
Es war kein Donnerschlag, es war kein Aufstand, es war bloß ein Satz. Und doch war es, als hätte jemand in einem Tempel der Tugend plötzlich den Feuerlöscher bedient: trocken, sachlich, ohne jedes Pathos – aber mit einem Geräusch, das die betroffenen Gesichter der anwesenden Diskutanten schlagartig entflammte. In einer deutschen Fernsehsendung, diesem modernen Pranger mit Studiopublikum und Sozialpädagogenlizenz, erlaubte sich ein ehemaliger Brigadegeneral der Bundeswehr das Undenkbare: Er nannte den Krieg, was er ist. Kein abstrakter Freiheitskampf, keine Netflix-kompatible Heldensaga, kein moralisches Wellnessprogramm zur westlichen Selbstvergewisserung – sondern: Krieg. Mit Toten. Mit Verstümmelten. Mit Zielen. Und vor allem: mit Grenzen.
Der Mann – Erich Vad, ehemaliger militärpolitischer Berater im Bundeskanzleramt – sprach aus, was jeder denkt, der sich zwischen der täglichen Kriegsrhetorik und den allabendlichen Panzerbilanzen noch ein bisschen Restverstand bewahrt hat: Ein Krieg, den man nicht gewinnen kann, sollte besser beendet werden, bevor er alle anderen mit in den Abgrund zieht. Eine Aussage, so einfach wie Sprengstoff – in einem Land, das seinen strategischen Kompass irgendwo zwischen moralischem Furor und tagespolitischer Selbsterlösung verloren hat.
Das Vokabular der Erlösten
Denn was Vad sagte, war nicht pazifistisch, nicht sentimental, nicht einmal originell. Es war nur eines: realistisch. Und das ist heute, in einem Deutschland der 2020er, in dem „Wertegeleitete Außenpolitik“ wie ein veganer Fleischersatz serviert wird – mit viel Verpackung, wenig Substanz und einem leicht bitteren Nachgeschmack –, ein Skandal. Denn die moralische Avantgarde duldet keinen Widerspruch, erst recht nicht von jemandem, der aus der Praxis kommt. Wer sich jahrelang mit der NATO, mit Krisenregionen, mit realer Truppenführung beschäftigt hat, ist denkbar schlecht geeignet für Talkshows, deren stärkstes rhetorisches Kaliber die Betroffenheitsfloskel ist.
Vad stört das Ritual. Er tanzt nicht mit im Reigen der Gesinnungstänzer, die ihre Haltung wie Orden tragen – und ihre Ahnungslosigkeit wie Uniform. Stattdessen zitiert er Zahlen. Strategien. Militärgeschichte. Und – Gott bewahre – er zieht historische Parallelen. Zu Serbien 1999. Zu Bagdad 2003. Zu all den Interventionen, die mit flammenden Reden begannen und in Trümmerlandschaften endeten. Der Punkt ist nicht, dass die NATO damals Völkerrecht gebrochen hat. Der Punkt ist: Niemand redet mehr darüber. Die politische Amnesie ist vollständig, das Gedächtnis selektiv, der Kontext eine Bedrohung für das Narrativ. Und Vad – nun ja, der erinnert zu viel.
Die Empörung als Ersatz für Argumente
Die Reaktionen folgen prompt und vorhersehbar wie der Wetterbericht in der Tagesschau: aus allen Ecken hagelt es Etiketten. „Putin-Versteher“. „Kapitulationsideologe“. „russisches Narrativ“. Der General wird zum dissidenten Schattengewächs erklärt, weil er den Irrsinn nicht euphemisiert, sondern benennt. Und das in einer Sprache, die weder erregt noch erbaut, sondern erklärt. Eine Sprache, mit der man früher vielleicht Generäle oder Staatsmänner beeindruckt hätte – heute aber maximal einen Shitstorm auf Twitter (Pardon: X) auslöst.
