
Der Papst ist tot. Möge er in Frieden ruhen – aber bitte nicht in einem Nebel aus halbgaren Heiligenlegenden und journalistischem Gedächtnisschwund. Noch ehe der Leichnam abgekühlt ist, werden in den Redaktionen des Westens bereits Hagiografien wie am Fließband produziert. Der weiße Rauch, der über dem Vatikan aufsteigt, signalisiert nicht etwa die Wahl eines neuen Oberhaupts, sondern die Auslöschung kritischer Erinnerung. Franziskus, der als Jorge Mario Bergoglio auf einem argentinischen Fußballfeld vermutlich besser aufgehoben gewesen wäre als im Vatikanpalast, wird jetzt als „Papst der Armen“, als „Reformer“, gar als „Marx-verstehender Hirte“ verklärt. Eine PR-Rekonstruktion, so weichgespült wie das Taufwasser im Petersdom. Man möchte meinen, der Herrgott selbst habe das Drehbuch geliefert – und gleich die kritischen Passagen ausradiert. Willkommen im postmortalen Weichzeichnerjournalismus, wo sich selbst der Papst noch ins säkulare Heldennarrativ einfügt, solange er tot genug ist.
Ein Papst bleibt ein Papst – auch im Jogginganzug des Fortschritts
Verstehen wir uns nicht falsch: Franziskus war in vielem besser als seine Vorgänger. Er war warmherziger als Ratzinger, weniger mumifiziert als Johannes Paul II., und er sprach gerne über Armut, was in der katholischen Kirche bereits als Revolution gilt. Doch ein linkes Feigenblatt macht noch keinen linken Baum. Seine scheinbar progressive Rhetorik täuschte nicht darüber hinweg, dass er, wie alle Päpste vor ihm, mit dem eisernen Griff des Dogmas regierte. Ein Jesuit mit einem Lächeln, das mehr verbarg als enthüllte. Der Reformer, der Reformen verweigerte. Der Kritiker des Kapitalismus, der nie seine Bankverbindungen löschte. Der bescheidene Papst, der sich weigerte, die patriarchalen Grundpfeiler der Kirche auch nur anzuritzen. Ein Che Guevara des Gewissens vielleicht – aber einer, der seine Mütze gegen die Mitra tauschte, seine Zigarre gegen Dogmen und seine Revolte gegen ein „Aber nicht zu schnell“.
Feminismus: Erdbeeren auf dem klerikalen Kuchen
Wer glaubt, Franziskus sei ein Freund der Frauen gewesen, kennt vielleicht die Schlagzeilen, nicht aber die Fußnoten. Ein paar weibliche Theologinnen hier, eine nette Geste da – und schon spricht man vom „feministischen Papst“. Dabei war der Heilige Vater in Genderfragen nicht einmal im vorvorletzten Jahrhundert angekommen. Der Feminismus sei eine Spielart des Machismo, nur „mit Rock“, dozierte er. Und weil er ein Mann war, dachte er vermutlich: Wer einen Rock trägt, meint es nicht ernst. Frauen als Priesterinnen? Ein kategorisches Nein. Frauen als Gleichgestellte? Höchstens symbolisch. Frauen in der Liturgie? Als Dekoration, als liturgische Beistellung, als Erdbeere auf dem Sakramentenkuchen. Schön anzusehen, aber keinesfalls tragend.
Und wehe, sie wollen keine Kinder. Dann droht die metaphysische Schelte: „alte Jungfer“, das Urteil eines Papstes, der offenbar nicht zwischen weiblicher Selbstbestimmung und katholischer Fortpflanzungspflicht unterscheiden konnte. Der Uterus war für Franziskus kein Raum der Freiheit, sondern ein organischer Dienstleister in der klerikalen Geburtenökonomie. Willkommen im Paradies der unbefleckten Entmündigung.
Homosexualität: Toleranz mit Rückspiegel
„Wer bin ich, um zu urteilen?“ – dieser Satz machte Karriere. Franziskus’ fünf Worte der scheinbaren Öffnung gegenüber homosexuellen Menschen gingen um die Welt. Doch wie so oft bei päpstlichen Aussagen ist es der Kontext, der das Dogma zementiert. Denn wenn man den Satz aufdröselt, bleibt eine klare Diagnose übrig: Homosexualität sei zwar nicht kriminell, aber behandlungsbedürftig. Frühzeitige psychiatrische Betreuung sei sinnvoll, so der Pontifex auf einer Pressekonferenz, als ob er nicht über Menschen, sondern über eine besonders renitente Form von Pubertät spräche. „Frociaggine“, der vulgär-italienische Begriff für „Schwuchteln“, den er intern verwendete, entlarvt die sprachliche Patina, die seine öffentliche Diplomatie zu kaschieren versuchte. Nein, Franziskus war kein Verbündeter der Queer-Bewegung. Er war ihr freundlicher Gegner. Er lächelte beim Ausschluss.
