
Es gibt Geschichten, die so schön sind, dass man sie einfach glauben muss. Sie wärmen das Herz, schenken Hoffnung, suggerieren Kontrolle. Die Klimaneutralität bis 2050 ist eine solche Geschichte. Sie wird erzählt von Politikern, die ihre Wiederwahl sichern müssen, von Aktivisten, die sich nach moralischer Überlegenheit sehnen, von Wirtschaftslenkern, die aus der nächsten grünen Subventionsblase Kapital schlagen wollen. Und vom braven Bürger, der zwar nicht genau versteht, was das alles bedeutet, aber immerhin sein Gewissen beruhigen kann, indem er für zehn Euro im Monat CO2-Zertifikate kauft und sein Steak durch einen Erbsenproteinriegel ersetzt.
Das Problem ist nur: Diese Geschichte hat nichts mit der Realität zu tun. Wer mit Ingenieuren, Physikern oder Energiewirtschaftlern spricht – Menschen, die sich tagtäglich mit den physikalischen, technischen und wirtschaftlichen Realitäten der Energieerzeugung auseinandersetzen –, der hört einen ganz anderen Ton. Einer dieser Stimmen gehört Lino Guzzella, Maschinenbauingenieur und ehemaliger Präsident der ETH Zürich. Sein Fazit? Kurz und bitter: Die Klimaziele sind nicht erreichbar.
Warum das Weltklima sich nicht für europäische Tugendpolitik interessiert
Die Welt ist nicht Europa. Eine schlichte Feststellung, die in den klimabewegten Zirkeln der westlichen Hemisphäre aber nur ungern gehört wird. Während hierzulande über Plastikstrohhalme, Verbote von Verbrennungsmotoren und individuelle Verzichtsleistungen diskutiert wird, steigen in China, Indien und Afrika die Emissionen unaufhaltsam. Der Energiehunger der Welt wächst – und zwar rapide. Bis 2050 werden zehn Milliarden Menschen Energie benötigen, nicht weniger. Und diese Energie wird, nach allem, was die real existierende Infrastruktur und die globalen Marktmechanismen nahelegen, zu einem überwältigenden Teil weiterhin aus fossilen Quellen kommen.
Man könnte sich nun in moralischer Entrüstung üben und den Chinesen und Indern vorschreiben wollen, sie mögen doch bitte gefälligst sofort ihre Kohlekraftwerke abschalten. Man könnte Sanktionen androhen, UN-Resolutionen verabschieden, Weltklimakonferenzen mit dramatischen Appellen spicken. Nur interessiert das niemanden. Die Weltwirtschaft funktioniert nicht nach der moralischen Empörung deutscher Talkshows. Sie funktioniert nach Angebot und Nachfrage, nach Kosten und Nutzen, nach physikalischen Gesetzen. Und diese sagen uns unmissverständlich: Erneuerbare Energien sind weder in der Lage, den aktuellen globalen Energiebedarf zu decken, noch haben sie eine realistische Chance, dies bis 2050 zu tun.
Warum Windräder und Solarpaneele keine Wunder vollbringen
Es ist ein bemerkenswerter Widerspruch: Während sich die Weltöffentlichkeit in grenzenlose Begeisterung über erneuerbare Energien hineinsteigert, explodiert gleichzeitig der Bedarf an fossilen Brennstoffen. Warum? Weil Windräder und Solarpaneele physikalischen Grenzen unterliegen. Sie liefern Energie – aber eben nicht zuverlässig, nicht steuerbar, nicht immer dort, wo sie gebraucht wird. Die berühmte Dunkelflaute – also jene traurigen Momente, in denen weder Sonne noch Wind die Netze speisen – ist keine Petitesse, sondern eine fundamentale Systemschwäche. Und die Speichertechnologien? Sie existieren in der Theorie, nicht aber in einem Maßstab, der es erlauben würde, ganze Volkswirtschaften stabil zu versorgen.
Die oft gepriesene Elektromobilität ist ein weiteres Beispiel für Wunschdenken in Reinkultur. Elektroautos sind nur dann klimaneutral, wenn der Strom, den sie laden, ebenfalls klimaneutral erzeugt wird. Da dies nicht der Fall ist, bleibt die CO2-Bilanz bestenfalls neutral, in vielen Fällen sogar schlechter als die eines modernen Dieselmotors. Aber das interessiert niemanden, weil die Symbolik des „grünen Autos“ viel zu schön ist, um hinterfragt zu werden.
Wer die Welt retten will, muss erst einmal die Realität akzeptieren
Natürlich gibt es sinnvolle Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen. Effizienzsteigerung, intelligente Stromnetze, eine realistische Neubewertung der Kernenergie – all das wären sinnvolle Schritte. Doch statt sich pragmatisch mit diesen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, bleibt die Klimapolitik eine von Ideologie getriebene Glaubensbewegung.
Das führt zu grotesken politischen Fehlentscheidungen. Deutschland steigt aus der Kernkraft aus – eine der wenigen Technologien, die tatsächlich emissionsfreie Grundlast liefern kann – und ersetzt sie durch Kohlekraftwerke und teure Importe aus dem Ausland. Gleichzeitig subventioniert man Windräder in einer Region, in der es keine Hochspannungsleitungen gibt, um den Strom abzutransportieren. Und als Krönung des Irrsinns müssen moderne Gaskraftwerke stillgelegt werden, um die Emissionsziele auf dem Papier zu erfüllen – während man dann aber Kohle aus Kolumbien importiert, um die Lücke zu schließen.
Man kann all das als naiven Idealismus abtun. Oder als gigantische Realitätsverweigerung. Fakt ist: Die Klimaziele, wie sie heute formuliert werden, sind nicht erreichbar. Nicht mit den bestehenden Technologien, nicht mit den bestehenden politischen Konzepten, nicht mit der bestehenden globalen Wirtschaftsdynamik.
Wer wirklich etwas ändern will, muss aufhören, Märchen zu erzählen. Und anfangen, sich mit der Welt zu beschäftigen, wie sie ist – nicht, wie man sie gerne hätte.