Von Rentnern und Raketen

Warum wir jetzt die Rente opfern müssen, damit die Welt sicher bleibt

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Eine besorgte Nation, bedroht von geopolitischen Spannungen, blickt auf ihre Zukunft. Doch anstatt auf technologische Innovationen, diplomatische Geschicklichkeit oder gar auf eine solidarische Verteilung von Verantwortung zu setzen, entdeckt ein mutiger Ökonom ein neues Feindbild: Rentner. Ja, jene betagten Damen und Herren, die, wenn sie nicht gerade Kreuzworträtsel lösen oder mit dem Rollator zur Apotheke schieben, offenbar für alles Schlechte in der Welt verantwortlich sind. Moritz Schularick, seines Zeichens Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hat diesen finsteren Plan nun skizziert: Die Generation 65+ soll den Gürtel enger schnallen, damit Panzer und Patriot-Raketen unsere Straßen sicherer machen. Bravo, Herr Präsident! Was für eine visionäre Idee!

Rentenkürzungen als moralische Pflicht

„Die ältere Generation hat es versäumt, ausreichend in unsere Sicherheit zu investieren.“ Diese Aussage ist derart atemberaubend, dass man fast eine Sauerstoffmaske benötigt, um die zynische Höhe dieses intellektuellen Gipfels zu erklimmen. Hat der Mann mal einen Blick in die Geschichtsbücher geworfen? Dieselbe ältere Generation, die hier gescholten wird, hat Nachkriegsdeutschland wieder aufgebaut, den Sozialstaat erschaffen und – das sei nebenbei erwähnt – einen Großteil der Rentensysteme finanziert, von denen Herr Schularick vermutlich auch noch profitieren wird.

Aber nein, diese Generation hat nicht ausreichend in Sicherheit investiert. Was für ein Frevel! Stattdessen hat sie sich in einer dekadenten Orgie aus Butterbrot und Filterkaffee gesuhlt, anstatt milliardenschwere Rüstungsprojekte zu finanzieren. Wie konnte es nur dazu kommen, dass Menschen nach einem Arbeitsleben von 40 oder mehr Jahren annehmen, sie hätten ein Recht auf ein wenig Ruhe? Zeit, die Renten einzufrieren! Schließlich ist der Euro, den Oma Erna im Supermarkt spart, ein Euro mehr für die nächste Hyperschallrakete.

Altersarmut? Luxusproblem im Schatten des Leopard-Panzers

Herr Schularick mag die Existenz von Altersarmut schlichtweg übersehen haben – was bei einem komfortablen Schreibtischjob und einem garantiert inflationssicheren Einkommen verständlich ist. Die Realität, dass fast jede fünfte Rentnerin und jeder fünfte Rentner in Deutschland von Altersarmut bedroht ist, scheint für ihn irrelevant. Wahrscheinlich gehören auch sie zu den Schmarotzern, die den Staat ausbluten lassen, während sie sich mit ihrer bescheidenen Rente Luxusgüter wie Brot und Heizung leisten.

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Das Narrativ, das hier gesponnen wird, ist von beeindruckender Simplizität: Deutschland braucht Geld für Rüstung. Rentner haben Geld. Ergo: Nehmen wir es ihnen weg. Dass viele von ihnen jedoch eher Monat für Monat jonglieren, um Miete, Strom und Medikamente zu bezahlen, wird in der akademischen Filterblase offenbar nicht bedacht. Aber hey, was ist schon eine kalte Wohnung im Winter gegen die wohlige Wärme, die ein neuer Kampfflieger für die Nation bereithält?

Vom „Gefrierpunkt“ der Renten und anderen ökonomischen Glanzideen

„Den Lebensstandard der Ruheständler sollte man auf dem aktuellen Niveau durch einen Inflationsausgleich einfrieren“, schlägt Schularick vor. Eingefroren. Wie Fischstäbchen in der Tiefkühltruhe. Ein hübsches Bild, nicht wahr? Vielleicht könnte man auch gleich ein Rentner*innen-Quartett herausbringen, bei dem die Kategorien „Jahreseinkommen“, „Mangelernährung“ und „Sterberate durch Kältetod“ gegeneinander antreten. Das wäre sicher ein Hit – vielleicht sogar erfolgreicher als das 100-Milliarden-Euro-Rüstungspaket, das laut Schularick offensichtlich zu wenig ist.

Die Frage, die man sich stellen muss: Warum gerade die Renten? Warum nicht die Vermögen der oberen 10 %, die in den letzten Jahren exorbitant gestiegen sind? Warum nicht die Milliardengewinne von Rüstungskonzernen besteuern? Vielleicht, weil diese Leute Lobbyisten und Anwälte haben und sich wehren können? Rentner hingegen sind leichte Beute. Sie haben weder Macht noch eine starke Interessenvertretung – und offenbar auch keine Chance gegen den Spardruck eines Ökonomen, der den Etat eines globalen Schurkenstaats zusammenrechnen möchte.

Kann Sicherheit überhaupt erkauft werden?

Abgesehen von der moralischen Verwerflichkeit dieses Vorschlags, sollte man eine grundlegende Frage stellen: Garantiert mehr Geld für Rüstung tatsächlich mehr Sicherheit? Ist ein überbordendes Verteidigungsbudget der Schlüssel zu einer friedlicheren Welt? Oder ist das nicht vielmehr ein perfides Ablenkungsmanöver, um andere politische Versäumnisse zu verschleiern – von der Verfehlung beim Klimaschutz bis hin zur immer größer werdenden sozialen Schere?

Vielleicht ist es an der Zeit, dass Herr Schularick und Co. ihren Blick über die Spreadsheet-Tabelle hinaus erweitern und sich der Realität der Menschen widmen, über deren Zukunft sie so großzügig entscheiden wollen. Vielleicht sollten sie sich mal mit einem Rentner unterhalten, der zwischen Brillenrezept und Heizkostenabrechnung jongliert. Oder sie könnten einfach innehalten und erkennen, dass man soziale Kohäsion nicht auf dem Altar des Militärbudgets opfern kann, ohne die Grundfesten der Gesellschaft zu beschädigen.

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Wenn die Satire zur Realität wird

In einer Welt, in der ein Ökonom ernsthaft vorschlägt, Rentner für die Landesverteidigung bluten zu lassen, bleibt einem nur noch der Zynismus. Vielleicht sollten wir als nächstes die Kinder besteuern – sie profitieren schließlich am längsten von einer sicheren Zukunft. Oder wie wäre es, wenn wir Arbeitslose in Uniformen stecken? Sie haben doch eh nichts Besseres zu tun, oder?

Doch Vorsicht: Satire und Realität scheinen in diesen Zeiten erschreckend oft ineinander zu fließen. Herr Schularick, Sie haben es geschafft, uns daran zu erinnern, wie schnell ökonomische Kälte in menschliche Tragödie umschlagen kann – und dafür gebührt Ihnen, wenn auch zähneknirschend, Dank. Wenigstens bleibt uns das Lachen, wenn auch bitter.

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