
Ein harmloser Däne, ein böser Prophet und der kollektive Herzinfarkt des Westens
Es war einmal, vor nunmehr zwanzig Jahren, ein kleines dänisches Blatt namens Jyllands-Posten, dessen notorische Unbekanntheit im globalen Maßstab nur noch von der Harmlosigkeit seiner Redaktion übertroffen wurde. Bis zu jenem Tag, als zwölf Karikaturen Mohammeds die Welt aufrüttelten – nicht etwa durch ihre boshaftige Brillanz oder anarchistische Provokation, sondern schlicht durch das Verbrechen, die gottgegebenen Gefühle einer Religion zu berühren. Ein Funke genügte, und die Flammen der internationalen Empörung loderten, als habe jemand Öl auf ein ohnehin loderndes Pulverfass gegossen. Zwei Jahrzehnte später, nach Boykotten, Brandstiftungen, Mordanschlägen und ungezählten diplomatischen Eiern, die sich die westliche Welt selbst ins Nest gelegt hat, bleibt die traurige Wahrheit: Der Westen hat kaum etwas gelernt.
Man kann sich das Szenario bildlich vorstellen: Dänen, die in aller Ruhe ihre Karikaturen drucken, während im Rest der Welt Köpfe rollen – und der Westen, dieser stolze Hort von Aufklärung und Rationalität, schaut hilflos zu, als handle es sich um einen Streichelzoo, in dem plötzlich Löwen ausbrechen. Harmlos wie ein Turban mit brennender Lunte, harmlos wie ein kritischer Blick auf Religion, und doch von einer Gewalt flankiert, die die westliche Fantasie sprengt.
Skandalöse Selbstverständlichkeiten: Warum Freiheit gefährlich ist
Flemming Rose, der Kulturchef von Jyllands-Posten, dachte wohl, er spiele ein harmloses Spiel: 40 Zeichner wurden angefragt, zwölf beteiligten sich, und heraus kam das berühmteste Bild Mohammeds seit der Geburt des Propheten selbst. Es zeigt einen Turban mit brennender Lunte – eine Visualisierung, die in der christlich geprägten Welt kaum Aufsehen erregt hätte, aber in der globalen Arena des politischen Islam als Affront, Provokation und Kriegserklärung zugleich verstanden wurde. Die Imame Dänemarks riefen empört: „Der Islam darf nicht mit Gewalt oder Spott in Verbindung gebracht werden!“ Und so begann die Lehrstunde, die westliche Gesellschaften bis heute nicht verstanden haben: Freiheit ist gefährlich, und das Wissen darum wird in den Elfenbeintürmen europäischer Parlamente und Redaktionsstuben lieber verdrängt.
Die Staatsanwaltschaft in Viborg stellte das Verfahren ein, der Blasphemie-Paragraph wurde 2017 abgeschafft – aber wer glaubt, dass das die islamistischen Empörungskampagnen gebremst hätte, irrt sich gründlich. Für die Organisatoren der globalen Entrüstung war das nur der Auftakt zu einer zwei Dekaden andauernden Machtdemonstration gegen westliche Prinzipien.
Von Kopenhagen in die ganze Welt: Wenn Karikaturen töten
Januar 2006: Ein Nachdruck in Norwegen genügt, und plötzlich mobilisiert sich die islamische Welt, als stünde die Apokalypse unmittelbar bevor. Boykotte, Botschaftsschließungen, Brandanschläge, Lynchandrohungen, Morde – die westliche Presse berichtet, debattiert, entschuldigt sich hier, relativiert dort, während überall sonst Menschen sterben. Gaza, Teheran, Nigeria: Namen von Städten, die wie Kapitelüberschriften eines grausamen Romans klingen. Über hundert Tote in Nigeria allein, Kirchen niedergebrannt, Kinder ermordet – und im Westen diskutiert man, ob man die Karikaturen nachdrucken solle. Der kollektive Realitätsverlust erreicht hier seinen Zenit: Freiheit als intellektuelles Spiel, Gewalt als unerwartetes Nebenprodukt.
Die Logik ist verblüffend: Wer Meinungsfreiheit verteidigt, muss sich gleichzeitig dem globalen Zorn unterwerfen, wer sich nicht unterwirft, wird bedroht, verfolgt, ermordet. Zwei Jahrzehnte später wird über diese Mechanismen immer noch öffentlich gestritten, als handle es sich um akademische Spitzfindigkeiten, während die Terrorakte längst Fakten geschaffen haben.
Appeasement, Selbstverleugnung und andere westliche Tugenden
Die westliche Antwort schwankte zwischen stoischer Prinzipientreue, vertreten von Wolfgang Schäuble („Warum sollte sich die Regierung entschuldigen?“), und panischem Appeasement, verkörpert durch Frank-Walter Steinmeier („Wir sind vom angestrebten Dialog weiter entfernt als gewünscht“). Das Resultat: die Freiheit wird freiwillig eingeschränkt, die Selbstverleugnung zum ethischen Imperativ. Nobelpreisträger wie Günter Grass dürfen rhetorisch Gift spritzen, während Charlie Hebdo und andere mutige Intellektuelle unter Todesdrohungen arbeiten – und das nur, weil sie den Kern westlicher Freiheit verteidigen: Satire, Kritik, Hohn.
Der Zynismus ist perfekt: Der Westen diskutiert über den richtigen Umgang mit Religion, während Extremisten die Regeln längst kennen und ihre Macht demonstrativ ausleben. Satire wird zum Testgelände der Zivilisation, und der Westen stolpert, gierig auf moralische Entlastung, in die eigene Unterwerfung.
Lektionen, die nicht gelernt werden
Zwei Jahrzehnte später bleibt die traurige Bilanz: Der Westen hat geredet, gestritten, gelegentlich Karikaturen nachgedruckt, aber er hat nicht gelernt. Samuel Paty, 2020 ermordet, ist nur der jüngste Beweis: Wer die Lektionen der Mohammed-Karikaturen ignoriert, zahlt mit Blut. Appeasement, Selbstzensur, der Versuch, die Gewalt durch Rücksichtnahme zu entschärfen – alles erlaubt, alles moralisch korrekt, alles tödlich für Freiheit und Demokratie.
Die Mohammed-Karikaturen von 2005 waren nicht nur eine kleine Provokation in einem dänischen Blatt – sie waren ein Testfall. Zwei Jahrzehnte später steht fest: Der Westen hat ihn größtenteils nicht bestanden. Die Lektion ist simpel: Freiheit ist unbequem, sie provoziert, sie verletzt Gefühle – und sie kostet manchmal Menschenleben. Wer sie verteidigen will, muss dies tun, ohne sich zu entschuldigen, ohne sich zu verbiegen, ohne sich zu fürchten. Alles andere ist Appeasement, Selbstaufgabe, Zensur – und der sicherste Weg, um Jahr für Jahr ein Stück westlicher Freiheit zu verlieren.