
Zurück in die Zukunft – Aber ohne Bilder bitte!
Es ist ein merkwürdiger Widerspruch unserer Zeit: Während die Welt um uns herum immer mehr in Richtung Künstliche Intelligenz und interplanetare Kolonisation strebt, gibt es auf dieser Erde noch einen Ort, an dem man den Blick stur in den Rückspiegel richtet – Afghanistan, das Land der Taliban. Nicht, dass Rückspiegel im neuen Afghanistan irgendeine Bedeutung hätten. Denn die neueste Ankündigung aus dem beschaulichen Tugendministerium besagt: „Bilder von Lebewesen sind verboten!“ Ja, richtig gelesen. Menschen, Tiere, vielleicht sogar Pflanzen – alles, was nicht aus Marmor gemeißelt ist oder wenigstens ein Schafsfell trägt, wird ab sofort aus den afghanischen Medien verbannt.
In der Ära der Taliban also wieder einmal ein Schritt zurück ins Mittelalter, diesmal allerdings mit einem modernen Twist: Anstelle von brennenden Hexenfeuern gibt es nun die Flammen des digitalen Zensors. Der Schritt sei ein notwendiger, betont Saiful Islam Chyber, der Sprecher des Tugendministeriums, denn bildliche Darstellungen „verstoßen gegen das islamische Gesetz“. Man stelle sich also die zukünftige afghanische Tagesschau vor: Eine 30-minütige Tonspur, in der freudig über die neuesten Fortschritte der afghanischen Landwirtschaft berichtet wird – ohne ein einziges Bild. Stattdessen vielleicht ein Schwarzbild oder ein geometrisches Muster, um die Unschuld der Seelen zu bewahren.
Tugendhaftigkeit in Textform
Was aber wird nun aus der Tugend? In der Welt der Taliban ist sie überall. Sie hat Gestalt angenommen, durchsetzt jeden Lebensbereich und kann im Alltag beinahe riechbar sein – Tugend parfümiert den afghanischen Alltag wie ein Duft aus alten Zeiten. Doch Achtung, hier riecht es eher nach gestriger Suppe als nach Rosenblütenwasser. Was die Taliban unter Tugend verstehen, ist eine faszinierende Mischung aus autoritärer Kontrolle, religiösem Dogmatismus und dem Streben nach einer Gesellschaft, in der die Zeit stehen geblieben ist – ungefähr um das Jahr 622.
Das „Tugend“-Gesetz, das im Sommer 2023 eingeführt wurde, regelt das Leben in Afghanistan bis ins Detail. Frauen sollen unsichtbar werden, buchstäblich und akustisch: Die Stimme einer Frau, so besagt das Gesetz, ist eine „aurat“ – ein zu verhüllendes intimes Körperteil. Man stelle sich das mal vor: Der bloße Klang einer weiblichen Stimme in der Öffentlichkeit wird als so gefährlich empfunden, dass er unter einem Verbot steht. Ist das die ultimative Bestätigung der weiblichen Macht oder doch einfach nur die größte Absurdität des 21. Jahrhunderts?
Es ist eine groteske Vorstellung, dass ein Gesetz Menschen vorschreibt, nicht nur, wie sie auszusehen, sondern auch, wie sie zu klingen haben. Aber die Taliban wären nicht die Taliban, wenn sie nicht jede Form von Freude, Lebendigkeit und – man verzeihe den Ausdruck – Menschlichkeit aus dem öffentlichen Leben verbannen würden.
Es lebe der Einheitsbart
Interessant wird es auch bei den Männern. Männer müssen mindestens knielange Hosen tragen und – natürlich – einen ordentlichen Bart. Ein Bart, der, so will es die Tugend, nicht zu kurz sein darf. Barttrimmer und Rasierer sind in dieser neuen Weltordnung wahrscheinlich das Werkzeug des Teufels, und die Taliban scheinen entschieden zu haben, dass ein gewisser Grad an Gesichtsbehaarung essenziell für den Eintritt ins Paradies ist.
Man kann sich den durchschnittlichen Taliban-Herrn also ungefähr so vorstellen: Ein Mann, gekleidet wie eine Mischung aus einem Aladdin-Komparsen und einem mittelalterlichen Einsiedler, mit einem Bart, der so akkurat bemessen ist, dass er den strengsten Kleriker zufriedenstellt.
Und apropos Zufriedenheit: Wer glaubt, dass in der Taliban-Version eines gerechten, gottgefälligen Lebens noch irgendein Platz für individuelle Freiheit oder gar Spaß wäre, der sollte dringend seinen Sinn für Ironie überdenken. Denn das Ziel der Taliban scheint klar: Ein freudloses, graues Leben für alle, in dem man sich am besten durch maximale Unauffälligkeit und gleichförmiges Auftreten über Wasser hält. Schließlich könnte ja ein fehlender Bart, ein kurzer Rock oder, Gott bewahre, das Bild einer Katze die Apokalypse herbeirufen.
