
Vom paradoxen Fortschritt der Zerstörung
Es gibt wenige Branchen, die den Satz „Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ derart wörtlich nehmen wie die Rüstungsindustrie. Während Politiker und Diplomaten sich auf Friedenskonferenzen die Hand schütteln und in öffentlicher Betroffenheit die Stirn runzeln, sitzt man in den Konferenzräumen von Lockheed Martin, Rheinmetall und Almaz-Antey mit deutlich entspannteren Gesichtszügen. Warum auch nicht? Krieg ist schlecht für die Menschheit, aber exzellent fürs Geschäft. Das beweist ein Blick auf die jüngsten Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI: 632 Milliarden Dollar – so viel setzten die 100 größten Rüstungskonzerne 2023 um. Das ist fast eine Milliarde pro Tag. Wer braucht schon Frieden, wenn der Krieg so schön klingelt in der Kasse?
Die ultimative Konjunkturmaschine
In einer Welt, die vor Krisen überläuft wie ein schlecht gespülter Aschenbecher, bleibt der Krieg ein Anker der wirtschaftlichen Stabilität. Klimawandel? Erzeugt bestenfalls Nachfrage nach Katastrophenschutztechnologie. Pandemien? Schwierig – man kann nur so viele Impfstoffe verkaufen. Aber Krieg? Krieg ist die ultimative Konjunkturmaschine. Hier braucht niemand Kaufanreize, Subventionen oder Steuererleichterungen – Raketen bestellen sich praktisch von selbst, wenn erst einmal der richtige Funke gezündet ist.
Die Zahlen sprechen für sich: Während die globale Wirtschaft in den letzten Jahren wegen Pandemie, Inflation und Lieferkettenproblemen ins Straucheln geriet, feierte die Rüstungsbranche ein Comeback, das selbst Madonna neidisch machen würde. Nach einem kurzen, fast schon erschreckenden Einbruch 2022 schossen die Umsätze 2023 wieder um 4,2 Prozent in die Höhe. Besonders amerikanische Rüstungsriesen wie Lockheed Martin und Raytheon können sich nicht beklagen – 317 Milliarden Dollar, etwa die Hälfte des globalen Gesamtumsatzes, entfallen auf die USA.
Man stelle sich die Euphorie vor, wenn irgendwo auf der Welt die ersten Schüsse fallen. Während die einen vor den Trümmern ihrer Städte stehen, stehen andere vor ihren Gewinnberichten – und die sehen blendend aus.
Die neue Logik der Nachfrage
Wie verkauft man einen Krieg? Ganz einfach: Man wartet nicht darauf, dass Konflikte zufällig entstehen. Nein, die moderne Rüstungsindustrie weiß: Die Nachfrage nach Waffen ist keine Frage des Zufalls, sondern der Planung. Es braucht eine gezielte Kombination aus geopolitischen Spannungen, medialem Alarmismus und politischen Floskeln wie „Verteidigungsbereitschaft“.
Der Ukraine-Krieg liefert hier ein Lehrbuchbeispiel. Die westlichen Länder senden Panzer, Raketen und Munition nach Kiew, und während sie sich als Verteidiger der Demokratie inszenieren, kalkulieren sie längst, wie sich die eigenen Lager wieder auffüllen lassen. Es ist ein Kreislauf, der so zynisch wie effektiv ist: Jede verschossene Rakete bedeutet nicht nur Zerstörung vor Ort, sondern auch Umsatzsteigerung in den Konzernzentralen.
Die Waffenlieferungen in den Nahen Osten sind nicht weniger effektiv. Auch hier floriert das Geschäft. Allein die Türkei, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben in den letzten Jahren ihre Verteidigungsausgaben drastisch erhöht. Die Friedensforscher von SIPRI sprechen von einer „regionalen Aufrüstung“, was im Klartext bedeutet: Die Konflikte vor Ort sind noch nicht heiß genug, aber man arbeitet daran.
