Profit über Pietät

Gedenkstätte statt Gewerbepark

In Leobersdorf, einer kleinen Gemeinde im Bezirk Baden, will man Großes schaffen. Und mit „Groß“ meinen wir: einen Gewerbepark. Büroflächen, vielleicht ein Logistikzentrum, ein bisschen urbaner Chic zwischen Parkplatz und Schnellstraße. Alles gut, könnte man meinen, gäbe es da nicht eine kleine, geschichtsträchtige Randnotiz, die man offenbar allzu leicht vergessen hat: Auf diesem Areal stand einst das zweitgrößte Frauenkonzentrationslager Österreichs. Hier wurden mindestens 400 Frauen interniert, gefoltert, ermordet. Und genau hier soll jetzt ein Gewerbepark entstehen.

Es ist ein moralisches Dilemma, wie es ein Drehbuchautor nicht besser schreiben könnte: Sollten wir nicht ausgerechnet solche Orte bewahren, um uns zu erinnern? Oder ist die bauliche Umnutzung historischer Schande ein akzeptabler Preis für ökonomischen Fortschritt? Bürgermeister und Investoren scheinen die Antwort gefunden zu haben. Die Bagger jedenfalls stehen schon bereit, die Vergangenheit endgültig zuzuschütten.

Geld stinkt nicht, außer es riecht nach Geschichte

„Wie geschichtsvergessen kann ein Bürgermeister sein?“ mag man sich empören. Doch vielleicht ist das Wort „geschichtsvergessen“ hier unzutreffend. Denn Vergessen setzt voraus, dass man sich je erinnert hat. Die wahre Tragödie ist, dass Orte wie Leobersdorf oft nicht einmal im kollektiven Gedächtnis angekommen sind. Die Verbrechen, die hier geschahen, verblassen hinter der Nebelwand aus Kommunalpolitik und Wirtschaftsförderung.

Ein Gewerbepark ist schließlich modern, lukrativ, greifbar. Millionen fließen – und was fließt besser als Geld? Ein Gedenkort hingegen bringt keine Steuereinnahmen, keine neuen Arbeitsplätze und garantiert keinen Imagefilm mit Drohnenaufnahmen. Gedenken, so scheint es, ist für Bürgermeister kein Geschäftsmodell. Und wer sich in der Geschichte auskennt, weiß: Ein Gewerbepark ist die ultimative Absolution für jede Schuld. Die Botschaft ist klar: „Das hier war mal eine Baustelle des Grauens. Jetzt ist es eine Baustelle der Hoffnung. Herzlichen Glückwunsch zur wirtschaftlichen Transformation.“

Ein Ort des Grauens, neu bebaut

Man stelle sich die Eröffnungszeremonie vor: Ein Bürgermeister mit goldenem Spaten, umringt von lächelnden Geschäftsleuten, vielleicht sogar ein Band zum Durchschneiden. Auf dem Parkplatz vor dem Gewerbepark verkaufen Food Trucks biologisch abbaubare Bowls. Niemand wird sich an die Schreie der Frauen erinnern, die einst hinter diesen Zäunen zu hören waren. Denn Schreie stören beim Networking.

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Die Opfer von Leobersdorf? Viele von ihnen kamen aus der damaligen Sowjetunion, Polen oder Italien – keine Wählergruppe, die man in Leobersdorf zu fürchten hätte. Die Israelitische Kultusgemeinde betont, dass es nicht nur um jüdische Opfer geht, sondern um Frauen unterschiedlichster Herkunft. Doch die Antwort der Verantwortlichen lautet sinngemäß: „Wir gedenken doch eh schon überall. Muss wirklich jedes KZ eine Gedenkstätte sein?“

Diese Frage ist so abgründig, dass man gar nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Denn sie zeigt: Die Diskussion ist längst keine moralische mehr. Sie wird auf der Ebene des Pragmatismus geführt, als ginge es um einen Dorfladen, der einer Tankstelle weichen muss.