Das Spiel ist durchschaubar: Man begegnet strategischer Nüchternheit nicht mit Gegenstrategien, sondern mit moralisierender Selbstverteidigung. Wer fragt, ob ein Sieg überhaupt realistisch ist, wird des Defätismus verdächtigt. Wer fordert, Diplomatie nicht als Feigheit, sondern als Instrument zu begreifen, wird als Verräter diffamiert. Und wer es wagt, das Ende eines Krieges auch als Ziel zu benennen – nicht nur seine Verlängerung – der wird ausgegrenzt. Denn in einem Diskurs, der sich selbst für eine ethische Missionierung begreift, ist das Ziel nicht der Frieden, sondern das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Und das, so scheint es, genügt.
Kanon der Gerechten, Chor der Vergesslichen
Natürlich hat Vad recht. Und genau das macht ihn gefährlich. Denn er rührt an die große Illusion unserer Zeit: Dass man mit Haltung die Gesetze der Realität außer Kraft setzen könne. Dass man mit Sonntagsreden Drohnen aufhalten könne. Dass man mit Gendersternchen in Pressemitteilungen geopolitische Interessen neutralisieren könne. Es ist der alte westliche Hochmut im neuen moralischen Gewand – eine Hybris, die sich für Demut hält, solange sie sich im Spiegel ihrer eigenen Pressekonferenzen betrachtet.
Die Parallelen zur Geschichte sind zu deutlich, um sie nicht zu benennen: Wer 1917 den Ersten Weltkrieg beenden wollte, war ein Vaterlandsverräter. Wer 1968 gegen den Vietnamkrieg protestierte, war Kommunist. Wer 2003 den Irakkrieg kritisierte, war ein Sicherheitsrisiko. Und heute? Heute ist, wer auf Verhandlungen pocht, ein Feind der Menschenrechte. Wer nach einer politischen Lösung ruft, ein Apologet der Gewalt. Wer an das Völkerrecht erinnert, ein Querfront-Fantast.
Von Haltung und Heuchelei
So verkehrt sich das Vokabular der Friedensbewegung ins Gegenteil: „Waffen für den Frieden“, „Krieg für die Freiheit“, „Eskalation als Notwendigkeit“. Das erinnert an die alten Sprachkunststücke der Macht: „Arbeit macht frei“, „Schutzhaft“, „chirurgische Schläge“. Nur dass heute die Humanisten in PR-Agenturen sitzen und ihre Kriegsrethorik mit Empathie garnieren. Die Humanität der Bombardierung ist das neue Mantra. Der zivilisierte Krieg – geführt mit sauberen Händen, aber schmutzigen Konsequenzen.
Und so werden nicht mehr Generäle gehört, sondern Gefühle. Die Analyse weicht der Attitüde. Der Diskurs wird zur Dienstleistung, das Denken zum Risiko. Vad aber verweigert sich diesem Spiel. Und darin liegt seine Bedeutung – und seine Bedrohung.
Schlussakkord ohne Finale
Ein Krieg, der militärisch nicht zu gewinnen ist, muss beendet werden. Nicht irgendwann. Nicht „nach dem Sieg“. Sondern: Jetzt. Das ist keine Kapitulation, das ist keine Schwäche – es ist das Eingeständnis, dass Vernunft kein Feind der Moral ist, sondern ihre Voraussetzung. Wer das nicht erkennt, wird bald wieder Geschichtsbücher schreiben – über neue Trümmer, neue Totenlisten, neue Versäumnisse.
Die Pointe? Sie ist bitter: In einer Gesellschaft, die Realismus mit Zynismus verwechselt und Moral mit Mandat, ist derjenige gefährlich, der nicht einfühlsam, sondern erfahrungssatt spricht. Der nicht besser weiß, sondern besser erinnert.
Erich Vad hat den Krieg nicht erfunden. Er hat ihn nur benannt. Und das, so scheint es, ist heute das größere Verbrechen.