
Von der Kunst, Geld von unten nach oben zu drehen
Wien, diese schweratmende Schönheit an der Donau, liebt ihre Stadträte, vor allem wenn sie mit grantigem Schmelz und Nikotinstimme das Elend der Verwaltung besingen. Und Peter Hacker, Gesundheitsstadtrat der SPÖ, beherrscht diese Kunst mit der Eleganz eines Sozialpolitikers, der zwischen Parkbank und Parteibuch laviert.
Da sitzt er also in „Wien heute“, dem Wohnzimmer der Wiener Befindlichkeit, und erklärt der geneigten Zuschauerschaft, dass das Gesundheitsressort jetzt „jeden Cent von unten nach oben drehen“ muss. Ein Satz wie ein zynisches Koan: Wieso denn bitte von unten nach oben? Üblicherweise dreht man Münzen, um zu sehen, ob der Adler oder die Zahl oben ist – nicht, ob der Cent noch Lust hat, beim Sozialamt vorbeizuschauen.
Aber gut, in Wien denkt man sozialdemokratisch anders über Physik. Die Schwerkraft ist hier ein ideologisches Konstrukt. Wer nach unten fällt, ist selbst schuld. Wer unten ist, wird wenigstens noch gedreht – zur Kontrolle, ob noch was zu holen ist.
Das Prinzip der planbaren Gnade
Doch Hacker kann nicht nur drehen, er kann auch relativieren. Ja, die Wartelisten für Operationen seien lang, sagt er. Das liege aber nur an den sogenannten „planbaren Eingriffen“. Wer also eine Hüfte braucht, soll halt erst mal mit Schmerztabletten planen. Wer einen grauen Star hat, darf sich darauf verlassen, dass der Termin für die Operation genauso sicher kommt wie das nächste Budgetloch – irgendwann, vielleicht, nach den nächsten Wahlen.
Für den Notfall, betont Hacker, gibt es keine Wartezeiten. Die Wiener Lösung lautet also: Erst dann Hilfe, wenn es blutet, brennt oder der Tod an der Tür klopft. Eine Medizin des finalen Augenblicks. Wer leben will, muss leiden; wer stirbt, wird bevorzugt behandelt.
Man könnte fast meinen, Wien habe ein besonderes Gesundheitskonzept erfunden: Das „Hospital der letzten Stunde“. Kommen Sie ruhig dann, wenn es zu spät ist – dafür müssen Sie nicht anstehen.
Vom Spendierhosen-Sozialismus zum Spitalsbrief-Bombardement
Tags darauf, wieder Hacker, wieder „Wien heute“. Ein Déjà-vu, nur mit neuem Drehbuch. Jetzt geht es um die Ukrainer, die seit Sonntag nicht mehr automatisch krankenversichert sind. Ein Skandal, ruft der Stadtrat. „Wir werden sicher keine Privatrechnung ausstellen!“ Das klingt heldenhaft – wäre da nicht der Nebensatz vom Vortag, dass für alle anderen streng gespart werden muss.
Für den Österreicher ohne Job gibt es das Angebot einer Selbstversicherung für 526 Euro im Monat. Für den Ukrainer dasselbe für 76 Euro. Das nennt man dann Solidarität, jedenfalls in der Version 2.0, in der der Sozialstaat ein bisschen nach Herkunft sortiert. Wer das anspricht, gilt natürlich sofort als Unmensch. Denn Wien liebt seine Flüchtlinge – solange sie in den Pressetext passen.
Der Brief an den Bundeskanzler ist da schon geschrieben, bevor der Fernseher ausgeschaltet wird. Vielleicht steht sogar noch ein Faxgerät in Hackers Büro, auf dem die SPÖ seit den 80er Jahren ihre moralische Überlegenheit ausdruckt. Der Kanzler bekommt Post, der Bürger bekommt Wartezeiten, der Ukrainer bekommt eine Sonderkondition, und der Steuerzahler bekommt den Blues.
Der Sozialstaat als Schrödingers Katze
Was hier passiert, ist nicht neu, aber immerhin konsequent paradox. Der Wiener Sozialstaat ist wie Schrödingers Katze: Er ist gleichzeitig totgespart und hypermoralisch großzügig – je nachdem, von welcher Seite man die Schachtel öffnet.
Die Wiener Bevölkerung darf sich ihre OP-Termine selbst planen, vorzugsweise im Kalenderjahr 2030. Aber wehe, jemand fragt nach, warum bestimmte Gruppen Sondertarife erhalten, während der eigene Blinddarm eine PowerPoint-Präsentation braucht, bevor er entfernt wird.
Es ist der Charme der Wiener Gesundheitspolitik: Die Widersprüche sind so groß, dass man gar nicht mehr weiß, ob man weinen oder lachen soll. Also tut man beides gleichzeitig – das ist dann typisch wienerisch.
Das letzte Aufgebot der Moral
Peter Hacker spielt in diesem grotesken Theaterstück den Fürsorgedirektor mit Doppelmoral. Einer, der den Gürtel enger schnallt, aber nur bei denen, die ohnehin schon Bauchweh haben. Einer, der gleichzeitig Spartakus und Säckelwart sein will. Der lieber einen Skandal an den Bund delegiert als an den eigenen Verwaltungstisch.
Und doch: Man muss ihn fast mögen, diesen Stadtrat, der zwischen Pragmatismus und Pathos taumelt wie ein Betrunkener am Gürtel um drei Uhr früh. Vielleicht weiß er selbst, dass das alles ein absurdes Spiel ist. Vielleicht schmunzelt er sogar dabei, wenn er vor der Kamera steht und sagt: „Wir sparen bei den Wienern, aber bei den Ukrainern sicher nicht.“
Man hört den Subtext mit: „Weil’s besser klingt.“
Epilog: Wien bleibt Wien – auch im Gesundheitswesen
In dieser Stadt ist alles ein bisserl Kafka und ein bisserl Kabarett. Der Gesundheitsstadtrat, der Sozialstaat, die Wartezeiten, die Fernsehauftritte, die Briefe an den Kanzler – alles Teil einer bürokratischen Operette, in der das Orchester schon lange nicht mehr bezahlt wird.
Der Wiener sagt dazu: „Passt scho.“
Der Kranke sagt: „Aua.“
Und der Politiker sagt: „Wir kümmern uns.“
Nur wann – das bleibt planbar. Irgendwann.