
Es ist eine seltsame Zeit, in der selbsternannte Strategen in Maßanzügen mit PowerPoint-Präsentationen über Krieg und Frieden verhandeln, als ginge es um die Quartalszahlen eines mittelständischen Maschinenbauers. Und mittendrin steht er, der Mann, der seine ganze politische Renaissance auf einem Glaubwürdigkeitsdefizit aufgebaut hat: Friedrich Merz, genannt „Taurus“, benannt nach der Präzisionsrakete, die wie er selbst vor allem eines ist – laut, teuer und politisch schwer steuerbar.
Während die einen den Frieden suchen, um den Krieg zu beenden, suchen andere den Krieg, um sich im Frieden zu profilieren. In dieser merkwürdigen Dialektik spielt Merz die Rolle des kalten Realisten – oder vielmehr des heißen Dampfplauderers. Er redet von Führung, meint aber Machtdemonstration. Er spricht von Solidarität, zielt aber auf Eskalation. Und während die moralisch aufgeladene Rhetorik der Bellizisten in Talkshows wie Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt verteilt wird – heiß, klebrig und im Übermaß –, sitzt irgendwo ein Mann, der weiß, wie Krieg wirklich funktioniert. Ein Mann, den man heute schon fast als subversiv bezeichnen muss, weil er nüchtern bleibt: General a.D. Harald Kujat.
Wenn ein General die Vernunft verteidigt
Kujat, kein Pazifist, kein Träumer, kein Twitter-Prophet. Ein Mann, dessen Stimme sich nicht überschlägt, weil er weiß, dass im Krieg niemand schreit – außer denen, die sterben. Und dieser Mann sagt, glasklar, logisch und vernunftgeschärft wie eine Klinge: Wenn Deutschland Taurus liefert und zugleich die Planung und Durchführung übernimmt, dann ist das keine Spende, kein Beistand, keine symbolpolitische Fanfare – sondern der offene Eintritt in einen Krieg gegen eine Atommacht. Punkt.
Doch in der politischen Parallelrealität ist solche Klarheit ein Affront. Wer heute so etwas sagt, wird nicht etwa gehört, sondern gecancelt – nicht aus Bosheit, sondern aus Bequemlichkeit. Denn Kujats Wahrheit ist sperrig. Sie passt nicht in die 280 Zeichen der Empörungsindustrie. Sie ist nicht gefällig, nicht kampagnenfähig, nicht mit Glitzersternchen zu versehen. Deshalb müssen andere her – die Lautsprecher, die „Macher“, die politischen Raufbolde mit der moralischen Weste aus Watte. Menschen wie Friedrich Merz, der glaubt, man könne Geopolitik wie Aktien handeln – nur dass der Börsencrash diesmal in Feuer und Asche kommt.
Merz und der Krieg: Der Feldherr im Fernsehstudio
Friedrich Merz hat von Militärstrategie so viel Ahnung wie ein Veganer von Wildschweinjagd. Aber das hindert ihn nicht daran, seine Stimme zur Trompete des gerechten Krieges zu erheben. Er spricht von Führung, als wäre ein Raketenangriff der neue Maßstab deutscher Außenpolitik. Der Taurus, das Symbol seiner Standhaftigkeit, ist in Wahrheit nur das Spiegelbild seiner Hybris – ein Spielzeug des politischen Symbolismus, mit dem man sich die Welt zurechtballert, wenn das Argument versagt.
Merz und seine Mitstreiter argumentieren, Deutschland dürfe nicht zaudern. Aber was sie meinen: Deutschland dürfe nicht denken. Wer zögert, wer abwägt, wer die Konsequenzen kalkuliert, gilt heute als Putinversteher. Der neue Puritanismus duldet keine Grautöne, keine Differenzierung. Es gibt nur noch „mutig“ oder „feige“, „Entschlossenheit“ oder „Verrat“. Dass zwischen diesen Polen die Vernunft liegt – das wird zur Nebensache erklärt.
Ideologie gegen Realität: Der Moment der Verantwortung
Was Kujat formuliert, ist keine Meinung – es ist die Beschreibung eines realpolitischen Zustands. Er sagt, was Sache ist: Wenn Deutschland Kriegsführung übernimmt, dann ist das Kriegsteilnahme. Nicht mehr, nicht weniger. Wer das nicht versteht, sagt Kujat, habe in der Politik nichts verloren. Und man möchte hinzufügen: Wer es versteht und trotzdem dafür plädiert, ist entweder gefährlich oder eiskalt zynisch – oder beides.
Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Es liegt im politischen Theater selbst, das die Bühne des Krieges mit der Kulisse des Fortschritts verwechselt. Der Westen ist so tief in seine moralische Selbstinszenierung verstrickt, dass er den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Größenwahn nicht mehr erkennt. Und so ruft man nach Raketen, weil es sich einfacher anfühlt als Diplomatie. Man will zeigen, dass man auf der richtigen Seite steht – auch wenn man damit die ganze Welt ins falsche Ende der Geschichte stürzt.
Ein Blick in die Geschichte: Die alten Irrtümer in neuem Gewand
Die Idee, durch Eskalation Frieden zu schaffen, ist so alt wie absurd. Schon 1914 waren sich viele sicher, dass ein „begrenzter“ Krieg Ordnung schaffen werde. Die Geschichte hat gelacht – mit 17 Millionen Toten. Auch damals war man überzeugt, dass man handeln müsse, „bevor es zu spät ist“. Und auch damals war das Handeln selbst der Anfang vom Ende. Heute nennt man das „Lernen aus der Geschichte“ – und handelt exakt entgegengesetzt.
Und jetzt? Wieder marschiert man nicht, aber delegiert. Man schickt keine Truppen, aber dafür die Technik – inklusive Bedienungsanleitung aus Berlin. Eine digitale Form der Kriegsteilnahme, moralisch aufbereitet und mit humanitärem Disclaimer versehen. Aber wie viele „nicht vorhandene“ Beteiligungen braucht es, bis die Realität sich nicht mehr tarnen lässt? Wie viele Taurus braucht es, bis die Maske fällt?
Pointe oder Offenbarung: Wer schützt uns vor den Führern?
Kujats Worte sind nicht nur eine Warnung – sie sind ein letzter Notruf der Vernunft. Ein verzweifelter Versuch, das Steuer herumzureißen, bevor die Titanic der deutschen Außenpolitik endgültig auf atomaren Eisbergen zerschellt. Wer sie ignoriert, handelt nicht naiv, sondern verantwortungslos. Es geht nicht um linke oder rechte Ideologie, nicht um Russlandliebe oder Ukrainehass – es geht um das, was man in besseren Zeiten „Staatskunst“ nannte.
Doch was wir stattdessen erleben, ist ein Stück aus dem Tollhaus: Ein Oppositionsführer als Waffenlobbyist, ein General als Mahner in der Wüste, eine Öffentlichkeit, die lauter ist als klug. Und während man Friedrich Merz zujubelt, weil er endlich „klare Kante“ zeigt, übersieht man, dass er sie an den Abgrund zeichnet.
Fazit?
Es ist schwer, eine Pointe zu schreiben, wenn das Thema eigentlich kein Ende hat, sondern einen Zünder. Und so bleibt nur diese kleine, bitterböse Wahrheit:
Wer in Friedenszeiten als Politiker vom Krieg träumt, sollte in Kriegszeiten nicht erwarten, dass ihm noch jemand zuhört.