
Wenn Deutschland Solidarität neu definiert
Es ist wieder so weit: Olaf Scholz, der Mann mit der sprichwörtlichen hanseatischen Besonnenheit, taucht überraschend in Kiew auf und verkündet mit staatsmännischem Ernst die nächste Großlieferung an Rüstungsgütern. 650 Millionen Euro – eine Zahl, die, wenn man sie im Kontext von Panzerketten, Raketen und Munition sieht, fast harmlos klingt. Doch die Symbolik dahinter ist klar: Die Ukraine steht an erster Stelle, und Deutschland lässt sich nicht lumpen.
„Die Ukraine kann sich auf Deutschland verlassen“, sagt Scholz, mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der irgendwo zwischen stoischer Pflichterfüllung und unterschwelliger Ironie pendelt. Und wie zur Bestätigung des neuen deutschen Mantras schiebt Außenministerin Annalena Baerbock den Kommentar hinterher, der längst zum Meme einer ganzen Außenpolitik geworden ist: „Ganz egal, was meine deutschen Wähler denken.“ Es scheint, als habe man im Auswärtigen Amt ein neues Motto gefunden: „Demokratie ist, wenn die Regierung entscheidet, was richtig ist – und die Bürger es einfach akzeptieren.“
Doch wie sinnvoll ist es, die Prioritäten eines Landes so unumstößlich auf „Ukraine First“ auszurichten, dass man fast vergisst, wer diese Politik eigentlich finanzieren soll? Eine Frage, die nicht nur Haushaltsökonomen, sondern auch zunehmend skeptische Wähler umtreibt. Willkommen in einer Welt, in der Solidarität eine Einbahnstraße ist – und die Ampelregierung den Takt vorgibt.
Die Kunst der Prioritätensetzung
Deutschland, das Land der Ingenieure, der Dichter und Denker, hat sich längst zum globalen Meister der Prioritätensetzung aufgeschwungen. Es ist beeindruckend, wie ein Land mit bröckelnder Infrastruktur, einem Bildungssystem im Rückwärtsgang und einem Gesundheitssystem, das nur noch dank Überstunden und Heldentum funktioniert, stets genug Ressourcen findet, um die Welt zu retten.
Man könnte fast meinen, Deutschland sei ein überambitionierter Gastgeber bei einem endlosen internationalen Wohltätigkeitsball. Die Heizung im eigenen Haus funktioniert nicht? Kein Problem, solange der Nachbarstaat nicht frieren muss. Die eigene Wirtschaft ächzt unter Rekordsteuern und explodierenden Energiepreisen? Macht nichts, Hauptsache, wir exportieren Panzer und moralische Überlegenheit.
„Wir sagen, was wir tun. Und wir tun, was wir sagen“, versichert Scholz, als wäre dies eine besonders originelle Errungenschaft. Aber was bedeutet diese Konsequenz in der Praxis? Während deutsche Schulen und Krankenhäuser mit kaputten Fenstern, Lehrermangel und maroden Sanitäranlagen kämpfen, fließt Geld in neue militärische Großprojekte für die Ukraine. Und zwar in beeindruckendem Tempo. Wäre der deutsche Staat halb so effizient darin, Schlaglöcher zu füllen, wie er es beim Versand von Leopard-Panzern ist, könnten die Bürger vielleicht sogar wieder stolz darauf sein, Steuern zu zahlen.
Was denkt der Wähler
„Ganz egal, was meine deutschen Wähler denken.“ Dieser Satz, der Annalena Baerbock in einem Moment diplomatischer Offenheit entwischte, ist mehr als nur eine PR-Panne. Er ist das Manifest einer politischen Klasse, die sich zunehmend von der Realität ihrer Bürger entfernt. Er zeigt, wie Selbstverständnis und Außenwirkung der deutschen Regierung in schmerzhaftem Widerspruch zu den Sorgen und Bedürfnissen der Bevölkerung stehen.
Die Inflation frisst sich durch die Ersparnisse der Bürger, während die Tafeln überrannt werden. Dennoch wird der Eindruck vermittelt, dass die größte Sorge der Bundesregierung die Lage in Kiew ist. Es ist ein bemerkenswertes Paradoxon: Man regiert ein Land, das immer mehr unter der Last seiner inneren Probleme zusammenzubrechen droht, aber die Prioritätenliste beginnt immer jenseits der deutschen Grenzen.
