Willkommen im digitalen Reich: Vom Faschismus ohne Uniform

Man sagte einst, der Faschismus werde, wenn er wiederkehrt, nicht sagen: „Ich bin der Faschismus“, sondern: „Ich bin die Freiheit.“ Heute sagt er: Ich bin die App. Und tatsächlich, der neue Faschismus marschiert nicht mehr in Stiefeln – er scrollt, er streamt, er ist durchoptimiert und permanent verfügbar. Keine Fackelmärsche, sondern Followerschaften; keine Bücherverbrennung, sondern Algorithmus-gesteuerte Unsichtbarmachung. Der neue Faschismus hat keinen Schnauzbart mehr – er trägt Turtleneck und spricht in TED-Talks. Er verspricht nicht mehr Blut und Boden, sondern Autonomie und Bitcoin. Und doch ist es dieselbe alte Melodie: Kontrolle, Ausschluss, Überwachung. Nur die Instrumente haben sich verändert.

Was wir beobachten, ist die stille Evolution eines alten Traums in neuer Form: Der autoritäre Staat wird nicht mehr mit Polizei aufgebaut, sondern mit Plattformen. Wer den Zugang zu Information kontrolliert, muss keine Panzer auffahren. Wer die Narrative kontrolliert, braucht keine Konzentrationslager mehr – es reicht ein „Content Policy Update“. Der neue Faschismus braucht keine Gewalt, weil er einvernehmliche Unterwerfung produziert. Er ist kuschelig, personalisiert und liefert über Nacht.

Die Allianz der Silicon-Stiefel – oder: Libertäre Träume vom totalitären Paradies

In einer Welt, in der Google weiß, wo du schläfst, und Amazon, was du träumst, wird Demokratie zur historischen Kuriosität. Der Staat – das war einmal der Ort gemeinsamer Aushandlung. Heute ist er bestenfalls ein lästiges Pop-up-Fenster im Interface der Tech-Milliardäre. Was die neuen Oligarchen wollen, ist nicht weniger Staat – sie wollen ihren Staat. Einen privaten, renditeoptimierten Parallelstaat, in dem keine lästige Verfassung und keine pesky Menschenrechte stören. Das große Vorbild: Ayn Rand, die Säulenheilige des egomanischen Nihilismus. Ihre Philosophie: Wer reich ist, hat recht. Wer schwach ist, stört.

Balaji Srinivasan, High Priest dieser Bewegung, will gleich ganz Schluss machen mit dem traditionellen Staatskonzept. Weg mit Steuern, weg mit Regulierung, her mit der Token-Demokratie! In der neuen Welt herrschen nicht mehr Repräsentanten, sondern Smart Contracts. Keine Menschenrechte, sondern Nutzungsbedingungen. Keine Bürger, sondern User. Wer sich’s leisten kann, lebt in „Network States“ mit digitaler Zugangskontrolle – gated communities auf Servern. Der Rest bleibt draußen – also: offline.

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Próspera oder: Der Traum vom neofeudalen Techno-Paradies

Wer denkt, das sei alles Dystopie für Netflix-Drehbuchschreiber, sollte nach Honduras schauen. Dort steht „Próspera“ – ein neoliberaler Albtraum in Beton gegossen. Private Bildung, private Polizei, private Gerichtsbarkeit. Eine Parallelwelt, gebaut wie ein Silicon-Valley-Start-up: disruptiv, exklusiv, steueroptimiert. Kein Gemeinwohl, kein Mitspracherecht, keine gewählte Repräsentanz. Es ist das erste Experiment des neuen digitalen Feudalismus – und es funktioniert erschreckend gut. Die Bevölkerung? Statistisches Rauschen. Die Investoren? Euphorisch. Wer zahlt, bestimmt. Wer nicht zahlt, verschwindet aus dem Sichtfeld der Drohne.

Und Próspera ist kein Einzelfall. Es ist das Pilotprojekt einer umfassenderen Idee: der Rückabwicklung aller zivilisatorischen Errungenschaften unter dem Etikett der „Freiheit“. Nur eben nicht Freiheit für alle – sondern für diejenigen, die sie sich leisten können. Das ist kein Rückfall ins Mittelalter. Das ist dessen algorithmisch perfektionierte Neuauflage.

Trump Reloaded: Der Deep State als App-Update

Währenddessen bastelt die Trump-Bewegung in den USA bereits an der autoritären Verwaltungsversion 2.0. Zehntausende Beamte sollen ersetzt werden – nicht durch neue, qualifizierte Kräfte, sondern durch Gefolgsleute. Das nennt man dann „loyalitätsbasiertes Personalwesen“. Die Justiz wird zur Exekutive verlängert, Wissenschaft zur Meinung, Medien zur „Feindmacht“. Die Axt an die Demokratie ist längst angesetzt – aber sie ist mit Samt bezogen und in pastellfarbenen Corporate-Designs gehalten.

Der Rechtsstaat, dieser mühselige Apparat der Ausbalancierung und Kontrolle, gilt den neuen Herren der Welt als Altlast. Zu langsam, zu komplex, zu menschlich. Warum lange diskutieren, wenn ein Algorithmus in Sekunden urteilen kann? Warum Wahlen, wenn Likes effizientere Zustimmung generieren? Warum Parlamente, wenn man via Blockchain abstimmen kann – natürlich nur, wenn man genug Token hat.

Cyberfaschismus – der autoritäre Virus mit Benutzeroberfläche

Was also ist dieser Cyberfaschismus? Er ist kein Angriff von außen. Er kommt nicht mit Propaganda und Parolen. Er kommt mit Convenience. Mit Bequemlichkeit. Mit Effizienzversprechen. Er gibt uns das Gefühl, selbstbestimmt zu handeln, während er uns unsichtbar lenkt. Er ist der Faschismus, den wir uns selbst bestellt haben – mit Prime-Versand. Und das Erschreckende: Er fühlt sich gut an. Personalisiert. Intuitiv. User-centric.

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Er kommt nicht, um zu töten. Er kommt, um zu analysieren. Und dann zu selektieren. Er baut keine Lager – er erstellt Listen. Er nutzt keine Folter – er nutzt Daten. Er schickt keine Agenten – er schickt Push-Benachrichtigungen. Und er braucht keine Partei mehr – denn die Plattform ist Partei genug.

Die letzte Firewall: Denken

Was bleibt? Vielleicht nur dies: ein aufrechter Gedanke. Ein Rest Verstand. Die Weigerung, alles Fortschritt zu nennen, was sich verkaufen lässt. Die Einsicht, dass Demokratie nicht automatisch überlebt, sondern gepflegt werden muss – wie ein altersschwacher Hund, der immer wieder davonlaufen will. Vielleicht muss man sich wieder daran erinnern, dass Freiheit nicht die Abwesenheit von Staat ist, sondern die Anwesenheit von Verantwortung. Dass Technik kein Ersatz für Moral ist. Und dass die Kontrolle über Information nichts anderes ist als die Macht über die Wirklichkeit.

Cyberfaschismus ist kein Schreckgespenst. Er ist Realität. Er ist die Sanftheit des Totalitären, der sich nicht mehr durch Gewalt, sondern durch Zustimmung legitimiert. Er fragt nicht „Darf ich herrschen?“ – er fragt: „Möchtest du den neuen Nutzungsbedingungen zustimmen?“

Und wir klicken: Ja. Wie immer.

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