
Ein polemischer Abgesang auf den Fortschritt
Es war einmal eine Zeit, da wusste man noch, wen man verachten durfte. Der Fürst war ein korrupter, eitler Pinkel, der General ein selbstverliebter Schnurrbartträger, der Hofrat ein intriganter Ränkeschmied mit Magenkatarrh. Das Volk—zumindest das gebildete—lächelte spöttisch, aber resigniert, nippte am Mokka und schrieb in schwungvollen Lettern bittere Glossen über den Hofstaat. Man wusste: Die Welt war verlogen, aber sie war wenigstens stilvoll verlogen. Und inmitten dieser Kulisse aus galonierten Uniformen, schmierig glänzenden Zylinderhüten und dienstbeflissenen Lakaien stand Joseph Roth. Er wusste genau, was die Monarchie war: eine Farce, eine Scharade, ein goldbesäumtes Trauerspiel. Und trotzdem, als ihn einer dieser republikanischen Besserwisser in die Ecke drängte, platzte es aus ihm heraus:
„Weil mir die Scheißer in der Monarchie lieber waren als die Gacker in der Republik!“
Das war kein Bonmot, das war ein Furor. Kein eleganter Aphorismus, sondern ein Wutanfall mit literarischem Mehrwert. Denn Roth wusste: Die Monarchie war schlecht, aber sie hatte Format. An ihre Stelle sind die Stammler getreten.
Von der Hoheit des Unheils zur Niedertracht der Mittelmäßigkeit
Man kann das politische 20. Jahrhundert, wenn man will, als ein einziges großes Austauschprogramm der Idiotie betrachten. Früher hießen die Narren Erzherzog, heute heißen sie Abgeordneter. Früher besaßen sie wenigstens ein Wappen, heute besitzen sie ein Twitter-Account. Und das Wappen hatte wenigstens einen Löwen drauf, das Twitter-Profilbild hat einen Selfie-Filter. Es ist der schleichende, schmerzlose Verfall der Formen, der uns in den Wahnsinn treibt.
Die Monarchie war schlecht, ja, das war sie. Aber sie war in sich konsequent schlecht. Ihr Zynismus war komplett, ihr Verfall war majestätisch. Die alten Kaiserreiche waren wie Marmor: kalt, schwer, brüchig—aber sie trugen Patina. Die heutige Welt ist Pressspan: furniert, billig, quillt bei der ersten Feuchtigkeit auf.
Joseph Roth hätte keine Talkshow überstanden. Schon gar keine „runde“—der Begriff allein ist ja ein Hohn. Runde Tische für eckige Dummheiten. Man hätte ihn eingeladen, hätte ihn gefragt: „Herr Roth, wie können Sie als so gescheiter Mensch ein Monarchist sein?“ Und Roth, nicht zu Unrecht reizbar, hätte geantwortet, was er geantwortet hat:
„Weil mir die Scheißer in der Monarchie lieber waren als die Gacker in der Republik!“
Und das Mikrofon wäre abgedreht worden, denn für so etwas gibt es heute kein Format mehr—im doppelten Sinn.
Die Demokratie der Stimmenlosen
Es ist ja nicht so, dass wir nicht wählen dürften. Im Gegenteil: Wir müssen. Alle paar Jahre werden wir an den Katzentisch der Geschichte gebeten und dürfen dort aus einem Menü wählen, das uns nicht schmeckt. Wahl zwischen Pest, Cholera und einer vegetarischen Option, die nach Styropor schmeckt. Und das nennt sich dann Fortschritt.
Die Monarchie war wenigstens ehrlich in ihrer Verlogenheit. Sie versprach niemandem Gleichheit. Sie sagte: „Du bist Untertan, das bleibt so.“ Heute sagt man: „Du bist Bürger, aber die Entscheidungen treffen wir trotzdem über deinen Kopf hinweg.“ Es ist der Unterschied zwischen dem Despoten, der auf dem Thron sitzt, und dem Bürokraten, der im Hinterzimmer den Algorithmus füttert.
Die alten Scheißer wussten wenigstens noch, was Stil ist. Der Hofnarr hatte seine Funktion. Heute ist jeder sein eigener Hofnarr auf Instagram und glaubt, er sei Kant.
Das Gackern der neuen Klasse
Manchmal stellt man sich die Frage: Was ist eigentlich schlimmer? Ein arroganter Erzherzog, der Befehle gibt und Jagden veranstaltet, oder ein Provinzpolitiker, der sich vor laufender Kamera verhaspelt, weil er die Bedeutung des Wortes „Diskurs“ nicht kennt?
Das alte Wien war ein Faßl mit Rissen, aber es roch wenigstens nach Kaffeehaus, Zigarrenrauch und Dekadenz. Das neue Wien riecht nach Powerpoint-Präsentationen und Thermobecher-Kaffee aus dem Coworking-Space.
Die Gacker in der Republik reden von Partizipation, von Bürgernähe, von Transparenz. Aber was sie wirklich tun, ist gackern. Der eine gackert vom Klimaschutz, während er sich von Lobbyisten Champagner servieren lässt. Der andere gackert von sozialer Gerechtigkeit, während er die Armen mit Verwaltungsformularen stranguliert. Und alle zusammen gackern sie von der Zukunft, die angeblich so rosig wird, während sie gleichzeitig ihre Doktortitel fälschen und sich gegenseitig bei X (vormals Twitter) blockieren.
Von der Tragödie zur Farce zur Podcast-Folge
Marx hat gesagt, die Geschichte wiederholt sich erst als Tragödie, dann als Farce. Aber er konnte nicht wissen, dass es danach noch einen dritten Akt geben würde: den Livestream.
Die Monarchie war schlecht, aber sie hatte Format. Heute ist alles in Echtzeit, alles ist kommentierbar, alles ist Content. Das Gackern ist endlos geworden, die Stammler regieren, die Dilettanten twittern. Man hat den Kaiser abgeschafft und durch einen Shitstorm ersetzt.
Manchmal denkt man mit Joseph Roth: Hätte ich doch wenigstens noch einen Kaiser, den ich verachten kann! Lieber einen Scheißer mit Hermelin als einen Gacker im Hoodie, der mir ins Mikrofon lallt, dass „alle Menschen irgendwie gleich sind, eh klar, oder?“
Das letzte Wort
Joseph Roth wusste es: Das Leben ist immer schlecht organisiert. Aber wenigstens hatte die Monarchie die Eleganz, ihr eigenes Elend mit goldener Kutsche zu fahren. Heute kommt das Elend per E-Scooter.
Und so bleibt uns nur, zwischen den Zähnen das Lächeln zusammenzupressen, wenn wir an Roth denken und seine Antwort, die auch hundert Jahre später noch stimmt:
„Weil mir die Scheißer in der Monarchie lieber waren als die Gacker in der Republik.“
Das war bitter gemeint. Aber leider auch ernst.