Das Märchen der Wehrhaftigkeit

Wehrhafte Demokratie vs. Hilflose Demokratie

Die „wehrhafte Demokratie“ ist eines dieser magischen Schlagworte, das Politiker aller Couleur mit der Eleganz eines rhetorischen Fechthiebes aus der Tasche ziehen, wenn sie die Legitimation ihrer Maßnahmen verteidigen müssen. Wie ein schimmernder Schild soll sie alles Böse abwehren – Populisten, Extremisten, Reichsbürger, Twitter-Trolle. Doch wer genauer hinsieht, erkennt schnell, dass die vermeintliche Wehrhaftigkeit oft nichts weiter ist als eine Fassade: darunter versteckt sich nicht selten eine hilflose Demokratie, die mehr mit sich selbst als mit ihren Feinden kämpft.

Ein System, das sich selbst als Bastion der Freiheit preist, tut sich erstaunlich schwer, genau diese Freiheit auszuhalten. Während nach oben hin erstaunlich viel durchgewinkt wird – sei es die groteske Übergriffigkeit eines Fußballpräsidenten oder die fragwürdigen Narrative wirtschaftlicher Eliten –, wird „unten“ rigoros durchgegriffen: Kritik, Satire und Gegenstimmen von einfachen Bürgern werden nicht selten mit juristischen Keulen niedergezwungen. In der Folge entsteht keine wehrhafte, sondern eine zutiefst fragile und hilflose Demokratie, die wie ein verängstigter Wachhund auf jedes Geräusch im Unterholz reagiert.

Im Bann des Verbotismus

Die Wehrhaftigkeit einer Demokratie misst sich angeblich daran, wie entschlossen sie ihre Grundwerte verteidigt. Doch wehe, diese Werte geraten in die Nähe von Unbequemlichkeit. Dann wird „Wehrhaftigkeit“ plötzlich zum Euphemismus für Repression. Der politische Diskurs verschiebt sich – weg von Überzeugung, hin zur Kontrolle.

So wird fleißig verboten: Parteien werden verboten, Vereine aufgelöst, Meinungsäußerungen sanktioniert. Jüngstes Beispiel ist der reflexartige Ruf nach Verboten bei jeder neuen „ideologischen Gefahr“. Wer sich jenseits des demokratischen Konsenses bewegt – sei es aus linker, rechter oder einfach nur querdenkender Richtung –, muss mit Sanktionen rechnen. Das Problem ist: Diese Art von „Wehrhaftigkeit“ sorgt nicht für Respekt, sondern für Misstrauen. Eine Demokratie, die Angst davor hat, sich mit ihren Kritikern auseinanderzusetzen, wirkt nicht wehrhaft, sondern schwach.

Der Verbotismus wird zur Droge, von der man nicht mehr loskommt. Ein immer kleinerer Teil des Diskurses bleibt zulässig, während sich in den Randbereichen der Gesellschaft der Frust zusammenbraut. Die viel beschworene „wehrhafte Demokratie“ riskiert damit, die eigene Daseinsberechtigung zu untergraben.

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Die Zweiklassengesellschaft der Meinungsfreiheit

Noch offensichtlicher wird die Schieflage, wenn man die Meinungsfreiheit betrachtet. Diese gilt laut Verfassung für alle – doch in der Praxis scheint sie von zwei Geschwindigkeiten geprägt zu sein: eine für die Mächtigen, eine für die Machtlosen.

Der Präsident von Eintracht Frankfurt, Peter Fischer, ließ kürzlich mit Gewaltphantasien gegen politisch unliebsame Gruppen aufhorchen („Gebt ihnen Ohrfeigen, kotzt ihnen ins Gesicht.“). Die Konsequenzen? Keine. Die Staatsanwaltschaft Köln sieht darin anders als die 65 Menschen, die gegen Fischers Aussage Anzeige erstatteten, keinen ernst gemeinten Aufruf zu einer Straftat. Fischer habe offenkundig übertrieben und sich bildhaft ausgedrückt, teilte die Staatsanwaltschaft. Im Sinne einer emotionalen Fundamentalkritik an der AfD sei das erlaubt. Die gleichen Politiker, die sich sonst als Hüter der demokratischen Debatte inszenieren, hüllen sich in Schweigen, wenn die „falsche Seite“ betroffen ist.

Auf der anderen Seite stehen die vermeintlich machtlosen Kritiker, die ihre Meinung in sozialen Netzwerken kundtun – oft mit scharfer Zunge, manchmal mit überspitzter Polemik, selten jedoch mit der Wirkung eines millionenschweren Fußballfunktionärs. Und doch: Wer es wagt, gegen die politische oder wirtschaftliche Elite zu sticheln, sieht sich nicht selten mit einer Klagewelle konfrontiert, die existenzgefährdend sein kann.

