Der Tanz auf dem Trümmerfeld

Frankreich friert ein, was schon längst erfroren ist

Die Geschichte wiederholt sich nicht, behaupten die Apologeten des Fortschritts. Sie variieren, sie modulieren, sie tanzen in Spiralbewegungen durch die Jahrhunderte, stets bemüht, den nächsten Abgrund als Innovation zu verkaufen. Doch Frankreich, das einst stolz war auf seine Revolutionen, hat 2026 beschlossen, den Tanz der Fehler von 2010 mit einer derart wüsten Grazie zu wiederholen, dass selbst die Plejaden im Himmel die Stirn runzeln müssten – wenn Sterne denn Stirnen hätten.

Die Regierung – halb technokratischer Verwaltungsakt, halb makronistisches Management-Start-up im Endstadium der Sinnkrise – friert die Sozialausgaben ein. „Ein Einfrieren“, sagen sie, „kein Kürzen!“ Das klingt fürsorglich, wie wenn man dem Fiebernden verspricht, das Wasser zwar nicht zu erhöhen, aber dafür konstant bei 3 Grad Celsius zu belassen. Wer dann stirbt, ist halt Pech. Oder Marktdisziplin.

Es sind Maßnahmen aus dem Lehrbuch der fiskalischen Selbstverstümmelung: Das Wachstum lahmt, also stranguliert man den Konsum. Die Inflation zerrt an den Portemonnaies, also schraubt man an den Steuern. Der rechte Rand wächst, also verschärft man die Grundsicherung – damit der soziale Abstieg nicht nur droht, sondern endlich Realität wird. Feiertage? Weg damit! Wer arbeiten darf, soll es gefälligst auch tun, ob nun für den Mindestlohn oder für den Applaus der Aktionäre. Und während der Sozialstaat auf Diät gesetzt wird wie ein depressiver Sumo-Ringer, wächst der Militärhaushalt wie ein Muskelschwamm im Fitnessstudio der Geopolitik.

Ein Jahr vor der Wahl, versteht sich. Man muss Prioritäten setzen.

Das Einfrieren der Armen: Eine Strategie mit Tradition

Die französische Regierung friert nicht nur Sozialausgaben ein – sie friert ganze Bevölkerungsgruppen ein. Obdachlose? Eingefroren. Rentner? Eingefroren. Alleinerziehende? Eingefroren. Migranten? Eingefroren, am liebsten an den Außengrenzen. In Frankreich der Gegenwart heißt soziale Kälte nicht mehr bloß Metapher, sondern Strategie. Und sie wird verwaltet mit der Präzision eines Buchhalters, der in den Haushaltszahlen nicht mehr Menschen sieht, sondern nur noch Kommafehler.

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Es ist das klassische neoliberale Märchen, neu aufgelegt für eine alternde Gesellschaft mit Demenz-Tendenz: Wir sparen uns gesund. Wobei „wir“ natürlich relativ ist. Gespart wird am Prekariat, ausgegeben wird für die Streitkräfte – schließlich muss jemand die „europäische Führungsverantwortung“ übernehmen, wenn Deutschland gerade mit sich selbst beschäftigt ist.

Der Finanzminister gibt Interviews, in denen er das Einfrieren der Sozialausgaben als „mutige Maßnahme“ verkauft. Mutig ist es vielleicht – so wie es mutig ist, mit verbundenen Augen über die Autobahn zu laufen. Wer Glück hat, wird nur überfahren.

Steuererhöhungen: Der Griff in die Taschen derer, die keine mehr haben

Ein besonders delikater Zug der französischen Haushaltspolitik 2026 ist die Erhöhung der Steuern. Nicht etwa für die Multis, nicht für die Großkonzerne, nicht für die Banken, die sich seit der Eurokrise wie Vampire an den Zentralbanktropf gehängt haben. Nein, besteuert wird der Mittelstand, die Angestellten, die kleinen Selbständigen, die ohnehin schon zwischen Gelbwesten-Wut und Burn-out-Pandemie oszillieren wie Glühbirnen kurz vor dem Defekt.

Man nennt es „Solidarbeitrag“ oder „ökologische Lenkungsabgabe“, je nachdem, welches Etikett gerade besser in die Talkshows passt. Am Ende zahlen die kleinen Leute – wie immer. Wer sich dagegen wehrt, ist „Populist“. Wer schweigt, ist „verantwortungsbewusst“. Wer beides nicht ist, wird in den Umfragen unsichtbar.

Das Militär wächst – der Sozialstaat stirbt

Es ist ein altes Prinzip der späten Republik: Wenn der innere Friede nicht mehr herzustellen ist, setzt man auf äußeren Krieg. Das römische Reich hat es vorgemacht, Washington perfektioniert, Paris zieht jetzt nach. Die Militärausgaben wachsen, weil irgendwo ja noch Flagge gezeigt werden muss, wenn der soziale Kitt bröckelt. Drohnen sind nun mal billiger als Schulreformen, und Panzer kosten zwar Milliarden, aber wenigstens protestiert dagegen niemand – jedenfalls nicht mehr, wenn erst genug Tränengas verteilt wurde.

Und so schwenkt Frankreich die Trikolore über neue Rüstungsdeals, während in den Banlieues der Strom abgeschaltet wird. Wer sich gegen das System auflehnt, darf sich in Zukunft nicht mehr nur auf Polizeiknüppel einstellen, sondern auch auf eine bestens ausgerüstete Gendarmerie in Militärmontur. Der Krieg nach außen wird zum Krieg nach innen. Nur die Kulisse wechselt.

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Ein Geschenk an die Rechtsextremen: Gratis und mit Schleife

All das ist, man muss es so sagen, ein Geschenkpaket für Marine Le Pen und ihre Freunde, sauber geschnürt mit neoliberaler Folie, garniert mit technokratischem Zynismus. Wer den Sozialstaat zerlegt, während die Mieten explodieren, wer Feiertage streicht und Grundsicherungen verschärft, während die Reichen weiter ihre Villen an der Côte d’Azur renovieren, der braucht sich über den Aufstieg der Rechten nicht wundern.

Es ist das bewährte Rezept aus den 1930ern: Erst verarmt man die Mitte, dann wundert man sich über den Faschismus. Ein bisschen Versailles, ein bisschen Weimar, ein bisschen Netflix-Dystopie – Frankreich im Jahr 2026 ist die perfekte Vorlage für ein tragikomisches Lehrstück über politischen Selbstmord.

Der Haushaltsentwurf ist kein Sparprogramm, sondern eine Einladung zur Apokalypse, versehen mit dem höflichen Zusatz: „RSVP – Répondez s’il vous plaît.“

Und die Antwort wird kommen. An der Wahlurne. Mit einem rechten Kreuz.

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