
Manchmal, wenn die Welt sich dreht, als wäre sie ein betrunkener Tänzer auf einem rutschigen Parkett, fühlt man sich als Beobachter wie ein unfreiwilliger Statist in einer absurden Komödie. Kurt Tucholsky schrieb 1919, dass „sie nicht hören wollen“ – und wie recht er hatte. Heute, über ein Jahrhundert später, könnte man hinzufügen: „Sie wollen nicht sehen, nicht fühlen, nicht denken – aber scrollen, liken und shoppen, das geht.“ Der Fortschritt, jene unerbittliche Dampflok der Moderne, hat uns nicht etwa befreit, sondern in die luxuriöseste Sackgasse der Geschichte chauffiert. Willkommen, liebe Leser, im goldglänzenden Gefängnis der Gegenwart.
Die Kunst der Resignation
Resignation ist nicht einfach nur eine noble Verzweiflung, sie ist eine Kunst. Aber keine Sorge: Es ist eine Kunst, die niemand mehr beherrscht. Stattdessen übt man sich im Gegenteil – im toxischen Optimismus. Alles wird gut! Wirklich? Die Gletscher schmelzen, die Demokratien zerfallen, und der neueste „Star Wars“-Film war wieder eine Katastrophe. Aber nein, Kopf hoch, da vorne ist Licht! Oder ist das etwa der Scheinwerfer des entgegenkommenden Zuges? Das mag zynisch klingen, doch Zynismus ist die einzige Form des Realismus, die noch erträglich ist. Wer resigniert, ist nicht schwach, sondern klug: Er erkennt, dass die Welt nicht gerettet werden will, weil sie in ihrer Selbstzerstörung eine perverse Erfüllung findet.
Der Kampf
Natürlich kämpfen wir weiter – denn was bleibt uns anderes übrig? Der erste Akt ist der naive Enthusiasmus: „Wir können das ändern!“ Eine Petition hier, ein moralischer Appell dort. Der zweite Akt ist die Ernüchterung: „Warum hören sie nicht?“ Die Antwort ist simpel: Sie wollen nicht. Und dann folgt der dritte Akt: der zynische Pragmatismus. Hier sitzen wir jetzt, umgeben von Hashtags, die keine Revolution starten, und politischen Programmen, die eher an schlechte Drehbücher erinnern. Der Kampf ist ein absurdes Theaterstück, und wir sind nicht die Helden, sondern die tragikomischen Nebenfiguren. Applaus gibt es keinen, nur einen Shitstorm.
Die drei stumpfen Schwerter der Moderne
Tucholsky beklagte 1919, dass weder Pathos noch Spott oder sachliche Kritik Gehör finden. Er hatte recht, und es ist noch schlimmer geworden. Pathos? Löst heute höchstens Augenrollen aus. Spott? Das ist doch nur noch eine Kategorie auf YouTube. Und sachliche Kritik? Nun, sie wird in der endlosen Kakophonie der Meinungen einfach weggescrollt. Der moderne Mensch hört nicht, weil er keine Zeit hat. Zeit ist Geld, und Geld wird gebraucht, um Dinge zu kaufen, die man nicht braucht. Das ist keine Karikatur, sondern die nüchterne Realität. Es ist, als würde man gegen eine Wand reden, die gleichzeitig in Flammen steht – und niemand löscht das Feuer, weil alle mit Selfies beschäftigt sind.
Ein trojanisches Pferd im Krieg der Gedanken
Humor ist die letzte Waffe, die uns bleibt, und selbst diese stumpft ab. Satire war einmal das Schwert, mit dem man gegen die Mächtigen kämpfte. Heute ist sie ein Mem auf Instagram, das nach drei Sekunden vergessen ist. Dennoch ist der Humor unsere einzige Hoffnung. Er ist wie ein trojanisches Pferd, das die Absurditäten des Lebens ins Gehirn der Ignoranten schleicht. Vielleicht ist das der Schlüssel: nicht belehren, sondern belachen. Nicht überzeugen, sondern überlisten. Doch auch hier droht Gefahr, denn der Humor wird zunehmend von der Political-Correctness-Polizei überwacht. Ein falscher Witz – und schon ist man „gecancelt“.
Ein Hauch von Hoffnung
Tucholsky resignierte, und doch kämpfte er weiter. Das ist die Essenz dessen, was uns bleibt: der widersprüchliche Tanz zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Wir wissen, dass die Welt in Trümmern liegt, doch irgendwie kleben wir immer wieder ein Pflaster auf die klaffenden Wunden. Vielleicht ist das unser größter Fehler – oder unser größter Triumph. Denn solange wir lachen können, solange wir schreiben, denken und fühlen, gibt es einen Funken von Widerstand gegen die Absurdität. Und wer weiß: Vielleicht ist genau dieser Funke genug, um die Dunkelheit ein kleines bisschen heller zu machen.
Aber machen wir uns nichts vor: Die Welt wird sich nicht ändern. Und das ist der größte Witz von allen.