
Wenn der Internationale Währungsfonds – dieser wirtschaftspolitische Batman in Anzug und Zahlenfetisch – den Zeigefinger hebt, dann beugt sich die Politik brav wie ein Chorknabe bei der Sonntagsmesse. Denn was der IWF sagt, ist keine Meinung, es ist – im modernen Regierungssprech – alternativlos. Die Nachricht klingt harmlos, fast fürsorglich, wie ein Anruf der eigenen Bank, der einem mitteilt, dass man „vorsichtiger wirtschaften“ sollte, ehe das Konto endgültig in den Bereich „archäologische Ruine“ kippt. Die „heuer beschlossenen bzw. angekündigten Maßnahmen“, wie es bürokratisch so schön heißt, seien bereits ein erster Schritt, um den Schuldenanstieg zu bremsen – oder, mit anderen Worten: Der Patient Staat hat Fieber, aber statt Medikamente gibt’s erstmal Diät. Zuckerfrei, freudlos, und vor allem: solidarisch. Denn gespart wird an denen, die sich am wenigsten wehren – den Alten und den Kranken.
Natürlich sagt das keiner so direkt. Der IWF spricht von „Effizienzpotenzial“, die Politik von „nachhaltiger Finanzarchitektur“ – und das Echo in den Medien klingt wie eine harmonische Symphonie aus ökonomischer Vernunft und moralischer Alternativlosigkeit. Die Rentner? Werden „an der Lebenserwartung beteiligt“. Die Kranken? Werden zu „verantwortungsvoller Inanspruchnahme der Systeme“ ermuntert. Sparen heißt heute nicht mehr: etwas wegnehmen. Es heißt: neue Anreize setzen. Und wenn jemand auf dem Weg zum OP-Tisch zusammenbricht – na gut, dann war der Anreiz eben zu hoch.
Wirtschaftliche Vernunft oder politische Schizophrenie?
Merkwürdig nur, dass dieselbe Regierung, die heute den Gürtel enger schnallt, gestern noch voller Euphorie Milliardenpakete für alles Mögliche geschnürt hat: Klimarettung, Corona-Kompensationen, Beamtenpensionen im Paralleluniversum. Da floss das Geld wie Apfelsaft auf einer Kinderparty – großzügig, unreflektiert, und nach dem dritten Glas leicht erbrechlich. Jetzt plötzlich: Katerstimmung. Aber nicht bei denen, die getrunken haben, sondern bei denen, die schon vorher nüchtern waren. Denn sparen müssen jetzt nicht etwa jene, die politische Träume auf Pump finanziert haben, sondern die, die keine Lobby haben. Die Rentnerin, die sich zwischen Heizung und Butter entscheiden muss. Der Kassenpatient, der monatelang auf ein MRT wartet, während das Gesundheitsministerium ein neues Digitalprojekt mit Beratungsfirmen testet.
Und das Beste: All das geschieht im Namen der Generationengerechtigkeit! Man müsse „die Systeme für die Jungen erhalten“, sagen dieselben Politiker, die gerade Milliarden in Kurzzeitmaßnahmen pumpen, die exakt jenen Jungen eine Zukunft verbauen. Es ist die ökonomische Form der Schizophrenie: Man stiehlt den Enkeln das Erbe und nennt es Reform.
Pensionisten als Staatsfeinde
Der neue Lieblingsfeind der Spararchitekten ist der Pensionist. Nicht der Steuervermeider, nicht die Bankenrettung, nicht das Beraterwesen in Ministerien – nein, es ist die alte Dame mit Rollator, die mit ihrer Existenz die Statistik verhagelt. Man hört es durch die Blume, aber deutlich: Wer zu lange lebt, ist ein Kostenfaktor. Die Subtilität dieser Erzählung ist bemerkenswert. Früher galt das Alter als Lebensleistung, heute ist es eine fiskalische Unverschämtheit.
Pensionen werden eingefroren, angepasst, entkoppelt – nicht an die Lebenshaltungskosten, sondern an die Laune des Finanzministers. Gleichzeitig steigen die Gehälter im staatsnahen Bereich weiter, so planbar wie der Sonnenaufgang – und genauso alternativlos. Der Mythos, dass „alle ihren Beitrag leisten müssen“, gilt eben nur für jene, deren Beitrag keine politischen Konsequenzen hat. Oder, wie es der IWF ausdrücken würde: Low resistance, high yield.
Der schönste Ort zum Sparen – solange man gesund ist
Noch perfider wird’s im Gesundheitswesen. Der IWF empfiehlt Einsparungspotenzial, die Regierung nickt. Schließlich ist der Mensch am Ende seines Lebens teuer. Notfallstationen, Medikamente, Pflege – das alles kostet. Und was nichts einbringt, wird rationalisiert. Immerhin handelt es sich hier nicht um Produktivität, sondern um Menschlichkeit – ein schlecht kapitalisierbarer Wert. Und daher: zu streichen.
Die geplanten „Strukturmaßnahmen“ – herrlich, dieses Wort – bedeuten in der Praxis: Krankenhäuser zusammenlegen, Leistungen kürzen, Digitalisierung als Ersatz für Personal feiern. Chatbots statt Pflegekräfte, automatisierte Diagnosen statt Fachärzte, „Triage by Algorithmus“. Wer Glück hat, stirbt schnell. Wer Pech hat, wird weitergeleitet.
Dass genau dieses System von denselben Leuten beklatscht wird, die bei jeder Gesundheitskampagne betonen, wie wichtig Prävention und Menschlichkeit seien, ist kein Widerspruch – es ist das neue Normal. Heuchelei wurde professionalisiert, mit Logo, Farbpalette und PR-Berater.
Die absurde Logik der Zahlenheiligen
Die Politik der Gegenwart gleicht einem absurden Theaterstück, in dem niemand mehr weiß, ob er Schauspieler oder Zuschauer ist. Die Schuldenbremse wird angebetet wie eine goldene Kalbsleber – selbst wenn sie dem Patienten auf der Trage das Atmen erschwert. Sparen wird nicht mehr hinterfragt, sondern als Tugend gefeiert, selbst wenn es ökonomisch widersinnig ist. Denn jeder Ökonom weiß: Man kann sich nicht aus einer Krise herausknausern. Aber man kann so tun, als hätte man keine andere Wahl.
So lebt man von der Illusion der „verantwortungsvollen Haushaltsführung“, während man gleichzeitig das Fundament des Sozialstaates aushöhlt. Und alle machen mit: Medien, weil sie Reformen gut finden, solange sie nicht selbst betroffen sind. Experten, weil sie sich in Studien verlieren. Und Bürger, weil ihnen niemand erklärt hat, dass auch ein „sparsamer Staat“ arm machen kann – vor allem die Falschen.
Applaus vom IWF, Apnoe beim Volk
Man möchte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Aber zum Glück hat Satire ihre stärksten Momente im Angesicht der Absurdität. Und was ist absurder als eine Regierung, die sich von internationalen Institutionen diktieren lässt, bei wem im Land zu kürzen sei? Der Internationale Währungsfonds hat gesprochen. Die Regierung gehorcht. Die Alten zahlen. Die Kranken warten. Und die Jungen? Die sollen später irgendwann mal dafür danken, dass man ihnen den Weg in eine finanziell stabile, aber moralisch bankrotte Zukunft geebnet hat.
Und wenn das alles nicht hilft, dann kann man ja noch ein bisschen an der Bildung sparen. Wer nicht versteht, was mit ihm passiert, protestiert auch nicht. Effizienzpotenzial, eben.