Willkommen in der postironischen Republik

Was haben Diktaturen und demokratische Staaten gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel, doch spätestens wenn ein Satiriker wegen Regierungskritik mit einer Gefängnisstrafe rechnen muss, beginnt die Trennlinie zwischen freiheitlicher Demokratie und autoritärem Reflex zu verschwimmen wie die Schrift in einem zu oft gefilterten Instagram-Statement der Bundesregierung.
Wenn also ein Journalist – Verzeihung: ein „sarkastischer Regierungskritiker“, was allein schon wie ein Straftatbestand aus dem Handbuch für innere Sicherheit klingt – vor Gericht gezerrt wird, weil er es gewagt hat, seine Feder gegen die Obrigkeit zu richten, dann ist das kein „bedauerlicher Einzelfall“, sondern ein ziemlich lauter Alarmruf in einem Land, das sich ansonsten so gerne an seine Pressefreiheit kuschelt wie an eine elektrisch beheizte Wärmflasche aus Artikel 5 GG.

Dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser in diesem Fall nicht umgehend einen presserechtlichen Schutzschirm aufspannt, sondern sich in Schweigen hüllt wie ein Croupier in Las Vegas, der beim Verteilen der Karten ertappt wurde, lässt tief blicken. Und zwar nicht etwa in staatsrechtliche Grauzonen oder juristische Detailfragen, sondern in das schillernde, doppelbödige, schattendurchwehte Innenleben jener „Haltungsdemokratie“, die Meinungsfreiheit nur noch dann liebt, wenn sie brav mit Maske auf der richtigen Seite der Debatte steht.

Die Meinungsfreiheit als Dekorationsobjekt

Man muss sich das einmal vorstellen: Da schreibt ein Journalist etwas Freches, vielleicht sogar etwas Übertriebenes – also etwas, das in einer gesunden Demokratie als ganz normaler Bestandteil der politischen Auseinandersetzung gelten sollte – und plötzlich steht er vor dem Kadi, als hätte er beim BND eingebrochen oder ein Interview mit einem Impfgegner geführt.
Der Gedanke, dass sarkastische Regierungskritik mit Repressalien beantwortet wird, ist nicht nur juristisch absurd, sondern kulturell eine Kapitulation. Eine Demokratie, die Ironie für Majestätsbeleidigung hält, hat offenbar vergessen, dass sie ihre Stabilität nicht aus Uniformität, sondern aus Dissens bezieht – und dass Freiheit eben nicht darin besteht, „alles sagen zu dürfen“, solange es niemanden stört.

Wenn Ministerinnen, die in Hochglanzinterviews gerne vom „Kampf gegen rechts“ schwärmen, bei offensichtlicher Meinungsunterdrückung plötzlich auf Tauchstation gehen, dann ist das kein Zufall, sondern systemisch. Es ist das Prinzip des politischen Wetterhuhns: Empörung nach Bedarf, Prinzipientreue auf Abruf, Rechtsstaatlichkeit nur solange, wie sie nicht unbequem ist. Die Pressefreiheit wird dabei zur rhetorischen Rasenfläche – öffentlich betreten, intern zubetoniert.

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Satire als Staatsfeind? Ein Missverständnis mit Tradition

Man könnte nun sagen: „Naja, vielleicht war die Kritik ja zu polemisch, vielleicht war sie verletzend, vielleicht hat sie die Grenze überschritten.“ Aber das ist exakt der Punkt: In einer Demokratie ist die Grenze des Erträglichen nicht das persönliche Befinden der Regierenden. Wenn Satire, Polemik oder Sarkasmus strafbar werden, weil sie jemandem nicht gefallen, dann hat man den Unterschied zwischen liberalem Rechtsstaat und autoritärer Anwandlung nicht verstanden – oder, schlimmer noch: bewusst verwischt.

Die politische Satire war schon immer ein gefährlicher Beruf. Vom preußischen Zensurapparat über das Dritte Reich bis zur DDR wusste man stets: Wer lacht, denkt. Und wer denkt, gehorcht nicht. Die Tatsache, dass heute in einem angeblich gefestigten demokratischen Rechtsstaat wieder über Haft für Journalisten diskutiert wird, ist also keine Randnotiz – es ist ein Menetekel. Und der erschreckendste Teil daran ist nicht, dass es geschieht, sondern wie still es geschieht.

Nancy, sag doch was – oder: Wenn Schweigen politisch wird

Dass sich die Innenministerin nicht klar von einem Urteil distanziert, das sinnbildlich für das Einschüchtern kritischer Stimmen steht, lässt eigentlich nur zwei Interpretationen zu.
Erstens: Sie hat es nicht mitbekommen. Das wäre fahrlässig.
Zweitens: Sie hat es mitbekommen – und findet es vielleicht gar nicht so schlimm. Das wäre fatal.

Natürlich wird nun der Pressesprecher rotieren, die juristischen Feinheiten beschwören, auf richterliche Unabhängigkeit verweisen und beteuern, man wolle keine Einzelfallbewertung aus dem Ministerium heraus vornehmen. Aber der politische Reflex zählt. Und der hätte lauten müssen: „Pressefreiheit ist nicht verhandelbar – auch nicht für unbequeme Stimmen.“
Dass er nicht kam, sagt mehr über den Zustand dieser Republik aus als jeder regierungskritische Leitartikel.

Wohin mit der Ironie in Zeiten der Ernsthaftigkeit?

Wir leben in einer Ära der Überempfindlichkeiten. Alles ist politisch, alles ist persönlich, und alles ist beleidigend – für irgendwen. In dieser Atmosphäre hat sich ein neues Verständnis von „freiheitlicher Ordnung“ etabliert: Du darfst alles sagen, solange du dabei nicht aneckst, niemanden verletzt, und – vor allem – nicht regierungskritisch bist, es sei denn, du kritisierst die falsche Regierung.

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Ironie hat in dieser Welt einen schweren Stand. Denn sie spielt mit Mehrdeutigkeiten, unterläuft Eindeutigkeit, macht sich über das heilige „Narrativ“ lustig – und das ist in der Ära der narrativen Monokultur ein Affront. Wer heute sarkastisch auf die Regierung zeigt, der wird nicht etwa als kritischer Geist gefeiert, sondern als Spaltpilz verdächtigt. Die Ironie, einst das Schutzschild des freien Geistes, ist zur potenziellen Straftat mutiert. Und das in einem Land, das sich so gerne auf seine Dichter und Denker beruft – solange die keine Meinung haben, die stört.

Freiheit – das unbequeme Erbe

Man darf sich fragen: Wie stabil ist eine Demokratie, in der man ständig betonen muss, dass man Meinungsfreiheit aushalten müsse? Wie liberal ist ein Staat, in dem das bloße Fordern nach Toleranz für abweichende Meinungen bereits als Sympathiebekundung für das Falsche gilt? Und wie integer ist eine Innenministerin, die Freiheit in Sonntagsreden beschwört, aber schweigt, wenn sie werktags mit Füßen getreten wird?

Die Antwort ist unbequem. Aber nötig.
Denn Freiheit zeigt sich nicht dort, wo sie populär ist.
Sondern dort, wo sie wehtut.

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