Wenn der Protest sich selbst verbrennt

Vom Klima, das kippt, und Aktivismus, der entgleist

In einem Studio von oe24.TV, unter grellem Licht und mit jener typisch österreichischen Mischung aus Sensationslust und journalistischer Müdigkeit, ereignete sich kürzlich ein Interview, das weniger informierte als irritierte. Die ehemalige Sprecherin der „Letzten Generation“, Marina Hagen-Canaval, verabschiedete sich medienwirksam von der Bühne des zivilen Ungehorsams – nicht mit einem sanften „Wir haben unser Bestes gegeben“, sondern mit dem Wunsch, eine neue, „viel schlimmere“ Generation möge nun kommen und, Zitat, „alles anzünden“. Man hätte über diesen Satz hinweggehen können, als überspannte Metapher im Hitzerausch – hätte er nicht so präzise das Gefühl einer Bewegung eingefangen, die ihren moralischen Kompass verloren hat und ihre Daseinsberechtigung zunehmend aus der Ablehnung der Realität bezieht.

Hagen-Canaval beruft sich in ihrer Argumentation auf die Suffragetten, die angeblich erst durch das Niederbrennen Londons das Frauenwahlrecht durchsetzten – eine historische Rekonstruktion, die selbst in der Kabarettszene mit einem Stirnrunzeln quittiert würde. Was bleibt, ist der inszenierte Abgesang einer Aktivistin, die sich ausgebrannt gibt, aber rhetorisch Benzin ins Feuer gießt. Während draußen die Hitze tatsächlich Rekorde bricht, friert in diesem Interview das demokratische Gesprächsklima endgültig ein. Es ist nicht nur der Rückzug aus der Aktion – es ist die implizite Absage an alles, was liberalen Diskurs, pluralistische Aushandlung und Gewaltfreiheit bislang ausgezeichnet hat. Der Klimaprotest, so scheint es, will nicht mehr gehört werden – er will nur noch brennen.

Die neue Ästhetik der Unversöhnlichkeit – Anja Windl, Wut und das Mikrofon

Wer dachte, Marina Hagen-Canaval sei ein Einzelfall, wurde kürzlich eines Besseren belehrt. Anja Windl, von Medien gern als „Klimakleberin“ betitelt und von sich selbst als moralisches Frühwarnsystem Europas verstanden, trat kürzlich in einer Live-Diskussion auf, die zu einem bizarren Kammerspiel eskalierte. Geladen waren ein grüner Ex-Vizekanzler, ein Unternehmer, eine Ökonomin und ein Schauspieler – und Windl, die in bockiger Vehemenz jede Frage, jeden Einwand, ja selbst die bloße Existenz anderer Positionen als Beleidigung empfand. Ihr Blick: glühend vor Überzeugung. Ihre Antworten: Ausweichungen in Endlosschleife. Ihre Körpersprache: ein einziges großes Nein.

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Diskurs war nicht vorgesehen – nicht als Möglichkeit, nicht als Instrument, nicht als Ziel. Stattdessen: betretenes Schweigen, genervtes Aufstöhnen, und schließlich ein rauschender, selbstgerechter Abgang. Die Szene wirkte weniger wie ein Auftritt in einer politischen Debatte, sondern wie eine Performance im Theater der Selbstbestätigung. Anja Windl führte vor, was in Teilen der Bewegung längst zur Regel geworden ist: Wer widerspricht, wer nicht sofort bekennt, wer nachfragt, ist Teil des Problems – oder schlimmer noch: ein Fossilist. Die Verweigerung des Gesprächs wird zur Tugend erklärt, das Gespräch selbst zur Zumutung. Was sich einst als demokratischer Weckruf verstand, schlägt nun um in dogmatische Absolutheit. Man kennt das aus religiösen Kontexten – weniger aus emanzipatorischen Bewegungen.

Radikal chic – Von Glasscheiben, Pipelines und moralischem Pyromanenpathos

Der Diskurs ist tot, es lebe die Pose. Ob nun auf der Straße klebend, auf dem Bildschirm schreiend oder im Hafen von Gent sabotierend – der neue Klimaaktivismus verlässt das Terrain des argumentativen Austauschs und driftet ab in eine symbolisch überladene Protestästhetik, die zunehmend mit Sachbeschädigung, Grenzüberschreitung und latentem Gewaltfetisch kokettiert. Dass bei der erwähnten Hafenaktion in Belgien im März 2025 Sicherheitsanlagen manipuliert, Maschinen beschädigt und der Schiffsverkehr lahmgelegt wurden, lässt sich kaum mehr unter dem Euphemismus „ziviler Ungehorsam“ verbuchen. Und dass Greta Thunberg bei der Aktion anwesend war, sorgt nicht für Beruhigung, sondern für ein wachsendes Unbehagen: Wird hier ein Vorbild zur Schirmherrin der Eskalation?

Die selbstgerechte Ikonografie der Aktivisten, mit ihrer Mischung aus Opferpathos und Erlösergestus, produziert eine geschlossene Welt, in der jeder Widerspruch als Schuld, jedes Zögern als Verrat erscheint. Aus Farbe auf Kunst wird bald Feuer auf Infrastruktur. Aus „Letzter Generation“ wird „Erste Linie der Klimafront“. Der Begriff „Klimagerechtigkeit“ verliert dabei seine politische Substanz und wird zur Legitimationsformel für ein moralisches Ermächtigungsnarrativ, das zwischen ideologischer Absolutheit und fast schon messianischer Überhöhung oszilliert. Es geht nicht mehr um Lösungen, sondern um Selbstvergewisserung. Nicht mehr um Wandel, sondern um Widerstand – gegen alles.

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Was bleibt: Eine verbrannte Bühne und eine schweigende Mehrheit

Wenn nun also eine ehemalige Sprecherin sagt, sie sei „ausgebrannt“, wirkt das wie eine bittere Metapher auf die ganze Bewegung. Der öffentliche Raum, einst Ort des Dialogs, ist zur Bühne für Inszenierungen geworden. Die Fronten sind verhärtet, der Diskurs ist gesprengt, das Publikum zunehmend genervt. Und jene, die noch zuhören wollen, die differenzieren, die zwischen Verantwortung und Realität balancieren möchten, werden wahlweise ignoriert oder beschimpft. Die moralische Fallhöhe des Aktivismus ist so steil geworden, dass man entweder mitspringt – oder als Feind gilt.

Vielleicht ist es Zeit, dass wir über neue Formen des Engagements sprechen, jenseits von Eskalation und Apokalypse. Vielleicht wäre es klüger, an den Institutionen zu arbeiten, statt sie zu verachten. Vielleicht wäre es ratsam, endlich wieder das Gespräch zu suchen – nicht mit jenen, die ohnehin schon überzeugt sind, sondern mit jenen, die zweifeln, zögern oder einfach nur hören wollen, dass es noch Hoffnung gibt, jenseits des Feuers.

Bis dahin bleibt nur die Hoffnung, dass nicht das brennt, was eigentlich bewahrt werden sollte: unser demokratischer Zusammenhalt.

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