VON MORAL UND MÄRKTEN

Russlands Gasexporte nach Europa 2024 stark gestiegen

Es war einmal, in einem politisch hochaufgeladenen Märchenland namens Europa, da herrschte die Überzeugung, man könne Moral und Märkte miteinander vereinen. „Nie wieder russisches Gas!“, schallte es im Chor der Staatsmänner und -frauen, flankiert von einer medialen Kulisse, die diese Entschlossenheit in jeder Schlagzeile feierte. Doch wie so oft im Märchen waren die Helden weniger tapfer, als sie schienen, und die Drachen erwiesen sich als clevere Händler. Das Jahr 2024 belehrt uns eines Besseren: Die Erdgasexporte Russlands nach Europa sind – man reibt sich die Augen – um satte 18 bis 20 Prozent gestiegen.

Der Pipeline-Dialog

Lassen Sie uns zunächst das groteske Schauspiel betrachten, das wir als „Sanktionen“ kennen. Mit großem Pomp und Pathos hatte die EU beschlossen, Russland auf die Knie zu zwingen. Energieimporte sollten reduziert, die Abhängigkeit minimiert werden. Doch kaum ist die Winterkälte spürbar und die Heizkostenrechnung ein zarter Hauch von Realität, ist von dieser moralischen Überlegenheit nicht mehr viel zu spüren. Sanktionen, ja, natürlich! Aber bitte nicht so, dass sie unseren eigenen Komfort gefährden.

Das Erdgas fließt also munter weiter durch die Pipelines, und mit jedem Kubikmeter, der die Grenze überquert, verschwindet ein Stück der selbst auferlegten Tugendhaftigkeit. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so tragisch wäre: Man predigt das Ende der fossilen Abhängigkeit und kauft gleichzeitig fossile Brennstoffe wie warme Semmeln. Als ob man sich vegan ernähren wollte, aber ab und zu doch zum Steak greift – nur zur Sicherheit, versteht sich.

Das Märchen vom sauberen Brudergas

Ach, das Flüssigerdgas (LNG)! Einst gefeiert als die große Hoffnung, die uns von den Fesseln der Pipeline-Abhängigkeit befreien sollte. „Diversifizierung“ lautete das Zauberwort, das in Brüssel von Sitzungssälen bis Kaffeepausen mantraartig wiederholt wurde. Doch wie divers ist es eigentlich, wenn der größte Anbieter weiterhin derselbe bleibt?

Der EU fällt dabei die gleiche Rolle zu wie einem notorischen Ex-Raucher, der heimlich vor der Garage noch schnell einen Zug nimmt: Man kauft das russische LNG jetzt halt über Zwischenhändler – und nennt es Diversifizierung. Hauptsache, es kommt nicht durch die alte Pipeline! Denn wie jeder weiß, ist Erdgas, das in verflüssigter Form geliefert wird, moralisch einwandfrei, solange es nicht „direkt“ ist. Die wahren Helden in dieser Tragikomödie sind natürlich die Zwischenhändler, die wie findige Zigarettenverkäufer in einer strengen Nichtraucherzone ihre Profite ins Unermessliche steigern.

TIP:  Einfach mal Fresse halten!

Wenn Statistik und Realität aufeinanderprallen

Alexander Nowak, Russlands Vizeministerpräsident, verkündete stolz, dass die Gasexporte in die EU die Marke von 50 Milliarden Kubikmetern überschritten hätten. Und während in Moskau die Champagnerkorken knallen, schweigt man in Brüssel lieber, oder spricht – typisch europäisch – in euphemistischen Formulierungen wie „notwendige Übergangslösungen“.

Dabei ist die Diskrepanz zwischen Zahlen und Worten geradezu poetisch: Die EU spricht von „Verzicht“ und „Transformation“, die Realität hingegen rechnet in Kubikmetern. Man fordert eine grüne Wende und treibt dennoch den globalen Gasmarkt an, als gäbe es keinen Morgen. Ein zynischer Beobachter könnte sagen, dass sich die EU zu einer Meisterin der symbolischen Politik entwickelt hat: Man boykottiert Russland, indem man russisches Gas kauft – irgendwie elegant, oder?

Zwischen Prinzipien und Pragmatismus

Was bleibt also von der einstigen moralischen Empörung? Vielleicht die leise Erkenntnis, dass Märkte stärker sind als Manifeste. Europa, dieser Kontinent der Werte, entdeckt gerade, dass Gas nicht einfach durch Prinzipien ersetzt werden kann. Die eigene Wirtschaft soll laufen, die Wohnungen warm bleiben, und bitte, die Inflation soll sich auch irgendwie in Schach halten.

Russland indes hat das Spiel längst durchschaut: Sanktionen sind nichts weiter als ein Handelshemmnis mit Verfallsdatum. Je länger der Winter dauert, desto weicher wird die Rhetorik aus Brüssel. Und so liefert man weiter – geduldig, unbeirrt, mit der Selbstzufriedenheit eines Verkäufers, der weiß, dass seine Kunden zwar fluchen, aber letztlich doch bezahlen.

Von Scheinheiligkeit und Selbstgefälligkeit

Vielleicht ist die größte Ironie in diesem Drama die stille Akzeptanz auf beiden Seiten. Russland liefert, die EU kauft, und beide tun so, als seien sie Prinzipien treu geblieben. Während die EU sich selbst als Umwelt- und Klimavorreiter feiert, wächst ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen – nur unter einem anderen Etikett.

Die Frage bleibt: Wie lange kann Europa noch den Spagat zwischen moralischem Anspruch und wirtschaftlicher Realität halten? Und wie oft wird man noch vom Märchen der Unabhängigkeit erzählen, während man den Gasrechnungen zustimmt?

TIP:  Straffreiheit war gestern

Ein Kontinent der Paradoxien

Europa 2024: Ein Kontinent zwischen Selbsttäuschung und Pragmatismus, zwischen Werten und Verträgen. Vielleicht werden wir eines Tages zurückblicken und uns fragen, warum wir dachten, wir könnten Sanktionen verhängen, ohne die Konsequenzen zu spüren. Vielleicht werden wir uns erinnern, dass es keine Energiequelle gibt, die frei von politischen und moralischen Dilemmata ist.

Bis dahin fließt das Gas weiter, und wir bleiben warm – zumindest physisch. Moralisch hingegen könnte es in den kommenden Wintern etwas kälter werden.

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