Der Geist des Neoliberalismus trifft den Atem der Geschichte

Die Situation in Leobersdorf ist keine Anomalie, sondern ein Symptom eines größeren Problems: der monetarisierten Geschichtslosigkeit. Orte wie Auschwitz oder Mauthausen sind in das kollektive Bewusstsein eingebrannt. Doch kleinere Lager wie Leobersdorf sind es nicht – und genau diese Lücke nutzt die Profitlogik aus. Wenn etwas keinen Marktwert hat, existiert es nicht.

Die moralische Verantwortung, die mit solchen Orten einhergeht, wird in neoliberalen Kategorien umgedeutet: Kann man das Gelände vielleicht „teilweise“ erinnern? Einen kleinen Gedenkstein am Parkplatz aufstellen, zwischen den Stellplätzen für SUVs? Vielleicht könnte man die Straßen nach Opfern benennen: „Rita-Weiß-Gasse“, direkt neben „Amazon Drive“. Das wäre doch eine Win-Win-Situation, oder nicht?

Die Bagger rollen, das Schweigen wächst

Die Symbolik, die sich hier abzeichnet, ist erschreckend: Der Bürgermeister von Leobersdorf (dessen Name hier nicht genannt werden soll – aber nicht aus Anstand, sondern aus Abscheu) scheint mehr mit den Toten gemeinsam zu haben, als ihm lieb ist. Beide schweigen. Doch während die Toten aus ihrem Leid heraus verstummten, tut es der Bürgermeister aus Kalkül.

Was sagen die Bürgerinnen und Bürger? Viele schweigen ebenfalls. Vielleicht aus Scham, vielleicht aus Gleichgültigkeit. Oder weil sie in einem System leben, in dem Erinnerung kein Gewinn, sondern nur eine weitere „Belastung“ darstellt. Doch genau hier liegt das eigentliche Problem: Es geht nicht nur um das Gelände in Leobersdorf, sondern um die Frage, was wir bereit sind zu vergessen, wenn der Preis stimmt.

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Stimmen aus der Vergangenheit

Zum Glück gibt es noch Menschen, die nicht bereit sind, dieses Schweigen hinzunehmen. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, das Mauthausen Komitee und die Direktorin des Mauthausen Memorial fordern, dass das Gelände ein Gedenkort wird. Ihre Argumente sind bestechend: Es geht nicht nur um die Erinnerung an die Opfer, sondern auch um eine Warnung an die Gegenwart. Wer diese Orte beseitigt, beseitigt die Möglichkeit, aus der Geschichte zu lernen.

Doch ihre Stimmen sind in der Minderheit. Sie kämpfen gegen eine Übermacht aus Baumaschinen, Investoren und Politikern, die sich hinter Floskeln wie „wirtschaftliche Notwendigkeit“ verstecken. Gedenken, so sagen sie indirekt, ist ein Luxus, den sich nur reiche Gesellschaften leisten können. Aber was bleibt von einer Gesellschaft, die ihre eigene Geschichte verkauft?

Ein Gewerbepark für das Vergessen

Leobersdorf steht exemplarisch für die Tragödie, die entsteht, wenn Profitdenken auf historische Verantwortung trifft. Der geplante Gewerbepark ist nicht nur eine Beleidigung für die Opfer des Konzentrationslagers, sondern auch ein Symbol für die moralische Verkommenheit, die sich ausbreitet, wenn Geld die einzige Währung ist.

Es bleibt zu hoffen, dass der Widerstand erfolgreich ist – nicht nur für Leobersdorf, sondern als Zeichen dafür, dass es noch Menschen gibt, die sich weigern, die Geschichte unter einer Schicht aus Beton, Asphalt und Gleichgültigkeit zu begraben.


Quellen und weiterführende Links

Die Presse: „Warum wir Leobersdorf nicht vergessen dürfen“.
Israelitische Kultusgemeinde Wien – Pressemitteilung zur Causa Leobersdorf.
Mauthausen Komitee Österreich – Hintergrundinformationen zu den KZ-Außenlagern.
Der Standard: „Gewerbepark auf KZ-Gelände: Ein Deal, der empört“.
ORF.at: „Gedenken oder Gewerbepark: Die Kontroverse um Leobersdorf“.

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