Natürlich, Solidarität ist wichtig. Natürlich, die Ukraine verdient Unterstützung angesichts der unbestreitbaren Gräuel des russischen Angriffskrieges. Aber Solidarität, die zur Selbstaufgabe führt, ist nicht mehr Solidarität, sondern eine Form von politischem Masochismus.
Die neuen deutschen Exportgüter – Waffen und Moral
Deutschland war einst bekannt für den Export von Autos, Maschinen und – in den besseren Zeiten – Ideen. Heute jedoch hat sich die Exportpalette erweitert: Wir liefern Waffen, gute Absichten und moralische Lektionen. Diese neue Rolle als globaler moralischer Weltpolizist mag den Politikern gut stehen, doch sie hat ihren Preis. Und diesen Preis zahlt am Ende der deutsche Steuerzahler, der sich angesichts explodierender Lebenshaltungskosten und eines immer löchriger werdenden sozialen Netzes fragt, wann die Solidarität mit der eigenen Bevölkerung eigentlich wieder en vogue wird.
Die Ironie ist kaum zu übersehen: Während die Bundesregierung Milliarden für Rüstungsgüter und Wiederaufbauhilfen bereitstellt, wartet der eigene Mittelstand verzweifelt auf Rettungspakete. Und während Politiker den Bürgern erklären, warum Verzicht doch so tugendhaft ist, fließen Milliarden in Form von Panzerlieferungen gen Osten.
Die Balance zwischen Moral und Pragmatismus
In einer idealen Welt könnten Moral und Pragmatismus harmonisch nebeneinander existieren. Doch die Realität zeigt, dass eine allzu einseitige Ausrichtung auf moralische Verpflichtungen schnell zur Überforderung führt. Deutschland hat sich in den letzten Jahren zunehmend in die Rolle eines globalen Problemlösers gedrängt – ohne Rücksicht darauf, ob die eigenen Ressourcen ausreichen, um diese Rolle tatsächlich zu erfüllen.
Das Resultat ist eine zunehmend angespannte Stimmung im Land. Während Politiker in Sonntagsreden von Solidarität und globaler Verantwortung schwärmen, fragt sich der Durchschnittsbürger, wie er seinen Alltag bestreiten soll. Und die Kluft zwischen politischem Anspruch und gesellschaftlicher Realität wird mit jedem neuen Milliardenpaket größer.
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst – außer in Deutschland
„Ukraine First“ mag eine noble Parole sein, doch sie ist auch eine gefährliche. Denn eine Politik, die stets das Wohl anderer vor das eigene stellt, riskiert, ihre Grundlage zu verlieren. Deutschland kann nur dann ein verlässlicher Partner für die Ukraine und andere sein, wenn es seine eigenen Probleme nicht vernachlässigt. Eine Balance zwischen internationaler Solidarität und nationaler Verantwortung zu finden, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von politischer Reife.
Olaf Scholz mag in Kiew als der große Unterstützer gefeiert werden, doch die wahre Frage bleibt: Wie lange wird die deutsche Bevölkerung bereit sein, diesen Kurs mitzutragen? Wenn sich die Prioritäten eines Staates so weit von den Bedürfnissen seiner Bürger entfernen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Rufe nach Veränderung lauter werden. Vielleicht wäre es an der Zeit, ein neues Motto zu wählen – eines, das Solidarität nicht mit Selbstaufgabe verwechselt.
Quellen und weiterführende Links
- Tagesschau. „Olaf Scholz in Kiew: 650-Millionen-Euro-Hilfspaket angekündigt.“ ARD, 2024.
- Süddeutsche Zeitung. „Baerbock: ‚Ganz egal, was meine deutschen Wähler denken.‘“ Artikel vom Oktober 2024.
- Die Zeit. „Deutschland im Ukraine-Dilemma: Wie viel Solidarität ist zu viel?“
- FAZ. „Die Kosten der Solidarität: Wer zahlt für den Krieg in der Ukraine?“
- Spiegel Online. „Olaf Scholz in Kiew: Neue Waffenlieferungen für die Ukraine – und was sie bedeuten.“