Abtreibung: Der Arzt als Attentäter
Und wenn es ums Eingemachte ging, war Jorge Bergoglio ganz der alte Argentinier. Abtreibung? Nicht nur Sünde – sondern Mord mit Vorsatz. Die Ärztin, die eine Schwangerschaft beendet, sei eine „Auftragsmörderin“, ein Begriff, der mehr mit Tarantino als mit Theologie zu tun hat. Das Dogma war hier nicht nur unbarmherzig, es war theatralisch inszeniert. Ein päpstlicher Tarantismus in drei Akten: Schuld, Schuld und Schuld. Diese sprachliche Eskalation war kein Ausrutscher, sondern Kalkül. Man wollte Wirkung erzeugen – nicht durch Nachsicht, sondern durch Schock. Und man erzielte sie: Christen verließen die Kirche, doch das war der Preis für moralische Klarheit. Zumindest in einer Welt, in der Klarheit immer in eine Richtung wirkt – gegen die, die ohnehin schon kaum gehört werden.
Missbrauchsskandale: Nichts sehen, nichts hören, nichts glauben
Und dann wären da noch die Keller. Die dunklen, muffigen Räume unter der barocken Fassade, gefüllt mit Akten, Schweigen und Scham. Franziskus war kein Pädophilenschützer vom Schlage eines Barbarin oder Ratzinger – aber auch kein Aufklärer. Die Sauvé-Kommission empfing er nie. Den Bericht? Nie gelesen. In Argentinien ließ er Pater Grassi decken, der zwei Jungen missbraucht hatte. Als es um Kardinal Barbarin ging, empfahl Franziskus seinen Gläubigen, sich nicht von „linken Strömungen“ beeinflussen zu lassen. Als wäre Kindesmissbrauch eine politische Ideologie. Es ist die moralische Schizophrenie eines Systems, das Sünde predigt und systematisch vergisst. Die Leichen im Keller des Vatikans riecht man bis zum Tiber – aber man nennt sie dort Weihrauch.
Die Faust Gottes – oder: Das Blasphemieverbot für Anfänger
Selbst im Tod wusste Franziskus noch zu polarisieren. Er starb am Ostermontag, als wollte er noch ein letztes Mal das liturgische Drehbuch umschreiben. Und als Charlie Hebdo nach dem Anschlag um seine ermordeten Zeichner trauerte, sagte der Papst sinngemäß: Wer den Glauben anderer beleidige, müsse mit einem Faustschlag rechnen. Kein Wort über die Freiheit der Satire. Kein Wort über das Recht auf Gotteslästerung in einem säkularen Staat. Stattdessen ein päpstlicher Reflex, der an die Inquisition erinnert, nur mit freundlicherem Branding. Dass in Frankreich die Blasphemie seit 1881 legal ist, war ihm entweder entfallen oder egal. Der Glaube stand über der Verfassung – wie immer.
Nachruf ohne Heiligenschein
Also ja: Der Papst ist tot. Möge er ruhen, aber nicht in einem Mantel aus Lügen. Wer Jorge Mario Bergoglio als „linken Papst“ verklärt, verkennt das Wesen des Vatikans: Er war Reformer im Schneckentempo, ein Menschenfreund mit Zensurhintergrund, ein konservativer Kommunikator, der wusste, dass ein Lächeln mehr erreicht als ein Dogma. Doch unter dem Lächeln: der gleiche alte Papst. Ein Reaktionär mit Zugang zu WLAN.
Vielleicht braucht die Welt genau das: eine Autorität, die sich nicht bewegt, um wenigstens so zu tun, als ob sie standhält. Aber verwechseln wir Stillstand nicht mit Fortschritt. Und verwechseln wir vor allem nicht höfliche Worte mit radikaler Veränderung.
Denn selbst ein Papst kann nett sein – und trotzdem vollkommen falsch liegen.