
Die große, wohltemperierte Meinungsfreiheit – einst ein glänzendes Versprechen der Aufklärung – ist heute eine Art Dompteur, der mit knallender Peitsche dafür sorgt, dass das Raubtier namens „öffentliche Debatte“ nicht allzu unkontrolliert aus dem Käfig springt. Es darf brüllen, es darf mit den Zähnen fletschen, doch wehe, es reißt sich los! Dann rücken die Wärter mit den Betäubungspfeilen an, sedieren die Unruhestifter und verfrachten sie in den ideologischen Hochsicherheitstrakt der gesellschaftlichen Ächtung.
Und wer sich in diesen Kerkern der Korrektheit wiederfindet, der hat eines getan: Er hat das Unaussprechliche gesagt. Er hat es gewagt, den heiligen Gral des sozialen Konsens zu entweihen, indem er sich als rechts outete. Rechts! Dieses Wort, schwer wie Blei, klebt sich an den Delinquenten wie eine infektiöse Krankheit, die in der Welt der moralisch Gerechten als unheilbar gilt. Wer es einmal hat, wird es nicht wieder los – und so beginnt der soziale Tod, ein stilles, aber unerbittliches Dahinsiechen im Exil der Unberührbaren.
Die Ansteckung durch das falsche Denken
Es beginnt oft mit einer Lappalie. Man äußert Zweifel an den Weisheiten der neuen Götzen, wagt es, an der Inbrunst der moralischen Erweckungskultur zu rütteln, stellt eine Frage, die eigentlich nicht mehr gestellt werden darf. Ist der Staat wirklich allwissend, wenn er das Klima retten will? Ist es möglich, dass Migration nicht ausschließlich ein unvergleichlicher Gewinn ist? Hat vielleicht nicht jeder, der sich kritisch äußert, automatisch einen Aluhut auf?
Solche Gedanken sind nicht per se verboten. Doch sie sind gefährlich. Wie ein Virus breiten sie sich aus, springen über von einem Zweifelnden auf den nächsten – bis die Seuche sich unkontrolliert ausbreitet. Und in einer Welt, in der Hygiene über alles geht, müssen die Infizierten isoliert werden. Nicht aus Bosheit, nein, sondern aus Verantwortung! Die Gesellschaft ist wie ein steriles Labor, in dem falsche Gedanken sofort erkannt, markiert und vernichtet werden müssen, damit sie nicht die empfindlichen Strukturen des Fortschritts kontaminieren.
Der erste Schritt: Distanzierung. Freunde ziehen sich zurück, Kollegen wahren Sicherheitsabstand, Einladungen bleiben aus. Der Infizierte ahnt, dass die ersten Symptome bereits sichtbar sind – und er wird unruhig.
Der zweite Schritt: Denunziation. Ein verärgerter Ex-Komplize, ein Twitter-Detektiv, ein Gesinnungspfarrer mit zu viel Freizeit wühlt in alten Posts, zieht die Archive durch, findet belastendes Material. Ein alter Witz? Ein ironisch gemeinter Kommentar? Eine unbedachte Zustimmung unter einem falschen Beitrag? Aha! Die Diagnose ist bestätigt: Der Patient ist rechts!
Der dritte Schritt: Ausschluss. Wer rechts ist, ist unberührbar. Jobs verschwinden, Netzwerke implodieren, Freundschaften zerbröseln. Man könnte ja verdächtigt werden, sich mit dem Falschen eingelassen zu haben. Und verdächtig zu sein, ist heutzutage schlimmer, als schuldig zu sein.
Rechts sein ist kein Ort, sondern ein Urteil
Doch was heißt eigentlich „rechts“? Früher, als Begriffe noch eine gewisse semantische Bodenhaftung hatten, meinte es so etwas wie: konservativ, wirtschaftsliberal, ordnungsliebend, traditionsbewusst. Heute bedeutet es: Nazi, Faschist, Menschenfeind. Der Begriff ist so elastisch geworden wie ein billiges Gummiband aus chinesischer Produktion, das so lange gedehnt wird, bis es reißt.
Wer heute für Meinungsfreiheit eintritt, ist rechts. Wer sich gegen cancel culture wehrt, ist rechts. Wer es wagt, eine Statistik zu zitieren, die nicht in den Zeitgeist passt, ist rechts. Wer sich für Grenzen ausspricht – sei es in der Geopolitik oder bei der Sprache –, ist rechts. Wer sich gegen den allgegenwärtigen Schuldkult wendet, ist rechts. Wer eine Impfpflicht kritisch sieht, ist rechts. Wer nicht mit dem Strom schwimmt, sondern stehen bleibt und fragt, wohin der Fluss überhaupt fließt, ist rechts.
Es spielt keine Rolle, ob man sich selbst als rechts sieht. Es spielt keine Rolle, ob man immer brav gewählt, brav gespendet, brav demonstriert hat – wenn die falsche Frage gestellt wurde, wird das Urteil gefällt. Der Angeklagte hat nicht das Recht auf Verteidigung, denn der Prozess findet nicht vor einem ordentlichen Gericht statt, sondern auf der großen öffentlichen Bühne des digitalen Tribunalismus. Das Urteil lautet immer gleich: sozialer Tod.
Der Friedhof der falschen Meinungen
Und so zieht der Verdammte von dannen, verbannt ins Exil der Meinungsverbrecher. Er begegnet anderen Todgeweihten, die alle dasselbe Lied singen: Einst waren sie Teil der Gesellschaft, doch dann – ein falsches Wort, eine falsche Geste, eine falsche Haltung.
Hier, im Schattenreich der Ausgestoßenen, treffen sich die Geächteten: der einstige Kabarettist, der nicht mehr über die richtigen Dinge lachte; der Professor, der eine unmoderne These wagte; der Journalist, der glaubte, seine Aufgabe sei es, zu berichten, nicht zu missionieren.
Und während die Welt draußen weiterzieht, immer entrückter, immer homogener in ihrer moralischen Selbstüberzeugung, wächst im Exil eine neue Spezies heran: Die Lebenden unter den Toten. Die, die gelernt haben, dass es Freiheit nur in der Verbannung gibt. Dass sie nun sagen können, was sie wollen, weil ihnen nichts mehr genommen werden kann. Und dass in diesem gesellschaftlichen Jenseits eine neue Gemeinschaft entsteht – eine Gemeinschaft derer, die das soziale Todesurteil überlebt haben.
Denn wer einmal gestorben ist, hat nichts mehr zu verlieren. Und das macht ihn gefährlich.