Osterbotschaft

Es ist wieder so weit: Osterzeit. Der Stein ist weggerollt, der Tod wurde besiegt, der Himmel ist offen, und der Pfarrer zwitschert auf der Kanzel wie ein verliebter Spatz. Christus ist auferstanden, ruft er – und die Gemeinde murmelt es zurück, mit der Inbrunst eines abgelaufenen Teebeutels im dritten Aufguss. Halleluja. Ein weiteres Kirchenjahr hangelt sich am liturgischen Gerüst entlang, und irgendwo in der Mitte dieses österlichen Hochgefühls steht ein Satz, so kurz wie gewaltig, so einfach wie revolutionär: „Fürchtet euch nicht!“ Ein Engel spricht ihn aus, in der Morgendämmerung eines Grabgartens, zwischen Erdbeben, blitzendem Gewand und einem leeren Felsloch. Doch statt dass dieser Satz unsere Gegenwart durchdringt wie ein grelles Osterlicht durch modrige Keller, ist er zum frommen Wandschmuck verkommen, zur Kalenderspruch-Melasse auf Pastellhintergrund, weichgespült wie ein Bischof in der Talkshow. Dabei ist es kein Trostpflaster, das der Engel da verteilt, sondern ein Befehl. „Fürchtet euch nicht!“ – das ist keine Einladung zur inneren Balance. Das ist der Auftakt zur Revolte.

Die Angst als Geschäftsmodell

Denn was wäre der Mensch ohne Angst? Ein freier, mündiger Bürger vielleicht – ein Albtraum für jede Versicherung, jede Kirche, jeden Innenminister. Die Angst ist die Währung, in der moderne Gesellschaften ihre Ordnung sichern: Angst vor dem Fremden, Angst vor dem Klimawandel, Angst vor dem Virus, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, der Liebe, des WLANs. Und hinter jeder Angst lauert ein Prophet des Status quo, der uns zur Anpassung mahnt, zur Unterwerfung ruft, uns mit säuselndem Tonfall beibringt, dass „Verzicht“ eigentlich nur ein anderes Wort für „solidarisches Handeln“ ist, während das Großkapital sich am Angstschweiß der Massen die Taschen vollschlägt. Die Osterbotschaft ist dagegen der größte anarchistische Akt der religiösen Überlieferung: Der Tod hat keine Macht mehr, also auch die Angst nicht – und wer sich nicht mehr fürchtet, der ist unregierbar. Ein gefährlicher Gedanke. Kein Wunder, dass man ihn lieber weichzeichnet, inszeniert mit Harfengeklimper und Tulpenvasen.

TIP:  Mohammed statt Atatürk

Widerstand ist zwecklos – sagen die, die fürchten, dass er nicht ist

„Widersteht!“ – das wäre der logische Nachsatz zum osterlichen „Fürchtet euch nicht“. Aber genau dieser Nachsatz fehlt in den Predigten. Stattdessen wird Ostern zum Fest des Wohlverhaltens verklärt. Da feiern wir das Aufstehen des Einen, während wir kollektiv sitzenbleiben – auf unseren Sofas, unseren Komfortzonen, unseren Privilegien. Widerstand? Ach, das überlassen wir den Nostalgikern mit Antifa-Aufklebern und den letzten überlebenden Hippies in Waldhütten. Der brave Christ von heute – sozialverträglich und integrationsfähig – klatscht höchstens dann Beifall, wenn Greta Thunberg auftritt, solange sie dabei nicht den Sonntagsbraten verbietet. Und wer ernst macht mit dem „Widersteht!“ – der landet schneller unter Beobachtung als ein Reichsbürger mit Aluhut. Die paradoxe Pointe: Die Auferstehung wird gefeiert, aber nicht nachgeahmt. Man betrachtet sie wie einen Zaubertrick – faszinierend, aber nicht zur Nachahmung empfohlen. Jesus als spirituelle Attraktion, nicht als revolutionäres Vorbild.

Kirche als Placebo – fromm dosiert, hoch ineffektiv

Natürlich, es gibt Ausnahmen. Einzelne Pfarrerinnen, Theologinnen, Aktivisten, die sich nicht mit einer dekorativen Rolle begnügen. Aber sie sind die Minderheit – die rebellischen Fische im Weihwasser. Die offizielle Kirche hingegen – egal ob katholisch mit Goldkragen oder protestantisch mit Gendersternchen – hat sich längst häuslich eingerichtet im Schoß der Macht. Man streichelt die Wunden der Welt mit liturgischen Salben, verordnet Seelsorge statt Systemkritik, verteilt Brocken von Spiritualität, aber schweigt zu den Ursachen der Angst. Kein Wort zu Rüstungsexporten an Diktaturen, kein Aufschrei zu asylpolitischer Grausamkeit, kein Aufbegehren gegen die neoliberale Durchökonomisierung der Existenz. Hauptsache, die Kollekte stimmt und der Gemeindebrief erscheint pünktlich. Die Kirche ist vielerorts kein Raum des Widerstands mehr, sondern der Kompensation – eine seelische Tankstelle, betrieben von gutmeinenden Angestellten Gottes, die Angst zu therapieren versuchen, anstatt sie zu entlarven.

Auferstehung als Zumutung

Die eigentliche Zumutung von Ostern ist nicht der leere Grabstein, sondern der volle Anspruch: Wenn der Tod überwunden ist, dann verliert jede Ausrede ihre Kraft. Dann kann niemand mehr behaupten, es gäbe keinen Sinn, kein Ziel, kein Danach. Dann wird Glaube nicht mehr zur Flucht, sondern zur Herausforderung. Und wer sich nicht fürchtet – wirklich nicht – der ist bereit, alles zu riskieren: Besitz, Status, Karriere, selbst das eigene Leben, wenn es sein muss. „Fürchtet euch nicht!“ – das ist ein Ruf zur Unverhandelbarkeit der Wahrheit. Ein Aufruf zur Verweigerung gegenüber allen Systemen, die vom Menschen nur die produktive Funktion erwarten, nicht sein ganzes, widerspenstiges, aufbegehrendes, göttlich begabtes Ich.

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