Mit Volldampf gegen die Wand – Ein Weltgericht & das Klima

Vanuatu klagt – und der Planet klatscht Beifall

Es ist ein surrealer Moment: Eine winzige Inselnation, kaum mehr als ein vegetationsbedeckter Punkt im pazifischen Ozean, erhebt ihre Stimme – und die Welt hält den Atem an. Nicht aus Ehrfurcht, sondern aus schlechtem Gewissen. Der Internationale Gerichtshof wird nun tatsächlich gezwungen, eine Frage zu beantworten, die seit Jahrzehnten in Gremien, Gipfeln und Gletscherfeldern herumgestottert wird wie ein alter Dieselmotor im moralischen Gegenwind: Dürfen Staaten weiterhin die Erde grillen wie ein Steak auf einem saudischen Ölfass, ohne dass ihnen jemand juristisch auf die Finger klopft?

Vanuatu, ein Name, der in den Köpfen der Eliten bislang eher als exotischer Cocktail aus dem Duty-Free-Bereich erschien, legt nun den Finger in die eiternde Wunde der Weltordnung: Wer zahlt eigentlich für das Desaster, wenn das Meer sich holt, was die Kolonialgeschichte einst großzügig verteilte? Die Antwort ist denkbar einfach – alle schauen betreten zur Seite, während der Planet langsam die Temperatur auf dem Thermostat hochdreht.

Vom Ablasshandel zum Pariser Protokoll – Die feine Kunst des Wegschauens

Natürlich melden sich nun die üblichen Verdächtigen zu Wort. Saudi-Arabien zum Beispiel – jener monolithische Petrostaat, der die Zukunft als einen Ort sieht, in dem der letzte Barrel Öl mit einer Träne betankt wird – mahnt zur „Vorsicht“. Schließlich, so ihr nobles Argument, habe das Pariser Abkommen doch alles geregelt. Das ist in etwa so, als würde ein Brandstifter behaupten, man brauche keine Feuerwehr, weil man ja eine Betriebsanleitung für Feuerlöscher verfasst habe.

Auch Deutschland, Mutterland des moralisch korrekten Wegmoderierens, nickt weise. Ja, man habe Verpflichtungen – irgendwo zwischen Kohleausstieg, Autobahnneubau und Wahlkreislogik. Dass das Paris-Abkommen rechtlich etwa so bindend ist wie ein Neujahrsvorsatz nach dem dritten Gin Tonic, wird mit jener eleganten Ignoranz übergangen, die europäische Diplomatie so anziehend macht.

Juristische Nachsorge im globalen Hospiz

Was sich hier abzeichnet, ist eine neue Art von Weltgerichtsbarkeit – eine Reanimationsmaßnahme im Spätstadium des Anthropozäns. Denn wenn politische Systeme versagen (und sie versagen, mit der Konsequenz und Beharrlichkeit eines Langzeitversuchs), dann bleibt eben nur der Griff zur letzten Instanz: dem Recht. Die Justiz als Notfallmedikament für planetare Systemversagen. Welch grandiose Ironie, dass ausgerechnet der Internationale Gerichtshof nun zum Leuchtfeuer der Hoffnung mutiert – eine Institution, deren durchschnittliche Schlagkraft bisher irgendwo zwischen UNESCO-Tagung und UNO-Resolution mäanderte.

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Aber siehe da: Immer mehr Staaten, NGOs, ja sogar Individuen wagen den Gang vors Gericht, als handle es sich um eine himmlische Instanz des Weltgewissens. Vielleicht auch, weil der Glaube an Politik ebenso geschmolzen ist wie das arktische Meereis.

Emittenten aller Länder – vereint euch (vor Gericht)

Die Idee, dass es Rechtspflichten geben könnte, sich nicht wie ein brandschatzender Vandale in der Erdatmosphäre aufzuführen, ist in manchen Hauptstädten der Erde offenbar ein Skandalon. Ein moralischer Angriff. Ein Affront gegen die heilige Kuh des unbehelligten Wirtschaftens. Dabei ist das Prinzip denkbar schlicht: Wer Müll macht, räumt ihn weg. Wer Schaden verursacht, haftet. Und wer am lautesten schreit, sollte vielleicht zuerst zuhören.

Doch plötzlich kommt Bewegung in die zähflüssige Mischung aus Zynismus und Verzögerung: Der Internationale Seegerichtshof nennt CO₂ eine Form der Meeresverschmutzung – ein intellektuelles Manöver, so simpel wie bestechend. Der Interamerikanische Gerichtshof zieht gar das ganz große Menschenrechtsregister: Wer Menschen einem unaufhaltsamen Klimakollaps ausliefert, verletzt das Völkerrecht – als ginge es um Folter. Die Zeiten, in denen der Umweltschutz ein piffiges Nebenprojekt für grüne Wahlprogramme war, sind endgültig vorbei. Jetzt geht’s ans Eingemachte: das Menschenleben selbst.

Globale Gerechtigkeit oder juristisches Wunschkonzert?

Doch die Frage bleibt: Was folgt daraus? Wird Shell demnächst Rückzahlungen an bangladeschische Bauern leisten? Muss Exxon seinen Aktionären mitteilen, dass künftige Dividenden in Reparationsfonds fließen? Oder wird alles enden wie bisher – mit wohlmeinenden Gutachten, moralisch einwandfrei, rechtlich folgenlos?

Der Druck wächst. Denn die Welt, einst ein launisches Kind, das sich von der Zivilisation verformen ließ, ist nun eine zornige Mutter, die mit den Konsequenzen zurückschlägt. Und es ist kein Zufall, dass gerade die am stärksten Betroffenen – jene Staaten, die am wenigsten zur Krise beigetragen haben – den juristischen Diskurs aufmischen. Ihre Klage ist keine Bettelei, sondern ein Aufstand.

„Fragen der globalen Gerechtigkeit“, so nennt es der UN-Jurist. Das klingt nach Amnesty, nach Poesie, nach Weltethos. Aber es ist in Wahrheit ein Schrei. Ein Ruf nach Rechenschaft. Nach der längst überfälligen Umkehr der Verhältnisse.

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Ein zynisches Nachspiel – oder die Hoffnung auf den Ernstfall

Natürlich darf man nicht zu viel erwarten. Ein Gutachten des IGH ersetzt keine CO₂-Steuer. Kein Urteil bringt die Korallenriffe zurück. Und es ist mehr als wahrscheinlich, dass das erste Echo aus Peking, Washington und Riad ein wohlklingendes „no comment“ sein wird, gefolgt von einem Emissionsanstieg mit historischer Eleganz.

Doch etwas ist anders. Die juristische Bühne ist eröffnet. Und mit ihr die Erkenntnis: Wenn der Planet schon untergeht, dann wenigstens mit einem Aktenzeichen. Wenn die Menschheit schon scheitert, dann in Berufung. Und wenn Vanuatu klagt, dann hört die Welt – mit leicht schlechtem Gewissen, aber endlich – zu.

Vielleicht ist das der Anfang. Oder wenigstens das letzte Kapitel mit Fußnoten. Fußnoten, die in die Zukunft zeigen, falls es dort noch Leser geben sollte.

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