Österreich 2.0

Ein Land im politischen Schleudergang

Österreich, das Land der stolzen Geschichte, der kunstvollen Kaffeehäuser steht einmal mehr vor einem Schicksalsschlag. Nach einer Wahl, die weniger ein demokratischer Urnengang und mehr eine absurde Neuinszenierung von „Dinner for One“ war – man stolpert immer wieder über denselben Tigerkopf, in diesem Fall Herbert Kickl – ergibt sich eine Koalitionsbildung, die in ihrer Bizarrheit sogar die berüchtigten „Wunder“ von Lourdes in den Schatten stellt. Denn eine Dreierkoalition aus der ÖVP, der SPÖ und den NEOS, also eine bunte Truppe aus Konservativen, linken Sozialdemokraten und neoliberalen Jungunternehmern, erscheint plötzlich als einzig gangbarer Weg, um Kickl von der Macht fernzuhalten.

Doch wie in jedem guten Trauerspiel, das irgendwo zwischen Kafka und Politsatire angesiedelt ist, riecht man schon von Beginn an den Verwesungsgeruch. Keine dieser Parteien will wirklich mit der anderen regieren, und die einzige Gemeinsamkeit, die sie zusammenhält, ist die Angst vor dem blauen Albtraum, der sich bereits im Hintergrund bereit macht, die demokratische Bühne zu stürmen. Willkommen im politischen Österreich 2.0, wo eine Koalition der Verlierer bald alles, was wir je an der Zweiten Republik geschätzt haben, endgültig gegen die Wand fahren wird.

ÖVP: Der gefallene Monarch im Schattenreich

Die ÖVP, diese ehemalige Grande Dame der österreichischen Politik, die sich einst mit kaiserlicher Selbstverständlichkeit über das politische Parkett bewegte, erinnert inzwischen an einen alten Adeligen, der nach seiner Abdankung in einem muffigen, verfallenen Herrenhaus herumirrt. Karl Nehammer, der aktuelle Hausherr, ist sich der Lage durchaus bewusst. Seine Partei hat das Vertrauen der Bürger verloren, aber immerhin noch nicht die Skrupellosigkeit. Die ÖVP will regieren, koste es, was es wolle. Wenn das bedeutet, sich mit Erzfeinden wie der SPÖ und den NEOS an einen Tisch zu setzen, dann sei es eben so. Doch die Risse in dieser Ehe auf Zeit sind von Beginn an unübersehbar.

Nehammer gibt den stoischen Verwalter des Erbes einer Partei, die sich mittlerweile so oft selbst verneint hat, dass sie nicht einmal mehr weiß, wofür sie steht. Sparen hier, kürzen dort – so lautet das neoliberale Evangelium, das die ÖVP seit Jahrzehnten predigt. Aber das mit den Einsparungen ist so eine Sache, wenn man gleichzeitig einen aufgeblähten Beamtenapparat hat, den man nicht loswird, weil er die letzten treuen Wähler stellt. Die Partei gleicht einem Anzugträger, der in zu engen Klamotten steckt und bei jedem Schritt Gefahr läuft, dass die Nähte platzen. Irgendwo im Inneren brodelt es, und Nehammer weiß, dass der Countdown für seine politische Zukunft längst läuft.

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Der letzte Sozialist im Supermarkt

Dann ist da die SPÖ, die ewige Partei der Arbeiterschaft – nur blöd, dass die Arbeiter schon lange in die Arme der FPÖ geflüchtet sind und die SPÖ nichts weiter als eine nostalgische Erinnerung an eine Zeit ist, in der die roten Fahnen noch hoch im Wind wehten. Andreas Babler, versucht hilflos sein Bestes, um die marode Partei irgendwie zusammenzuhalten und ganz nach Links zu führen, „Vorwärts Genossen, mir nach in den Abgrund“. Doch auch erweiß, dass diese Koalition nicht die Rettung, sondern der letzte verzweifelte Versuch ist, dem politischen Tod zu entgehen.

Die SPÖ hat ein Problem: Sie kann nicht gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit und für eine Koalition stehen, die genau das Gegenteil dessen macht, was man als sozial gerecht betrachten würde. Aber was will man tun? Die Alternative wäre ein Triumphzug der FPÖ, und das will nun wirklich niemand in der Partei verantworten. Also spielt man das alte Lied der Kompromisse, das immer mehr nach einem Trauermarsch klingt. Denn während babler versucht, das Gesicht seiner Partei zu wahren, ist längst klar: Die SPÖ hat ihre Wurzeln verloren und kämpft nur noch um die politische Existenz.

Die gelackten Liberalen im Dilemma

Und dann sind da noch die NEOS. Die neoliberalen Hoffnungsträger, die eigentlich immer nur dann richtig glücklich sind, wenn irgendwo Steuern gesenkt oder Sozialleistungen gekürzt werden. Mit der jugendlichen Frische eines Yuppies der 80er-Jahre treten sie in die Koalition ein, bereit, den Staub der alten Parteien abzuschütteln und frischen Wind in die muffigen Hallen der Macht zu bringen. Aber der Frischegrad der NEOS ist trügerisch. Denn während sie auf hip und dynamisch machen, stellen sie fest, dass Regieren nicht so cool ist, wie sie sich das vorgestellt haben.

