Schuldenbremse oder Russischkurs?

Jens Spahn, das rhetorische Maschinengewehr der Union, hat es wieder getan. In einer Mischung aus Endzeitprophetie und Volkshochschulkurs-Empfehlung malt er die Welt in den düstersten Farben: „Wir Europäer haben doch zugespitzt gesagt nur zwei Möglichkeiten: Wir können uns verteidigen lernen oder alle Russisch lernen.“ Welch eine Wahl! Zwischen Kursanmeldung bei der VHS Moskau und der Musterung in einer Bundeswehr, die sich waffentechnisch auf dem Stand einer gut ausgerüsteten Pfadfindertruppe bewegt.

Die Kunst der grotesken Übertreibung

Was aber ist diese groteske Rhetorik anderes als die konsequente Fortsetzung jenes populistischen Panikorchesters, das uns seit Jahren begleitet? Während die AfD sich in der Angstlust des Untergangs suhlt, während die FDP sich mit der Schuldenbremse wie mit einem rituellen Kultgegenstand in den Kaminzimmern der wirtschaftsliberalen Aristokratie verschanzt, während die Grünen sich in moralischer Selbstüberhöhung verheddern – betritt die Union die Bühne mit einer Mischung aus Kaltem Krieg und Kalauer, aus Furchtpropaganda und Floskelfeuerwerk.

Was nützt die schönste Schuldenbremse, wenn der Russe vor der Tür steht?

Es ist ein Satz wie ein Schlag mit dem Holzhammer. Eine Mischung aus Stammtisch-Weisheit und apokalyptischer Vision, die an der Realität ungefähr so nah dran ist wie ein Groschenroman an der Weltliteratur. Denn was genau wird hier suggeriert? Dass ein Russland, das militärisch und wirtschaftlich mit immensen Problemen zu kämpfen hat, demnächst im Kanzleramt einzieht, wenn nicht sofort der Bundeshaushalt in die Verteidigung gepumpt wird? Dass sich die Deutschen zwischen einem intakten Haushalt und einer freien Gesellschaft entscheiden müssen? Dass Schuldenabbau in Friedenszeiten ein nettes Hobby ist, aber sobald irgendwo ein Konflikt ausbricht, wir unser gesamtes Finanzkonzept über Bord werfen sollen?

Vom Ernst der Lage zur Realsatire

Die Sache hat natürlich einen ernsten Kern: Ja, Europa muss sich verteidigungsfähig halten, ja, Russland unter Putin ist ein Problem, ja, militärische Unabhängigkeit ist wichtig. Aber der Versuch, dies mit Schreckensbildern und Bierzeltlogik zu untermauern, ist nicht nur intellektuell unredlich, sondern auch gefährlich. Denn wer dauernd den Untergang des Abendlandes herbeiredet, muss sich nicht wundern, wenn die Bürger irgendwann aufhören, zuzuhören – oder aber in Panik verfallen und sich genau jenen Populisten zuwenden, die solche Krisenstimmungen mit Wonne ausschlachten.

TIP:  MAN WIRD REDEN MÜSSEN

Spahn, der letzte Kriegsberichterstatter

Man stelle sich einen Moment vor, Spahns Wortwahl wäre allgemeiner Sprachgebrauch. Die Wettervorhersage würde lauten: „Morgen 30 Grad, Sonnenbrand oder Hitzetod – entscheiden Sie selbst!“ Die Ernährungsberatung würde raten: „Weniger Zucker oder Diabetes-Endstadium – Ihre Wahl!“ Und die Verkehrssicherheit? „Fahrradhelm oder Tod durch Kopfzertrümmerung – bitte abwägen!“

Es ist diese sprachliche Dramatisierung, die politische Debatten nicht nur verroht, sondern auch entwertet. Denn wer ständig in Extremen denkt, verlernt die Zwischentöne. Und genau diese Zwischentöne, diese sachliche Abwägung, wären nötig, um über Themen wie Verteidigung, Sicherheit und wirtschaftliche Verantwortung ernsthaft zu diskutieren. Aber ernsthafte Diskussionen – und damit kommen wir zum eigentlichen Problem – sind eben nicht das, was Spahn und Konsorten anstreben. Vielmehr geht es um Wirkung, um Schlagzeilen, um die nächste Twitter-Welle, die nächste Empörungsrunde, den nächsten lauten Aufschrei im politischen Zirkus.

Ein Plädoyer für die Rückkehr zur Vernunft

Wir sollten Spahn und seinen Rhetorikbrüdern eines gönnen: die Anerkennung für kreatives Storytelling. Es gehört eine gewisse Chuzpe dazu, die Schuldenbremse und die russische Invasion in einem Atemzug zu nennen, als sei der Staatshaushalt ein geopolitischer Schutzschild. Aber vielleicht wäre es an der Zeit, weniger auf plumpes Säbelrasseln und mehr auf differenzierte Analysen zu setzen. Weniger Angst, mehr Vernunft. Weniger Panikmache, mehr Sachlichkeit. Weniger Spahn.

Aber wer weiß – vielleicht müssen wir am Ende doch Russisch lernen. Nur nicht wegen der Invasion, sondern um zu verstehen, wie Propaganda wirklich funktioniert.

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