständig unter ihrer Knute litten. Die eine Religion erfanden, die auf innerer Wahrheit basiert – und dafür äußerlich verfolgt wurden. Die in einer Welt, in der der Lauteste gewinnt, einfach nur leise überleben wollten.

Und jetzt? Jetzt stehen sie im Rampenlicht. Für ein paar Wochen. Bis zur nächsten Schlagzeile. Bis zur nächsten Minderheit, die entdeckt wird, wie ein seltener Schmetterling – vom globalen Entomologenblick der Medien. Und wieder verschwindet.

Die Drusen werden bleiben. In den Bergen, in den Ruinen, in den Fußnoten der Geschichte. Sie sind Experten im Überleben. Und vielleicht ist das – in dieser Welt – das Größte, was man sein kann.


Epilog:
Wenn Sie nach dem Lesen dieses Essays noch immer nicht verstehen, wer die Drusen sind, seien Sie unbesorgt. Die meisten Syrer wissen es auch nicht. Und manche Drusen wahrscheinlich auch nicht mehr. Willkommen im Nahen Osten.

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