Statt in Start-ups und Innovationen zu investieren, müssen sie sich plötzlich mit dem größten Moloch des Staates herumschlagen: dem Sozialstaat. Sparen wollen sie, ja, aber wie? Und wo? Schließlich warten die Konservativen und die Sozialdemokraten nur darauf, dass die NEOS die Axt zu tief in den falschen Stamm schlagen. Das wirtschaftsliberale Ideal wird so zum Albtraum, denn während die Partei von freien Märkten träumt, wacht sie in einem politischen Sumpf auf, in dem selbst der kleinste Sparversuch für einen Skandal sorgt.

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Der Triumph des politischen Nihilismus

Herbert Kickl, der im Schatten dieser Dreierkoalition lauert, ist die schlangenhafte Figur, die genau das verstanden hat: Man muss gar nicht regieren, um zu gewinnen. Es reicht, zuzusehen, wie sich die anderen selbst zerlegen. Kickl, der mit der Perfektion eines antiken Rhetors polemische Attacken reitet, wartet geduldig darauf, dass die Koalition der Verlierer den Boden endgültig aufgibt. Er ist der politische Nihilist, der nichts weiter zu tun braucht, als die Fehler der anderen auszuschlachten.

Mit jedem Gesetz, das die Dreierkoalition verabschiedet, mit jeder neuen Sparmaßnahme, die Menschen verärgert, wächst seine Macht. Er versteht, dass das Wählerverhalten weniger von rationalen Argumenten als von emotionalen Ausbrüchen bestimmt wird. Und in einem Land, das sich seit Jahren von einer Krise in die nächste schleppt, braucht man keine Lösungen, sondern nur den richtigen Zorn. Die „Koalition der Verlierer“ liefert ihm täglich Munition für seine populistischen Kampagnen. Sie kann tun, was sie will – am Ende hat Kickl immer das letzte Wort.

Der unvermeidliche Niedergang und der Kanzler Kickl

Spätestens nach zwei Jahren kracht es. Die Koalition, die nur durch den Willen zusammengehalten wurde, Kickl fernzuhalten, zerfällt. Die ideologischen Gegensätze, die gegenseitigen Eitelkeiten und vor allem die wirtschaftliche Misere, die niemand lösen kann, führen zur Explosion. Neuwahlen werden ausgerufen, und Kickl triumphiert. Die FPÖ holt 40 Prozent der Stimmen, weil sie sich als einzige Partei präsentiert, die nicht in den Schlamassel dieser Koalition verwickelt war. Die ÖVP, völlig deroutiert und ohne jede eigene Idee, geht in die Knie und bietet sich Kickl als Juniorpartner an – ein letzter, verzweifelter Versuch, in der Regierung zu bleiben. Doch nun ist Kickl der König, und der Umbau Österreichs in ein autoritäres Gebilde nach dem Vorbild Viktor Orbáns beginnt.

Was mit einer Dreierkoalition begann, endet in der autoritären Demokratie. Kickl, der Meister der Rhetorik und des politischen Machtspiels, hat sich durchgesetzt. Und Österreich? Es schaut, wie immer, schulterzuckend zu. Schließlich ist man im Land der Schrammeln und des schwarzen Humors solche Tragikomödien gewöhnt.

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Der österreichische Weg in die Dunkelheit

Österreich 2.0 ist ein Land, das von seiner Geschichte gelähmt und seiner Zukunft beraubt wurde. Die Dreierkoalition hat es nicht geschafft, das Land zu retten – wie könnte sie auch? Ihre einzige Aufgabe war es, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Herbert Kickl, dieser Avatar des politischen Zynismus, hat die Geduld und die strategische Weitsicht, auf den richtigen Moment zu warten. Und als dieser kam, war Österreich bereit, ihm die Schlüssel zur Macht zu übergeben.

Was bleibt, ist eine Demokratie im freien Fall. Die einst stolze ÖVP ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, die SPÖ kann sich kaum noch auf den Beinen halten, und die NEOS? Die haben schon lange aufgegeben. Und Kickl? Er lächelt. Denn er hat gewonnen.

Quellen und weiterführende Links

  1. Müller, Wolfgang C. und Plasser, Fritz. Politische Landschaften in Österreich – Eine Analyse der parteipolitischen Dynamiken und ihrer Auswirkungen.
  2. Hanisch, Ernst. Der lange Schatten der Ersten Republik – Über den Einfluss der politischen Vergangenheit auf die Gegenwart.
  3. Orbán, Viktor: Die ungarische Illiberalität – Eine Blaupause für Europa? – Wie autoritäre Regierungsformen in demokratischen Systemen Wurzeln schlagen können.
  4. Standard, Profil, Kurier – Tagesaktuelle Berichterstattung zur politischen Lage in Österreich.
  5. Wehler, Hans-Ulrich. Die deutsche Geschichte der 20. Jahrhunderts – Weil man in Europa immer auf die Nachbarn schauen sollte, bevor man die eigenen Fehler wiederholt.
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