Tatperson, Täterschaft und Taktgefühl

Es ist eine unscheinbare Nachricht, wie sie täglich durchs Land rauscht, gesprochen von seriösen Nachrichtensprecher:innen mit betonfreier Stimme, glatten Sakkos und geföhnten Phrasen: „Die Suche nach der Tatperson läuft.“
Kein Mensch zuckt mehr. Niemand hält inne. Die Meldung rinnt wie lauwarmes Wasser durch den Gehörgang, und erst beim zweiten Hinhören – wenn man nicht gerade damit beschäftigt ist, seine CO₂-Bilanz mit veganem Linsenkuchen zu kompensieren – beginnt sich da etwas zu regen: Tatperson? War da nicht mal… Täter?

Nein, nein, ruft da der Fortschritt, von der Kanzel der moralischen Orthografie: Täter sei ein altes Wort. Männlich kodiert. Schuldhaft. Exkludierend. Tatperson, das ist inklusiv. Geschlechtsneutral. Ohne Vorverurteilung. Und überhaupt: Wer sind wir denn, die Schuldfrage schon im Wort zu klären?
Die Sprache, einst Werkzeug zur Erkenntnis, wird zum Neutralitätslabor, zur Silbenbegradigung, zur moralisch aufgeladenen Teppichkante, über die niemand mehr stolpern soll – weil sie sonst „Trigger“ rufen könnten. Und also läuft die Suche. Nicht nach dem Täter. Sondern nach der Tatperson. Und damit, wenn wir ehrlich sind: nach dem letzten Rest sprachlicher Klarheit.

Der Täter hat sich aus dem Staub der Semantik gemacht

Der Täter, das war einmal ein fester Begriff. Kein schöner, aber ein notwendiger. In ihm steckte Handlung, Verantwortung, Konsequenz. Er war – Achtung – eindeutig. Aber Eindeutigkeit ist heute verdächtig. Man will nicht urteilen, sondern „einordnen“. Man will nicht benennen, sondern „sensibilisieren“. Und also weicht der Täter der Tatperson – ein Passivum mit Personalausweis, ein sprachlicher Fluchtraum für alle, die lieber nichts Falsches sagen, als irgendetwas Richtiges.

Das Bemerkenswerte ist: Es ist ja nicht so, dass die Welt weniger brutal geworden wäre. Ganz im Gegenteil. Während draußen echte Taten geschehen – mit Opfern, Schmerzen, Waffen, Blut – verlegen wir uns darauf, die sprachlichen Splitter aus dem Diskurs zu pulen. Anstatt über Kriminalität zu sprechen, diskutieren wir über ihre Formulierung. Und während sich die Wirklichkeit weiter radikalisiert, radikalisiert sich die Sprache – in Richtung Zahnarztwartezimmer.

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Denn „Tatperson“, das klingt nicht nach Strafrecht. Es klingt nach Soziologiepraktikum. Man sieht einen jungen Mann mit Bauchnabelpiercing und Therapielatte, wie er sagt: „Wir müssen auch die Perspektive der Tatperson einbeziehen. Vielleicht hat sie sich ja selbst als Opfer ihrer sozialen Konstruktion erlebt.“
Täter? Nein. Das wäre zu einfach. Zu abschließend. Zu wenig „differenziert“. Der Täter wird zur „Tatperson“, die Bombe zum „pyrotechnischen Vorfall“, der Einbruch zur „nächtlichen Kontaktaufnahme“. Die Welt wird weichgespült, aber nicht sanfter.

Sprache als Sedierungsmittel einer überforderten Öffentlichkeit

Woher kommt diese sprachliche Neurose? Aus Angst, natürlich. Nicht etwa vor Tätern, sondern vor Vorwürfen. Der schlimmste Vorwurf in der spätmodernen Republik lautet heute nicht mehr „Lüge“, sondern: Unsensibilität. Wer Täter sagt, ohne genderneutrale Triggerwarnung, wer Opfer benennt, ohne auf koloniale Sprachspuren zu achten, riskiert nicht mehr nur Kritik, sondern Cancel. Die Sprache wird zur Zone der Selbstzensur. Jedes Wort ein potenzielles Minenfeld. Jeder Satz ein diplomatischer Drahtseilakt.

Und so entstehen Monster wie „Tatperson“. Ein sprachliches Konstrukt, geboren aus der Angst vor Zuschreibung. Es ist das sprachliche Äquivalent zum „Nichtstun mit bester Absicht“. Man will alles sagen, ohne etwas Falsches zu sagen – und am Ende sagt man: nichts. Die Sprache wird zur leeren Hülle, gefüllt mit gut gemeinter Absicht. Doch wir wissen: Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit wohlmeinenden Formulierungen.

Historische Parallelen: Wie Euphemismen die Klarheit auffressen

Wer glaubt, diese Entwicklung sei ein Zeichen von Fortschritt, dem sei ein Blick in die Geschichte empfohlen. In autoritären Systemen war die Sprache immer zuerst Ziel der Säuberung – nicht der Täter, sondern der Begriff. Die DDR sprach nicht von Mauer, sondern von „antifaschistischem Schutzwall“. Die Nazis sprachen nicht von Mord, sondern von „Sonderbehandlung“. Und heute sprechen wir nicht von Täter, sondern von Tatperson.
Natürlich – der Vergleich soll nicht gleichsetzen. Aber er darf erinnern: Wenn Sprache aufhört, zu benennen, beginnt die Wirklichkeit, sich zu tarnen. Und wenn alles nur noch in Watte verpackt daherkommt, dann hört man irgendwann nicht mehr das Knirschen unter den Füßen.

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Pointenfreiheit als Programm: Wie man mit gutem Willen schlechte Sprache macht

Die Bürokratie hat das längst verstanden. Polizeimeldungen lesen sich heute wie das Ergebnis eines Poetry-Slams in der Reha-Klinik für beleidigte Konsonanten.
„Eine bislang unbekannte Tatperson entwendete mehrere Nahrungsmittel aus einem Einzelhandelsgeschäft.“
Ach ja? Früher nannte man das Ladendiebstahl.
Oder:
„Ein körperlicher Übergriff durch eine männlich gelesene Person mit mutmaßlich eingeschränktem emotionalem Selbstregulationsvermögen.“
Übersetzt: Ein Typ hat jemanden verdroschen.
Aber das klingt halt nicht so… sensitiv.

Die Schlusspointe: Die Suche läuft – aber nicht nach der Tatperson

Und so läuft sie weiter, die Suche. Die Polizei fahndet, das Fernsehen berichtet, der Diskurs rotiert – und niemand will die Täter sein. Nicht in der Sprache, nicht in der Politik, nicht im echten Leben. Alle sind immer nur „betroffen“. Von Zuständen. Von Entwicklungen. Von Missverständnissen.
Aber wer ist verantwortlich?

Der Täter jedenfalls nicht. Er ist jetzt eine Tatperson. Eine Tatperson unter vielen. Eine Erscheinungsform. Eine Möglichkeit. Und damit ist alles gesagt – und zugleich: nichts.

Doch eines ist sicher:
Die Suche nach der Klarheit läuft.
Die Suche nach Mut in der Sprache läuft.
Und die Suche nach der Tatperson?
Die läuft ins Leere.

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