
Ein Spiegelbild des Volkes – oder etwa doch nicht?
Man stelle sich vor, es gäbe eine Institution, deren erklärtes Ziel es sei, das Publikum eines öffentlichen Rundfunksenders zu vertreten, dessen Meinungen und Interessen in die Gestaltung des Programms einfließen zu lassen und, mit einer demokratischen Grundhaltung bewaffnet, eine Art Brücke zwischen Medienbetrieb und Volk herzustellen. Welch noble Idee! Welch strahlende Vision! Eine direkte Mitsprache der Menschen, die schließlich den Rundfunk mit ihren Gebühren alimentieren, wäre ein geradezu revolutionärer Schritt in einer Medienlandschaft, in der Entscheidungen oft hinter verschlossenen Türen fallen. Doch wie so oft klafft zwischen Theorie und Praxis ein tiefer Graben, den selbst die ambitioniertesten Ingenieure der Demokratie nicht mit einer schnöden Hängebrücke zu überwinden vermögen.
Wer bestellt, bezahlt – und bestimmt
Um die Vertretung des Publikums zu gewährleisten, werden die Mitglieder des ORF-Publikumsrats nicht etwa von den Zuschauern selbst gewählt – nein, das wäre ja ein geradezu anarchistischer Gedanke, eine unkontrollierbare Volte in Richtung direkter Demokratie, die nur Unruhe stiften würde! Stattdessen dürfen jene entscheiden, die schon immer über den Medienkonsum des kleinen Mannes gewacht haben: Die honorigen Institutionen der Wirtschaft, der Religion, der Wissenschaft und – nicht zu vergessen – die politische Elite des Landes. Ein Gremium, das wahrlich nichts dem Zufall überlässt. Die Mitgliedschaft in diesem erlauchten Kreis verdankt sich nicht etwa Popularität, Fachkenntnis oder gar einem brennenden Interesse am ORF-Programm, sondern der Zugehörigkeit zu Organisationen, die das Wohl des Volkes stets über ihre Eigeninteressen stellen. Ironie? Nein, nein, das ist die pure Realität!
Die erlesene Auswahl der Volksvertreter
Man könnte sich fragen: Wer vertritt hier eigentlich wen? Hier eine kleine Auswahl der Institutionen, die jeweils ein Mitglied direkt entsenden:
- Die Wirtschaftskammer Österreich – denn wer kennt den Geschmack und die Sorgen des Durchschnittszuschauers besser als jene, die für Firmeninteressen lobbyieren?
- Die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern – eine Institution, die zweifellos einen unbestechlichen Blick auf den urbanen Medienkonsum hat.
- Die Bundesarbeitskammer und der Österreichische Gewerkschaftsbund – was wäre eine mediale Volksvertretung ohne jene, die zwischen Betriebsversammlungen und Tarifverhandlungen ein feines Gespür für das ORF-Nachmittagsprogramm entwickeln?
- Die Kammern der freien Berufe – denn wer, wenn nicht Notare, Ärzte und Anwälte, könnten das ungeschminkte Meinungsbild des durchschnittlichen TV-Konsumenten abbilden?
- Die Römisch-katholische und die Evangelische Kirche – man munkelt, der direkte Draht nach oben erleichtere die Programmplanung ungemein.
- Rechtsträger der staatsbürgerlichen Bildungsarbeit im Bereich der politischen Parteien – was in simpler Sprache bedeutet: Die Parteien schicken jeweils einen ihrer handverlesenen Meinungsführer, um die Unabhängigkeit des ORF mit zarter Hand zu lenken.
- Die Akademie der Wissenschaften – denn ein Physiknobelpreisträger kann sicherlich mitreden, wenn es um die Sendezeiten von Volksmusik-Shows geht.
Und als Sahnehäubchen auf diesem Fest der gelebten Demokratie bestellt der Bundeskanzler dann noch 17 (!) Mitglieder höchstpersönlich. Ja, so fühlt sich echte Bürgernähe an!
Fazit: Ein Publikum, das sich selbst fremd ist
Es ist doch beruhigend zu wissen, dass die wahren Bedürfnisse der ORF-Zuseher von einer handverlesenen Elite vertreten werden, die sich zweifellos mit den Belangen des Durchschnittsbürgers bestens auskennt. Kritiker könnten einwenden, dass eine Wahl des Publikumsrats durch eben jene Zuschauer, die er repräsentieren soll, eine demokratischere Lösung wäre – doch das wäre naiv. Schließlich wissen die Menschen selbst oft nicht, was sie wollen, und bedürfen der weisen Führung jener, die sich von Berufs wegen mit Machtstrukturen auskennen.
So bleibt der Publikumsrat das, was er immer war: Eine Institution, die sich von der Basis des Volkes so weit entfernt befindet wie der ORF von einem mutigen, unabhängigen Journalismus. Aber das macht nichts. Hauptsache, die Gebühren werden pünktlich bezahlt!