Krieg als nationale Industriepolitik
Besonders beeindruckend ist die Entwicklung in Russland. Trotz Sanktionen und internationalen Verurteilungen boomt die heimische Rüstungsindustrie. Man könnte fast meinen, der Krieg sei weniger eine geopolitische Katastrophe und mehr eine clever maskierte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Russische Konzerne wie Almaz-Antey oder Kalaschnikow steigern ihre Produktion in einem Tempo, das an die Hochzeiten der sowjetischen Planwirtschaft erinnert – nur diesmal mit Profit.
Hier zeigt sich, wie vielseitig Krieg sein kann. Er ist nicht nur ein Mittel zur territorialen Expansion, sondern auch ein Booster für die nationale Wirtschaft. Während westliche Analysten über das angeblich marode russische Militär lachen, lachen die russischen Waffenproduzenten über ihre Verkaufszahlen. Die Nachfrage nach Waffen, so stellt sich heraus, ist unempfindlich gegenüber moralischen Skrupeln.
Friedensforschung im Zeitalter der Eskalation
Die Rolle der Friedensforschung in dieser Entwicklung ist fast tragikomisch. Während Organisationen wie SIPRI akribisch dokumentieren, wie die Welt immer mehr in Gewalt versinkt, sind ihre Berichte selbst längst Teil des Systems. Sie liefern die Zahlen, die die nächste Runde der Aufrüstung rechtfertigen. Politiker zitieren sie, um zu erklären, warum ihre Länder mehr Geld in die Verteidigung stecken müssen.
Dabei wird der Begriff „Verteidigung“ immer großzügiger ausgelegt. Man verteidigt nicht nur Grenzen, sondern auch Handelsrouten, Bündnisse, Werte – alles, was sich irgendwie als Vorwand verwenden lässt. Und wenn die Friedensforscher dann warnen, dass die Welt immer näher an einen globalen Konflikt rückt, klingt das weniger wie eine Mahnung und mehr wie eine Verkaufsprognose.
Krieg als Dauerzustand
Die größte Errungenschaft der modernen Rüstungsindustrie ist jedoch die Transformation des Krieges vom Ausnahmezustand zum Normalfall. Kriege sind keine Ausrutscher mehr, sondern Bestandteile einer strategischen Kalkulation. Sie sind so allgegenwärtig wie das Wetter, und ihre Auswirkungen sind ebenso global spürbar. Ob in der Ukraine, im Gazastreifen oder im Südkaukasus – die Konflikte haben nicht nur lokale, sondern auch globale Dimensionen.
Jede Region wird zum Schauplatz einer größeren Machtprobe, und jede Machtprobe wird zum Katalysator für Rüstungsverkäufe. In diesem Kontext ist der Begriff „Friedensverhandlungen“ fast schon zynisch: Wer würde freiwillig auf eine so profitable Eskalationsdynamik verzichten?
Krieg ist ein gutes Geschäft
Krieg wirkt. Er zerstört Leben, er zerreißt Gemeinschaften, aber vor allem: Er füllt Konten. Die Zahlen von SIPRI zeigen, dass wir in einer Welt leben, in der Zerstörung einen messbaren wirtschaftlichen Wert hat. Die Ironie ist offensichtlich: Je mehr wir über Frieden reden, desto mehr investieren wir in die Mittel zur Gewalt. Der Krieg ist längst kein Unfall der Geschichte mehr – er ist ein Geschäftsmodell.
Was bleibt, ist die Frage, wie lange diese Dynamik noch aufrechterhalten werden kann. Wird es irgendwann einen Punkt geben, an dem die Zerstörung selbst die Basis des Geschäfts zerstört? Oder werden wir uns in einer Welt wiederfinden, in der Krieg nicht nur akzeptiert, sondern als unverzichtbar angesehen wird?
Quellen und weiterführende Links
- SIPRI: Rüstungsindustrie-Bericht 2023
- „Lockheed Martin: Gewinne trotz globaler Unsicherheiten“ – Financial Times, 2023
- „Russlands Rüstungsindustrie trotzt den Sanktionen“ – The Economist, 2023
- „Waffenexporte in den Nahen Osten auf Rekordniveau“ – Al Jazeera, 2023
- „Friedensforschung als Zynismus?“ – Zeit Online, 2024