
1 Million Sekunden sind 11 Tage
Klingt überschaubar, nicht wahr? In elf Tagen kann man sich von einer Erkältung erholen, ein schlecht geplantes Bauprojekt verfehlen oder sich in einen dreiteiligen Netflix-True-Crime-Dokumentarfilm vertiefen. 1 Million klingt groß, erhaben, bedeutungsvoll – bis man feststellt, dass es einfach nur knapp anderthalb Wochen sind. Und doch, wer mit „Millionen“ um sich wirft, genießt in der Regel Respekt. Ein Millionär? Ein Schwergewicht. Eine Million Tote? Eine Tragödie. Eine Million fünfzigste Wahlkampfversprechung? Ein Dienstag.
1 Milliarde Sekunden sind 31 Jahre und 259 Tage
Die Perspektive wechselt. Plötzlich sind wir in der Länge eines ganzen Menschenlebens angekommen. Ein Mensch kann in dieser Zeit geboren werden, aufwachsen, Steuern zahlen, ein Eigenheim finanzieren (wenn er vor 20 Jahren investiert hat) und nach drei Jahrzehnten feststellen, dass er sich immer noch keinen Tesla leisten kann. Die „Milliarde“ jedoch, die so gerne als Chiffre des Fortschritts verkauft wird – ob nun in Staatsverschuldung, Tech-Start-up-Bewertungen oder bei jenen, die „Milliardär“ als Berufsbezeichnung in ihre Social-Media-Profile schreiben – verliert, wie die Million zuvor, schnell an Relevanz, wenn sie in die Sphäre des Alltags übersetzt wird.
1 Billion Sekunden sind 31.710 Jahre
Nun wird es absurd. Wir sprechen von Zeiträumen, die so weit jenseits des menschlichen Verstandes liegen, dass sie nur noch in der geologischen Geschichte oder der Science-Fiction eine Bedeutung haben. Vor 31.710 Jahren gab es keine Zivilisationen, keine verschuldeten Staaten, keine Milliardäre, keine „New Economy“, keine Zentralbanken, die mal eben Billionen in die Märkte pumpen, um eine Krise zu kaschieren. Damals malte man noch Mammuts an Höhlenwände und wusste nicht, dass Jahrtausende später eine Finanzelite mit ebenjenen Zahlen jonglieren würde, als handle es sich um das Kleingeld eines römischen Legionärs.
Die Billion als neue Einheit der Bedeutungslosigkeit
Die Billion ist in unserer modernen Finanzwelt nichts weiter als eine abstrakte Luftnummer. Regierungen werfen mit Billionen um sich, als seien es Knödel im Oktoberfestzelt. Banken retten sich mit Billionen, während der Durchschnittsbürger mit dem Taschenrechner versucht zu verstehen, wie seine Nebenkostenabrechnung schon wieder um 400 % steigen konnte. Die Zahlen verlieren jede Anbindung an die Realität, die Menschheit lässt sie bereitwillig los – und am Ende interessiert es niemanden mehr, ob eine Verschuldung „nur“ eine Billion oder eben zehn Billionen beträgt. Es sind eben „nur Zahlen“.
Das Problem der Skalenblindheit
Wer Billionen als Peanuts abtut, darf sich nicht wundern, wenn der Wert des Einzelnen, des Individuums, sich auflöst. Die „Statistik“ wird zum Deutungsrahmen, das „Big Picture“ zählt, während das Kleingedruckte, die Biografie, das gelebte Leben als unerheblich abgetan wird. 1 Milliarde hier, 1 Billion dort – aber was bedeutet das noch, wenn jeder Einzelne von uns dennoch nach 80 Jahren biologischer Uhr verabschiedet wird?
Am Ende stellt sich die Frage: Sind wir nicht alle nur Sekunden in einem System, das großer klingt, als es in Wahrheit ist?