
Ein kaputtes System – und keiner will’s reparieren
„Das europäische Asylsystem ist kaputt“, sagt der dänische Minister Kaare Dybvad Bek. Man kann ihm schlecht widersprechen. Die Frage ist eher: Warum sagt das erst jetzt jemand laut, und warum klingt es wie eine bahnbrechende Erkenntnis, wenn es doch längst zum Alltag gehört – wie der verspätete Zug oder der Koalitionsvertrag voller Absichtserklärungen ohne Folgen?
„Kaputt“ ist hier noch freundlich formuliert. Es suggeriert, dass etwas einmal ganz war und nun nur einer kleinen Reparatur bedarf – ein bisschen schrauben, ein wenig ölen, vielleicht die Software neu aufspielen, und schon läuft das Ding wieder. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um eine defekte Maschine, sondern um ein selbstzerstörerisches Konstrukt, das nie für das gemacht war, was man ihm heute abverlangt. Ein kafkaeskes System von Regelungen, Ausnahmegenehmigungen, Zuständigkeiten und Zuständigkeitsvermeidung, das nicht mehr funktioniert, sondern sich nur noch simuliert.
Wir haben ein Asylsystem, das von Werten spricht und in Praktiken versinkt, das Menschenrechte predigt und Lager realisiert, das Aufnahmebereitschaft fordert, aber Abschottung lebt – und bei all dem ein rechtliches Monstrum geschaffen hat, das sich selbst in den Schwanz beißt, während es dazu freundlich lächelt.
Die Rückführungs-Lüge
Die Zahlen sind, mit Verlaub, eine Bankrotterklärung: Rund die Hälfte der Asylanträge wird abgelehnt – das ist die eine Seite. Die andere ist, dass nur ein Viertel dieser abgelehnten Menschen tatsächlich zurückgeführt wird. Der Rest bleibt. Irgendwo. Irgendwie. Geduldet, versteckt, integriert, toleriert – je nach Land, Stimmungslage, Regierungskonstellation oder Tagesform des zuständigen Sachbearbeiters.
Warum diese Rückführungen nicht funktionieren, ist längst kein Geheimnis. Die Herkunftsstaaten kooperieren nicht, die Personen tauchen unter, der Verwaltungsaufwand ist grotesk und das politische Interesse, diesen Zustand zu ändern, gegen null. Man fürchtet sich ja schon vor der reinen Nennung des Wortes Abschiebung, als handele es sich um eine Vokabel aus der dunkelsten Epoche der Menschheit. Lieber wird über humanitäre Verpflichtung fabuliert, während das System kollabiert.
Die Wahrheit ist: Rückführungen scheitern nicht an rechtlichen Hürden, sondern an fehlendem Willen, an ideologischer Verblendung, an moralischer Feigheit. Europa hat sich in einen normativen Käfig gesetzt, dessen Gitter aus Schuldkomplexen geschmiedet sind, durch den aber jeder, der laut genug Bleiberecht! ruft, einfach hindurchspaziert.
Die moralische Überbietungsgesellschaft
Das Asylrecht ist im europäischen Diskurs längst nicht mehr eine rechtliche Kategorie, sondern eine moralische. Wer Grenzen fordert, ist kaltherzig. Wer Rückführungen anmahnt, ist ein verkappter Reaktionär. Wer auf Regelbruch hinweist, wird gleich mit Mitleidsentzug bedroht. Statt differenzierter Diskussion regiert die Empörung, statt Analyse herrscht affektives Dauerschäumen.
Dabei wäre gerade in dieser Debatte Sachlichkeit dringend geboten. Aber das geht nicht – denn Asyl ist zur moralischen Ersatzreligion geworden. In einer Gesellschaft, die längst jede metaphysische Bindung verloren hat, wird das gute Gewissen an der Grenze verteilt. „Refugees welcome“ ist nicht mehr nur ein Slogan, es ist ein moralisches Sakrament – unausgesprochen, unbestritten, unantastbar.
