
Es ist ja eine beliebte Taktik derer, die sich ertappt fühlen: Schnell wird ein Narrativ gesponnen, in dem man sich selbst zum armen Opfer stilisiert. So auch hier. Arbeiterkind! Hochgekämpft! Gegen Widerstände durchgesetzt! Und jetzt haben die da oben ein Problem mit mir. Das klingt gut, das schafft Emotionen, das lässt das Publikum nicken. Nur leider, Andi, leider ist das nicht das Problem. Niemand stört sich daran, dass jemand aus einfachen Verhältnissen Verantwortung übernimmt. Im Gegenteil: Das wäre in einem gerechten und funktionierenden System sogar wünschenswert. Das eigentliche Problem ist, was Du mit dieser Verantwortung anstellst.
Die Kunst der Ablenkung – oder: Wie man ein Problem umschifft, indem man es falsch beschreibt
Es ist doch faszinierend: Wann immer berechtigte Kritik laut wird, wird nicht etwa darauf eingegangen. Nein, es wird ein Ablenkungsmanöver gestartet. Der Kritiker wird in eine Ecke gestellt, ihm werden Motive unterstellt, die er gar nicht hat. „Die haben ein Problem mit meiner Herkunft!“ ruft der, der sich unwohl fühlt, weil ihm jemand mit Fakten kommt. „Die gönnen mir den Erfolg nicht!“ heult der, der seine Macht nicht für das Wohl aller, sondern für das Wohl weniger einsetzt. Und so wird aus einem echten Problem – zum Beispiel Inkompetenz, politische Verantwortungslosigkeit oder moralische Fragwürdigkeit – ein völlig anderes, ein diffuses, ein emotional aufgeladenes. So etwas lässt sich besser verkaufen. So etwas kann man leichter gegen das Publikum wenden. Und plötzlich stehen nicht mehr die Fehltritte zur Debatte, sondern die vermeintlich bösen Motive der Kritiker.
Die Inszenierung des Unverstandenen – ein alter Trick der Macht
Es ist ein geschicktes Spiel, eines, das schon oft funktioniert hat. Wer sich als unverstanden, als gegen den Mainstream kämpfend, als „einer von euch“ inszeniert, der hat oft leichtes Spiel. Dabei ist es egal, wie absurd das ganze Konstrukt ist. Jemand, der längst Teil des Establishments ist, kann sich als Außenseiter präsentieren. Jemand, der längst über die Strippen bestimmt, kann so tun, als ob er dagegen kämpft. Und das Publikum? Das schluckt es, weil es bequem ist. Weil es so viel einfacher ist, an eine Mär vom missverstandenen Helden zu glauben als an die banale Wahrheit, dass auch ein Arbeiterkind zu einem skrupellosen Machtmenschen werden kann.
Verantwortung ist kein Schicksalsschlag
Aber Verantwortung, Andi, ist nichts, was einem widerfährt. Sie ist kein Zufall, kein unverdientes Schicksal, das über einen hereinbricht. Verantwortung ist eine Entscheidung. Verantwortung bedeutet, dass man für das, was man tut – und auch für das, was man unterlässt – gerade steht. Dass man nicht auf Mitleid setzt, wenn die Dinge schieflaufen. Dass man nicht Ablenkungsmanöver fährt, wenn Kritik kommt. Dass man sich nicht hinter der eigenen Biografie versteckt, wenn das eigene Handeln infrage gestellt wird. Verantwortung bedeutet, dass man aufhört, sich als Opfer zu inszenieren – und anfängt, ehrlich zu sein. Aber das, Andi, ist ja bekanntlich der schwerste Schritt von allen.