Von der heiligen Empörung zur heiligen Einfalt

Die dialektische Dummheit des Zeitgeistes

Es ist eine erstaunliche Widersprüchlichkeit, die sich in jenen Massen manifestiert, die mit inbrünstiger Vehemenz gegen das Gift des Hasses aufbegehren, indem sie, mit schwellenden Adern und rotem Kopf, hasserfüllte Parolen gegen jene skandieren, die sie des Hasses bezichtigen. Man mag annehmen, dass eine gewisse reflektierte Selbstbetrachtung im Vorfeld solcher Demonstrationen hilfreich wäre, doch weit gefehlt: Die Empörung ist mittlerweile zur identitären Grundhaltung einer ganzen Schicht von Tugendrittern geworden, die jede kognitive Dissonanz als Zeichen moralischer Standfestigkeit missinterpretieren. Und so trägt es sich zu, dass ein Schild mit der Aufschrift „Ganz Berlin hasst die AfD“ triumphierend in die Höhe gereckt wird, auf einer Demonstration gegen „Hass und Hetze“. Ein dialektisches Meisterstück im grandiosen Scheitern an der eigenen Logik.

Die inflationäre Empörung als zivilgesellschaftlicher Opiumrausch

Jede Epoche hat ihre Heilsversprechen, ihre öffentlichen Rituale und ihre Formen des Ablasshandels. In unserer Zeit manifestiert sich dies in einem ständigen Hochamt der Empörung, einem ekstatischen Wettbewerb, wer die edelste Gesinnung vor sich hertragen kann. Doch wie jede Sucht verlangt auch diese nach immer höheren Dosen. Ein wohltemperiertes Unbehagen reicht längst nicht mehr, es bedarf des vollkommenen, des absoluten Abscheus gegen das Andere, das Dunkle, das politisch Abweichende. Und so fühlt sich der moralische Krieger nicht nur berufen, gegen Hass zu kämpfen, sondern er muss ihn selbst mit noch größerer Inbrunst zurückschleudern, um seine gerechte Sache zu krönen. Hass gegen die „Hassenden“ ist kein Hass, sondern Notwehr. Ironie? Fehlanzeige.

Der Totalitarismus der „Guten“

So sind wir angelangt in einer neuen Form der Moraldiktatur, in der die „richtigen“ Überzeugungen nicht nur ein Prädikat des Anstands sind, sondern eine soziale Pflicht. Der modernisierte Jakobinismus erfordert keine Guillotine mehr, sondern diffamierende Twitter-Stürme, eine gesellschaftliche Exkommunikation durch den Verlust von Job, Reputation und jeglichem Ansehen. Die neue Robespierre-Garde marschiert nicht mit Bajonetten, sondern mit Hashtags und symbolisch hochgehaltenen Plakaten. Und wie damals trifft es nicht nur die wirklich Verwerflichen, sondern jeden, der auch nur einen Hauch von Zweifeln an der reinen Lehre erkennen lässt.

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Humor als letzte Bastion der Vernunft

Doch wo liegt der Ausweg? Vielleicht, ja vielleicht in einer radikalen Neuvermessung der Diskurslandschaft: nicht durch noch schrillere Empörung, sondern durch eine Renaissance des Humors. Denn was bleibt uns anderes übrig, als diese kognitive Groteske mit einem lakonischen Schulterzucken zu quittieren? Was wäre treffender, als die eigene Absurdität in einem Spiegel zu betrachten, den nicht die Gegner, sondern die eigene Einsicht uns vorhält? So mögen jene, die „Ganz Berlin hasst die AfD“ mit ernstem Gesicht in die Kameras halten, sich fragen: Wie geistig zerrüttet muss man sein, um diesen Satz auf einer Anti-Hass-Demo für eine Glanzleistung des demokratischen Widerstandes zu halten?

Vielleicht hilft ein Lächeln, vielleicht eine Prise Selbstironie. Oder, um es mit Karl Kraus zu sagen: „Satire bringt die Wahrheit zum Lachen.“ Und wer nicht lachen kann, dem bleibt nur die Verbitterung. Schade für ihn.

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