Das Problem: Die Realität hält sich nicht an Narrative. Sie drängt sich mit Gewalt in die Debatte, in überforderte Kommunen, in aufgeplatzte Integrationsversprechen, in Kriminalstatistiken, in Wohnungsmangel, in Lehrermangel, in Sprachkurse, die nie stattfinden. Währenddessen streitet man in Brüssel noch über Quotenverteilungen, als könnte man ein Pulverfass durch Bürokratie entschärfen.
Migrationspolitik als intellektuelles Trümmerfeld
Man muss es leider so hart sagen: Die europäische Migrationspolitik ist ein intellektuelles Trümmerfeld. Was einst als humanitärer Imperativ begann, wurde zur politischen Ersatzhandlung. Man hatte keine Vision für Afrika, also ließ man die Menschen kommen. Man hatte keine Lösung für Bürgerkriege, also bot man Schutz. Man hatte keine Außenpolitik, also öffnete man die Tür.
Heute steht Europa vor den Scherben seiner Gutwilligkeit. Die Systeme sind überlastet, die Bevölkerung zunehmend unruhig, die öffentlichen Debatten vergiftet. Gleichzeitig kapituliert die Politik vor dem eigenen Anspruch. „Innovative Lösungen“ sollen es nun richten – als wäre es ein Marketingproblem. Vielleicht einfach eine App entwickeln: „Abschiebung per Swipe“ oder „Resettlement 4.0“.
Dabei liegt die Lösung nicht in der Technik, sondern im Mut zur Wahrheit: Man kann nicht unbegrenzt Schutz gewähren, ohne Schutzbedürftigkeit glaubwürdig zu prüfen. Man kann nicht Einwanderung in den Sozialstaat ermöglichen, ohne dessen Finanzierung zu gefährden. Man kann nicht multikulturelle Parallelwelten dulden und sich dann über mangelnde Integration wundern.
Die kommenden Unruhen – und das große Wegsehen
Wer heute noch ernsthaft glaubt, dass sich diese Entwicklungen folgenlos fortsetzen lassen, hat entweder keine Ahnung, keine Kinder oder keine Zeitung abonniert. Die öffentliche Unruhe ist nicht hypothetisch, sie ist bereits Realität – sie zeigt sich in sinkendem Vertrauen in Institutionen, in wachsender Wahlbeteiligung bei extremistischen Parteien, in einem dumpfen Grollen, das durch alle sozialen Schichten geht.
Noch ist das europäische Projekt nicht am Ende, aber es wird unterwandert – nicht von außen, sondern von innen. Vom eigenen Versagen, die Dinge beim Namen zu nennen. Von einer politischen Klasse, die lieber schwiegt, als Wähler zu verlieren. Von einer Medienlandschaft, die lieber beschwichtigt, als zu berichten. Von einer Zivilgesellschaft, die sich lieber in Selbstvergewisserung übt, als Verantwortung zu übernehmen.
Und das Schlimmste: Man könnte es wissen. Man müsste nur hinhören. In den Kitas, in den Kommunen, in den Innenministerien, in den Polizeiberichten. Die Lage ist keineswegs komplex – sie ist nur unbequem. Aber genau darin liegt die Tragik: Europa scheitert nicht an der Migration, sondern an sich selbst.
Fazit: Europas Asylpolitik ist kein Systemfehler – sie ist ein Systemversagen
Was also tun? Weniger träumen, mehr handeln. Weniger Pathos, mehr Realismus. Weniger Floskeln, mehr Rechtsstaat. Weniger moralisches Hochamt, mehr strategische Verantwortung.
Denn solange man weiter an einem System festhält, das weder schützt noch steuert, das Erwartungen weckt, die es nicht erfüllen kann, und Zustände duldet, die es nicht kontrolliert, wird die Katastrophe nicht vermieden – sondern nur hinausgezögert.
Europa kann viel. Aber es kann nicht gleichzeitig offene Türen versprechen und funktionierende Ordnung gewährleisten. Wer das nicht versteht, wird es bald auf der Straße erklärt bekommen.
Nicht von Minister Kaare Dybvad Bek. Sondern von der Realität.