Kürzungen im Sozialbereich

Ein Triumph der Empathielosigkeit

Es ist wieder einmal so weit: Die Botschaft hallt aus den Hallen des Elfenbeinturms der Ökonomie herab, herab auf jene Erdenschicht, in der sich die meisten Menschen mühselig durch ihren Alltag wühlen. Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, hat der künftigen deutschen Regierung geraten, im Sozialbereich zu kürzen. Diese Aussage hat die Eleganz eines chirurgischen Schnitts, doch mit der Präzision eines Holzfällers, der sich an einem Bonsai-Baum versucht. Ach, wie treffend, wie wohlkalkuliert – oder eben doch nur das nächste Kapitel im Märchenbuch des neoliberalen Wirtschaftsglaubens, in dem der Markt allwissend, allgütig und allmächtig ist.

Fuest denkt auch an „Erleichterungen für Unternehmen“, jenen tapferen Titanen, die unter der unbarmherzigen Last von Steuern, Regulierung und einem Minimum an sozialer Verantwortung ächzen. Doch sind es nicht dieselben Unternehmen, die seit Jahren Steuererleichterungen genießen, die gern Subventionen annehmen, aber beim kleinsten Hauch von Solidarität in Ohnmacht fallen? Es ist fast rührend, wie selbstlos diese Profitmaximierer in den Mittelpunkt der ökonomischen Diskussion gerückt werden, während jene, die die eigentliche Arbeit leisten, im Schatten stehen gelassen werden, um nicht die glänzende Fassade der Märkte zu stören.

Wem dient der Sozialstaat? Spoiler: Nicht der Wirtschaft

Kürzen im Sozialbereich – das klingt so pragmatisch, so rational, so … notwendig. Das sind die Worte, die uns Fuest und seinesgleichen einreden, mit einem Lächeln, das so viel Wärme ausstrahlt wie die Steuerabteilung eines Großkonzerns. Doch was steckt hinter dieser Logik? Es ist die Annahme, dass der Sozialstaat in erster Linie ein Hindernis für das Wirtschaftswachstum sei, ein Kostenfaktor, den es zu minimieren gilt. Dass der Sozialstaat kein Selbstzweck ist, sondern ein Instrument, um das Leben der Menschen zu verbessern, scheint in der Logik der Marktjünger keine Rolle zu spielen. Nein, der Mensch wird hier nicht als Bürger gesehen, nicht als Träger von Rechten, sondern als Arbeitskraft, als Kostenstelle, als etwas, das optimiert werden muss.

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Dabei ist es keine neue Erkenntnis, dass gerade ein starker Sozialstaat die Grundlage für eine stabile Wirtschaft ist. Wer sich nicht sorgen muss, wie er die nächste Miete bezahlt, wer Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung hat, der kann innovativ sein, der kann Risiken eingehen, der kann … oh, Moment, das klingt fast wie das Idealbild eines Unternehmers. Aber dieser Gedanke passt natürlich nicht in das Weltbild derjenigen, die den Sozialstaat als Bürde betrachten, als unnötigen Luxus in einer Welt, in der Profit das einzige Maß aller Dinge ist.

Die Wirtschaft als Krone der Schöpfung

„Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut“, heißt es. Aber wer ist „die Wirtschaft“? Ist es der Kleinunternehmer, der jeden Tag ums Überleben kämpft? Oder sind es die Konzerne, deren Vorstände Boni in Millionenhöhe kassieren, während sie Arbeitsplätze abbauen und Steueroasen nutzen? Wenn von „der Wirtschaft“ die Rede ist, dann scheint es stets um diese Letzteren zu gehen, jene abstrakten Entitäten, die weder Mitgefühl noch Moral kennen und deren einziges Ziel die Steigerung des Shareholder Value ist.

Doch was passiert, wenn man „die Wirtschaft“ auf Kosten des Sozialstaats stärkt? Man bekommt ein System, in dem die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Ein System, in dem soziale Mobilität ein Relikt aus einer besseren Vergangenheit ist. Ein System, in dem die Menschen nicht mehr nach oben schauen, weil sie aufsteigen wollen, sondern weil sie die nächste Hiobsbotschaft erwarten, die auf sie herabregnet.

Und dennoch wird uns dieser Satz immer wieder vorgebetet, wie ein religiöses Mantra. Es ist eine Glaubensfrage, kein ökonomischer Fakt. Denn in Wahrheit geht es der Wirtschaft nicht dann gut, wenn es uns allen gut geht, sondern wenn die Profite sprudeln – ganz gleich, wie es den Menschen dahinter geht. Und hier liegt der Kern des Problems: Die Wirtschaft dient nicht dem Menschen, sondern der Mensch der Wirtschaft. Und das ist der eigentliche Skandal.

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Eine Polemik mit einem Augenzwinkern

Nun könnte man sagen, dass all diese Gedanken reichlich zynisch sind. Aber was bleibt einem anderes übrig, wenn man auf Vorschläge wie die von Herrn Fuest blickt? Es ist doch geradezu grotesk, wie unverblümt hier suggeriert wird, dass die Lösung für alle wirtschaftlichen Probleme darin besteht, die Schwächsten noch weiter zu belasten. Es ist, als würde man einem Mann, der im Regen steht, den Schirm wegnehmen, damit er lernt, härter zu arbeiten. Doch der Witz ist: Man erwartet gar nicht, dass er härter arbeitet. Man erwartet nur, dass er still leidet.

Am Ende bleibt uns nur der Humor, um dieser Absurdität zu begegnen. Vielleicht sollten wir Herrn Fuest vorschlagen, nicht nur den Sozialbereich zu kürzen, sondern gleich alle sozialen Errungenschaften der letzten 150 Jahre abzuschaffen. Warum nicht gleich das Kinderarbeitsschutzgesetz aufheben? Das könnte doch die Produktivität steigern! Und wenn wir schon dabei sind, wie wäre es mit der Wiedereinführung des Zehnten? Schließlich muss ja irgendjemand die Steuerlast tragen, wenn die Unternehmen sie nicht mehr tun.

Ein Scherbenhaufen als Zukunftsmodell

Es ist leicht, polemisch zu sein, wenn man solche Vorschläge hört, und schwer, es nicht zu sein. Denn hinter der sachlich klingenden Forderung nach Kürzungen im Sozialbereich steckt nichts weniger als eine Bankrotterklärung der Solidarität. Es ist der Versuch, die soziale Frage mit einem Federstrich aus der Welt zu schaffen – auf Kosten jener, die ohnehin schon am meisten zu kämpfen haben.

Doch vielleicht ist dies der Punkt, an dem wir anfangen sollten, die Dinge umzudrehen. Vielleicht sollten wir nicht länger fragen, wie wir die Wirtschaft entlasten können, sondern wie die Wirtschaft die Menschen entlasten kann. Vielleicht sollten wir nicht länger darauf warten, dass die Segnungen des Marktes zu uns herabregnen, sondern selbst entscheiden, wie wir in einer gerechten Gesellschaft leben wollen.

Bis dahin bleibt uns nur, Herrn Fuest für seinen „mutigen“ Vorschlag zu danken – und ihn höflich, aber bestimmt in die Mottenkiste der Ideen zu befördern, die besser niemals umgesetzt werden. Denn eines ist sicher: Kürzungen im Sozialbereich mögen der Wirtschaft kurzfristig helfen, aber sie schaden langfristig uns allen. Und das ist weder pragmatisch noch rational – das ist einfach nur kurzsichtig.

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