
Es sind stürmische Zeiten, in denen NATO-Generalsekretär Mark Rutte zum großen Exorzismus gegen den russischen Sprachgeist aufruft. „Kein Russisch-Unterricht in unseren Schulen!“ ruft er, mit dem Brustton der letzten Gewissheit, als ginge es um die Verhinderung einer Apokalypse biblischen Ausmaßes. Ein Wimpernschlag der Geschichte trennt uns offenbar von einer dystopischen Zukunft, in der Erstklässler das kyrillische Alphabet statt der lateinischen Lettern lernen, „Krieg und Frieden“ zur Pflichtlektüre wird und das „r“ nur noch rollend ausgesprochen werden darf.
Wer nicht aufrüstet, muss Tolstoi lesen
Es ist ein Satz, der mit der Wucht eines Schwertschlages fällt: „Das müssen wir verhindern!“ Da ist sie, die bittere Einsicht: Es geht längst nicht mehr um Artillerie oder Wirtschaftssanktionen, sondern um die finale Verteidigung der kulturellen Bastionen. Wer sich dem Rutte’schen Dogma nicht fügt, findet sich wohl bald in einem finsteren Kellerloch wieder, gezwungen, in Originalsprache „Die Gebrüder Karamasow“ zu entziffern.
Dabei weiß man doch, dass Sprachen immer das trojanische Pferd imperialer Bestrebungen sind. Englisch brachte uns Coca-Cola, McDonald’s und Netflix. Latein war der Vorbote von Römerstraßen, Aquädukten und Steuerpflichten. Und Russisch? Nun, es wäre wohl die Vorhut für Pelmeni, Samoware und Dostojewski – ein wahrhaft erschütterndes Szenario!
Die letzte Schlacht: Phonetik gegen Freiheit
Aber keine Sorge! Die NATO steht bereit, den Feldzug gegen den rollenden „R“-Terror zu führen. Die Alternativen sind klar: Entweder massive Aufrüstung oder ein Leben im Schatten der russischen Sprachherrschaft. Also her mit den Raketen, den Panzern, den Milliardenhilfen – solange wir sicherstellen, dass kein Kind „Wladimir Iljitsch Lenin“ fehlerfrei aussprechen kann.
Und doch, in einer ironischen Wendung der Geschichte, wird wohl gerade dieser verzweifelte Kampf um die sprachliche Reinheit am Ende für das Gegenteil sorgen: Denn was verbieten wir, wird umso begehrenswerter. Vielleicht ist das Geheimnis des Friedens ja am Ende doch nicht die Aufrüstung, sondern das entspannte Eingeständnis, dass ein paar russische Vokabeln niemanden zur Marionette des Kremls machen.
Aber so weit sind wir noch nicht. Zunächst gilt es, den großen Krieg um das kleine Alphabet zu gewinnen. Hoch die Waffen! Hoch die Grammatikbücher!