Die visuelle Abstinenz als Mittel zur Kontrolle
Die radikale Ablehnung von Darstellungen jeglicher Art – seien es Menschen oder Tiere – ist natürlich kein Zufall. In einer Welt, in der die Macht über das Bild die Macht über die Erzählung ist, sorgt die Taliban mit ihrem neuen Gesetz für ein gnadenloses Monopol auf die Wahrheit. Denn wo es keine Bilder gibt, gibt es keine Zeugen. Kein Kind, das hungrig an der Straße sitzt, kein Haus, das durch eine Bombe zerstört wurde, kein öffentlicher Protest – das alles existiert nicht, wenn es nicht abgebildet wird.
Die Taliban haben verstanden, dass Kontrolle über die Vorstellungskraft der Menschen Kontrolle über ihr Verhalten bedeutet. Denn der Mensch, so scheint es, will glauben. Und wenn die einzigen Bilder, die ihm angeboten werden, diejenigen der Taliban-Ideologie sind, dann gibt es keine Alternative. Eine buchstäbliche Bilderlosigkeit schafft eine imaginationslose Gesellschaft, in der das Wort der Herrschenden Gesetz ist – ein totalitäres Paradies, wie es in den schlimmsten dystopischen Albträumen vorkommt.
Zuflucht in die Absurdität
Aber lassen wir uns doch einen Moment von der Absurdität dieses Gesetzes ablenken und tauchen in die Tiefen der menschlichen Kreativität ein. In den unendlichen Weiten des Ozeans, fernab vom starren Regelwerk der Taliban, erkunden Forscher derzeit Unterwassergärten in der Karibik. Dank modernster Tauchausrüstung und finanzieller Unterstützung durch Rolex (!) entdecken sie farbenfrohe Artenvielfalt in den tiefen Zonen, die die Taliban vermutlich ebenfalls für einen Ausdruck dekadenter Zügellosigkeit halten würden.
Ja, in der Taliban-Logik könnte auch die Tiefsee bald als zu freizügig gelten – denn wer weiß, was sich dort unten an nicht-islamischen Fischarten tummelt? Es bleibt zu befürchten, dass auch der Ozean bald durch ein Tugendgesetz reguliert wird. Fische ohne Schleier, Tentakel, die allzu freizügig durch die See gleiten – solche Dinge könnte man doch nicht unkommentiert lassen! Ein internationaler Taucher-Bann wird wahrscheinlich die einzige Lösung sein.
Die selbsternannten Herrscher über das Unsichtbare
Die Taliban haben es einmal mehr geschafft, sich als die selbsternannten Hüter der Moral und Tugend zu positionieren. Doch ihre bizarre Mischung aus autoritärer Kontrolle und mittelalterlicher Rechtsauffassung wirkt zunehmend wie ein abgedroschenes Theaterstück, dessen Darsteller völlig in ihrer eigenen Welt gefangen sind. Sie haben sich die Aufgabe auferlegt, das Sichtbare unsichtbar zu machen und das Unsichtbare zur einzig gültigen Wahrheit zu erheben.
Während der Rest der Welt auf dem Weg ist, künstliche Intelligenz zu entwickeln, das Universum zu erkunden und in die Tiefsee zu tauchen, träumen die Taliban von einer Welt ohne Bilder, ohne Frauenstimmen und ohne bunte Vielfalt. Die Welt der Taliban ist monochrom und steril, gefangen in einem absurden Paradox, in dem jede Abweichung von der normativen Vorstellung von Tugend als direkter Weg in die Verdammnis gilt.
Die Absurdität des Absoluten
Das Verbot der Darstellung von Lebewesen ist mehr als nur eine Randnotiz im ohnehin schon düsteren Bild des Taliban-Regimes. Es ist der groteske Höhepunkt einer Ideologie, die das Leben verneint, indem sie alles Lebendige verbannt. Aber während die Taliban weiter versuchen, ihre Vision einer perfekten Welt durchzusetzen, bleibt die Hoffnung, dass diese dunkle Episode irgendwann von der bunten Vielfalt der menschlichen Kreativität überstrahlt wird – sei es über Wasser oder unter den Wellen der Tiefsee.
Quellen und weiterführende Links
- United Nations Human Rights Office: Report on Human Rights in Afghanistan under Taliban Rule – Eine umfassende Analyse der Menschenrechtssituation seit der Machtübernahme der Taliban.
- Ahmed Rashid: Taliban: Militant Islam, Oil, and Fundamentalism in Central Asia – Ein Standardwerk über die Geschichte und Ideologie der Taliban.
- Amnesty International: The Situation of Women in Afghanistan – Berichte über die Auswirkungen der Taliban-Gesetze auf Frauenrechte.
- Al-Jazeera, BBC, AFP: Berichte über die aktuellen Gesetze und politischen Entwicklungen unter den Taliban.
- Rolex Perpetual Planet: Tiefseeforschung und Artenvielfalt in der Karibik – Weil man manchmal lieber tief in die Ozeane abtaucht, als in die Abgründe der Politik.