NETFLIX: Die Wirklichkeit ist eine Frage der Perspektive

Es gibt sie noch, die magischen Momente der Popkultur. Diese seltenen Sternstunden, in denen die Verantwortlichen einer milliardenschweren Streaming-Plattform gemeinsam mit einer Handvoll gleichgesinnter Drehbuchautoren in einem Londoner Loft zusammensitzen, ein Glas fair gehandelten Bio-Weißweins schwenken und sich fragen: „Wie können wir die Realität noch ein bisschen schöner, noch ein bisschen richtiger machen?“ Und „richtiger“ heißt in diesem Fall natürlich: politisch stimmiger, moralisch vorteilhafter und – selbstverständlich – pädagogisch wertvoller.

So oder so ähnlich muss es wohl gewesen sein, als die Drehbuchautoren von Adolescence, der neuesten Netflix-Produktion aus Großbritannien, beschlossen, dass ihre Serie auf wahren Begebenheiten beruhen soll – allerdings nur so weit, wie es in ihre ideologische Schablone passt. Ein paar Unannehmlichkeiten der Wirklichkeit? Kein Problem, die kann man doch ganz leicht umdeuten! Ein paar Details, die nicht ins Weltbild passen? Einfach wegstreichen! Und so wurde aus einer Reihe von brutalen Messerangriffen, die von schwarzen Jugendlichen verübt wurden, plötzlich eine ganz andere Geschichte. Plötzlich ist der Täter – oh, Überraschung! – ein weißer Junge.

Die Kunst der kreativen Wahrheitsfindung – oder warum 2 + 2 manchmal 5 ergibt

Nun könnte man natürlich anmerken, dass es sich bei Filmen und Serien um Kunst handelt und Kunst selbstverständlich kreative Freiheiten genießt. Ein Märchen, eine Dystopie, eine Fiktion – warum sollte sie sich an die schnöde Realität klammern? Doch das Problem ist nicht die künstlerische Freiheit. Das Problem ist, dass diese Art der „Fiktion“ nicht als solche verkauft wird. Vielmehr behauptet Netflix mit einem unschuldigen Augenzwinkern, die Serie sei inspiriert von wahren Begebenheiten. Es geht also nicht darum, eine völlig aus der Luft gegriffene Geschichte zu erzählen, sondern eine reale Geschichte bewusst umzudeuten – mit einer ganz bestimmten politischen Absicht.

Warum also dieser Austausch? Warum dieser ideologische Kniff? Die Antwort ist ebenso simpel wie deprimierend: Weil die Wahrheit nicht zur bevorzugten Erzählung passt.

Die Realität, so wie sie sich tatsächlich abspielt, ist unbequem. Sie passt nicht in das Weltbild jener Medienmacher, die sich zum Ziel gesetzt haben, dem Publikum ihre Version der Welt aufzudrängen. Eine Version, in der der „böse weiße Mann“ der ewige Schurke ist und alle anderen bestenfalls bemitleidenswerte Opfer, schlimmstenfalls aber passive Statisten ohne Eigenverantwortung.

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Wenn Moral über Logik steht – willkommen in der neuen Normalität

In dieser neuen Art von Erzählkunst geht es nicht mehr darum, was passiert ist, sondern darum, was hätte passieren sollen. Es geht nicht mehr darum, eine Geschichte zu erzählen, die auf Fakten basiert, sondern eine, die auf einer moralischen Wunschvorstellung fußt. Die Prämisse lautet: Wenn die Realität nicht so ist, wie wir sie gerne hätten, dann ändern wir eben die Narrative, bis es passt.

Und genau so entsteht eine Serie wie Adolescence – eine Serie, die sich zwar aus dem Fundus der Realität bedient, aber diesen Fundus dann so lange umsortiert, neu etikettiert und mit ideologischen Filtern überzieht, bis von der ursprünglichen Realität nur noch eine Parodie übrig bleibt. Eine Parodie, die sich zwar als ernsthafte Gesellschaftsanalyse ausgibt, aber in Wahrheit nichts anderes ist als ein didaktisches Lehrstück für all jene, die bereit sind, sich erziehen zu lassen.

Die Macht der selektiven Wahrnehmung – oder warum der Zuschauer immer dümmer werden soll

Das Erschreckende an dieser neuen Form der „realitätsbasierten“ Fiktion ist nicht nur die Dreistigkeit, mit der Fakten verdreht werden, sondern auch die dreiste Annahme, dass der Zuschauer es nicht bemerkt. Oder, schlimmer noch, dass er es bemerkt und trotzdem akzeptiert – weil er längst darauf konditioniert wurde, alles zu schlucken, was ihm serviert wird, solange es nur mit der richtigen moralischen Verpackung daherkommt.

Man könnte fast Mitleid haben mit den Netflix-Machern, wenn man sich vorstellt, wie sie sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und sich für ihre gesellschaftliche Verantwortung loben. Für ihre mutige Entscheidung, die Wahrheit ein bisschen zu verbessern. Für ihren Beitrag zum großen, edlen Ziel, die Welt ein Stück gerechter zu machen – auch wenn dazu ein paar Details geopfert werden müssen.

Das Märchen vom edlen Motiv – und warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen sollten

Natürlich werden all jene, die es wagen, diese absurde Verzerrung der Realität zu kritisieren, schnell in eine Schublade gesteckt. „Rechte Hetzer“, „reaktionäre Wutbürger“, „ewig Gestrige“ – die Liste der Kampfbegriffe ist lang. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass eine absichtliche Verdrehung der Realität kein harmloser künstlerischer Kniff ist, sondern ein manipulativer Eingriff in unser kollektives Bewusstsein.

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Die Frage ist: Wie lange lassen wir uns das noch gefallen? Wie lange schauen wir noch zu, während Streaming-Plattformen, Medien und Kulturschaffende die Realität so lange umschreiben, bis sie in ihr Weltbild passt? Und wann endlich haben wir den Mut zu sagen: Die Wahrheit ist nicht verhandelbar – auch wenn sie unbequem ist.

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