Diese asymmetrische Durchsetzung der Meinungsfreiheit trägt dazu bei, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen weiter zu erodieren. Die Botschaft ist klar: Macht schützt, während Machtlosigkeit dich angreifbar macht.

Die Hilflosigkeit der Überreaktion

Doch warum reagiert die Demokratie auf ihre Kritiker so empfindlich? Die Antwort liegt in ihrer Unsicherheit. Eine hilflose Demokratie erkennt sich selbst nicht mehr in ihren eigenen Werten und versucht, die entstehende Leerstelle mit rigiden Maßnahmen zu füllen.

Diese Unsicherheit zeigt sich auch in der unheilvollen Allianz zwischen der Politik und der Justiz. Wenn Einzelpersonen plötzlich mit Hunderten von Klagen überzogen werden – nicht, weil sie Verbrechen begangen hätten, sondern weil sie es wagten, kritische Fragen zu stellen –, dann wird die Justiz zum Werkzeug der Einschüchterung.

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Anstatt sich souverän mit Argumenten zu wehren, greift die Demokratie zu juristischen Mitteln. Das ist keine Wehrhaftigkeit, sondern die Kapitulation vor dem eigenen Anspruch. Eine wehrhafte Demokratie müsste in der Lage sein, Kritik auszuhalten – auch die unangenehme, auch die unbequeme, auch die überzogene.

Der Mythos der absoluten Sicherheit

Das Streben nach „wehrhafter Demokratie“ hat auch eine dunkle Seite: den Wunsch nach absoluter Sicherheit. Doch Demokratie ist per Definition ein offenes System, das Risiken in Kauf nimmt. Wer absolute Sicherheit will, landet unweigerlich bei der Diktatur.

Die hilflose Demokratie erkennt dies nicht. Sie versucht, sich durch immer mehr Kontrolle und Verbote abzusichern, und merkt dabei nicht, dass sie genau das Vertrauen verspielt, das sie eigentlich stärken möchte. Die Bürger spüren, dass die Maßnahmen weniger dem Schutz der Demokratie als der Machtsicherung dienen. Die Konsequenz ist eine schleichende Entfremdung zwischen der Bevölkerung und ihren politischen Institutionen.

Wehrhaftigkeit durch Souveränität

Doch wie könnte eine wirklich wehrhafte Demokratie aussehen? Sie wäre souverän, gelassen und würde ihre Stärke daraus ziehen, dass sie sich ihrer Werte sicher ist. Sie würde die Auseinandersetzung mit Kritikern nicht scheuen, sondern als Chance begreifen, sich weiterzuentwickeln.

Eine wehrhafte Demokratie braucht keine Klagewellen gegen machtlose Kritiker. Sie braucht keine rigiden Verbote und keine Angst vor Meinungsäußerungen, die außerhalb des Konsenses liegen. Sie braucht das Vertrauen in ihre eigenen Argumente – und den Mut, auch unangenehme Wahrheiten auszuhalten.

Wehrhaftigkeit als Selbstkritik

Die wahre Stärke einer Demokratie liegt nicht in ihrer Fähigkeit, alles Unerwünschte zu unterdrücken, sondern in ihrer Bereitschaft, sich mit ihren Widersprüchen auseinanderzusetzen. Eine Demokratie, die dies tut, wirkt nicht hilflos, sondern wehrhaft – nicht durch Repression, sondern durch Souveränität.

Die derzeitige Praxis, Kritiker mit Klagen zu überziehen und unliebsame Meinungen zu verbieten, ist kein Zeichen von Wehrhaftigkeit, sondern ein Armutszeugnis. Es wird Zeit, dass die Demokratie sich selbst hinterfragt – und die Wehrhaftigkeit wieder zu dem macht, was sie sein sollte: ein Schutzschild für alle, nicht nur für die Mächtigen.

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Quellen und weiterführende Links

  1. Artikel 5 Grundgesetz: Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland.
  2. Süddeutsche Zeitung: „Eintracht-Präsident und seine Gewaltphantasien: Das große Schweigen“.
  3. Spiegel Online: „Zweiklassengesellschaft der Meinungsfreiheit: Wer darf noch was sagen?“
  4. FAZ: „Wehrhafte Demokratie: Vom Schutzschild zur Waffe?“
  5. Deutsche Welle: „Die Herausforderungen der wehrhaften Demokratie in der modernen Welt“.
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