
Ein Urteil wie ein Faustschlag
Es war einer jener Tage, an denen man das Gefühl hat, die Justiz habe sich ins Feuilleton verirrt, um dort ein besonders zynisches Stück absurden Theaters aufzuführen. Ein 17-jähriger Angeklagter, ein 12-jähriges Mädchen, und eine Richterin, die mit bemerkenswerter Chuzpe einen Freispruch begründet, der eher an das Drehbuch eines schlechten Gerichtsshow-Dramas erinnert. Die Urteilsbegründung? Der junge Syrer habe „annehmen können“, das Mädchen habe freiwillig mit ihm schlafen wollen, weil – und jetzt festhalten – man ja oft „Nein sagt und sich dann durch Zärtlichkeiten überzeugen lässt“. Der Freispruch, ein juristisches Kabinettstückchen zwischen Hohn und Inkompetenz, steht sinnbildlich für eine Justiz, die sich offenbar mehr um das Streben nach Erklärbarkeit als nach Gerechtigkeit bemüht.
Doch der Reihe nach: Wie kommt es, dass ein solches Urteil in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht nur gefällt, sondern auch noch ernsthaft verteidigt wird? Ist es Ignoranz? Bequemlichkeit? Oder doch eine zynische Kapitulation vor der Komplexität menschlicher Beziehungen? Wir müssen diese Farce Stück für Stück sezieren, auch wenn uns dabei vor Scham die Feder zittern mag.
Das „Nein“, das keine Bedeutung mehr hat
Seit Jahrzehnten kämpft die Frauenrechtsbewegung darum, dass ein „Nein“ auch ein Nein bleibt. Einfach. Klar. Eindeutig. Doch in diesem Fall wird das „Nein“ zur Fußnote, zur rhetorischen Floskel, die angeblich nicht wirklich ernst gemeint sei. Die Richterin, in ihrer Weisheit und offenkundigen Bindung an das romantische Narrativ, wonach Liebe und Sex immer ein bisschen kompliziert seien, entwirft ein Szenario, das mit der Realität eines 12-jährigen Mädchens ungefähr so viel zu tun hat wie ein Rosamunde-Pilcher-Film mit dem Arbeitsalltag einer Stahlkocherin.
Wie bitte? Ein Kind, das gesetzlich gar nicht in der Lage ist, eine sexuelle Handlung zu „wollen“, wird durch die nebulösen Annahmen eines Angeklagten plötzlich zur Projektionsfläche für dessen Verlangen? Man fragt sich, ob die Richterin je von dem Konzept der Machtasymmetrie gehört hat – oder ob sie glaubt, dass ein 12-jähriges Mädchen „Ja“ meint, wenn es verzweifelt versucht, eine gefährliche Situation zu entschärfen.
Kulturelle Kontexte und die selektive Blindheit der Justiz
Der Angeklagte ist Syrer, und wie es scheint, spielt dies in der Urteilsfindung eine nicht unerhebliche Rolle. Implizit schwingt in der Begründung ein unerträglich paternalistischer Ton mit: „Er konnte es ja nicht wissen, weil andere kulturelle Normen.“ Ein Argument, das nicht nur die Unfähigkeit des deutschen Rechtssystems, universelle Standards durchzusetzen, offenbart, sondern auch eine Form des stillschweigenden Rassismus, die tief verankert zu sein scheint.
Stellen Sie sich vor, ein deutscher Jugendlicher hätte sich mit der gleichen Verteidigung herauszureden versucht: „Ich dachte, das ‚Nein‘ sei nicht ernst gemeint.“ Hätte man ihm dieselbe Nachsicht gewährt? Oder hätte man ihn für einen berechnenden Täter gehalten, der sich bewusst über die Grenzen einer Minderjährigen hinwegsetzt? Die selektive Anwendung von Verständnis und Milde ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht des Opfers, sondern auch eine Bankrotterklärung des Gleichheitsprinzips vor dem Gesetz.
Das „Spiel der Zärtlichkeiten“ und die groteske Romantisierung des Missbrauchs
„Zuerst Nein sagen und sich dann durch Zärtlichkeiten überzeugen lassen“ – selten hat eine juristische Formulierung so sehr nach dem Plot eines schlechten Groschenromans geklungen. Diese absurde Aussage offenbart nicht nur ein beängstigendes Maß an Realitätsverlust, sondern trägt auch dazu bei, gefährliche Mythen über Einvernehmlichkeit und sexuelle Gewalt zu zementieren.
Stellen wir uns einmal vor, wie diese Formulierung auf das Opfer wirken muss. Da ist ein Mädchen, das mit zwölf Jahren nicht einmal annähernd die emotionale Reife hat, die Tragweite sexueller Handlungen zu erfassen, und dessen „Nein“ von einer Richterin als bloße Vorspiel-Rhetorik abgetan wird. Welche Botschaft sendet das aus? Dass Opfer sich besser überlegen sollten, ob sie überhaupt noch „Nein“ sagen, weil es ohnehin nicht ernst genommen wird?
Von Freisprüchen und Freibriefen
Es ist schwer, diesen Fall zu betrachten, ohne ihn als Symptom einer viel größeren Problematik zu erkennen. Die Justiz, eigentlich als Bastion von Gerechtigkeit und Schutz gedacht, wird zur Verwalterin von Grauzonen, in denen Täter Freibriefe und Opfer Hohn ernten. Dieses Urteil ist nicht nur ein Freispruch für den Angeklagten, sondern ein Freispruch für alle, die glauben, dass Macht und Manipulation über dem Gesetz stehen.
Man mag versucht sein, die Richterin als Einzelfall zu betrachten, als skurrile Anomalie in einem ansonsten funktionierenden System. Doch leider ist sie nur die Spitze des Eisbergs. Solange es solche Urteile gibt, wird jede Kampagne, die ein „Nein“ als endgültig und bindend festlegen will, ad absurdum geführt.
Die Farce geht weiter
Wenn die Richterin tatsächlich glaubte, mit ihrer Begründung juristische Maßstäbe zu setzen, so hat sie vor allem eines bewiesen: Dass Zynismus und Ignoranz manchmal Hand in Hand gehen können, um die Fahne des Rechtsstaats auf Halbmast zu setzen.
Man möchte lachen, wenn es nicht so tragisch wäre. Stattdessen bleibt nur die bittere Erkenntnis, dass das, was in diesem Urteil geschehen ist, nicht bloß eine juristische Fehlentscheidung ist, sondern ein Symbol für den fortschreitenden Verfall von Werten, die einst für unverrückbar galten.
„Nein heißt Nein“ war gestern. Heute heißt es: „Vielleicht. Mal sehen. Und wenn nicht, klären wir es vor Gericht.“ Ein bitteres Ende für ein Konzept, das eigentlich so simpel sein sollte.