Mir kommen die Tränen!

Keir Starmer bei der Ramadan-Iftar-Veranstaltung im britischen Parlament: „Ich weiß, dass dies eine sehr schwierige Zeit für die Muslime im Vereinigten Königreich war, mit dem Schmerz des Konflikts in Gaza und dem Leiden der Palästinenser.“

Ah, die erhabene Kunst des Politischen Sprechens. Ein Akt der Diplomatie, bei dem keine Worte zu zufällig gewählt sind, jeder Satz wie ein Kunstwerk, das in seiner Ambiguität und Zweideutigkeit genauso viel abverlangt wie es verspricht: ein wahres Meisterwerk der Vermeidung und gleichzeitigen Absichtserklärung. Und so steht er da, der ehrenwerte Keir Starmer, der Mann, der sich stets als Architekt des „Neuen Labour“ versteht, als heiliges Bollwerk gegen die Geister der Vergangenheit, der nur zu gerne seine progressive Agenda ausrollt und dabei den Stempel des Kritikers des Antisemitismus trägt. Und dennoch – inmitten seiner Rede bei der Ramadan-Iftar-Veranstaltung im britischen Parlament – gelingt ihm etwas, das uns alle, die wir ein wenig mehr politisches Bewusstsein zu hegen wagen, mit ehrlicher Verwirrung und ungläubigem Staunen zurücklässt.

„Sehr schwierige Zeit für die Muslime im Vereinigten Königreich“?

Es ist kein Witz, was Keir Starmer da in den Raum wirft, aber irgendwie könnte man es fast für einen halten. Eine Aussage, die so wohldosiert und dennoch so unklar ist, dass sie fast wie ein schlecht inszenierter Comedy-Auftritt wirkt. Da spricht er, der Vorsitzende der britischen Labour-Partei, mit einer Haltung, die uns glauben machen will, er sei der sprachliche Übersetzer des tiefen Leids der Muslime im Vereinigten Königreich. Und damit nicht genug – er stellt das Ganze noch auf eine Stufe mit dem „Schmerz des Konflikts in Gaza“ und dem „Leiden der Palästinenser“. Ah, jetzt wird alles klar! Es ist das alte, bewährte Rezept der politischen Manipulation, das sich nahtlos in die Tradition einer gewissen Art von britischer Diplomatie einreiht – eine Diplomatie, die nichts anderes zu tun hat, als zu verschleiern und zu beruhigen, anstatt echte, messbare Konsequenzen zu ziehen.

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Aber Moment mal: Wie genau kann eine solche Aussage von Starmer als so bedeutend oder gar so tiefgründig gelten, wenn sie gerade jene Spaltung zu fördern scheint, die in seiner eigenen Partei seit Jahren brodelt? Denn während er sich als Fürsprecher für Muslime im Vereinigten Königreich präsentiert, bleibt eine Frage in der Luft hängen: Sind das wirklich die Muslime, von denen er spricht? Oder spricht er vielmehr für eine Ideologie, die sich eine vermeintliche „opferzentrierte“ Identität zueignet, die es ihm ermöglicht, sich ein Stück der moralischen Decke über seine eigene politische Agenda zu ziehen?

Antisemitismus à la Corbyn?

Ah, ja, da kommt sie wieder, die alte Geschichte des Antisemitismus innerhalb der Labour Party. Es ist fast ein ironisches Schauspiel, das immer wieder auflebt: Während Starmer seine Partei von den Flügeln des „Corbynismus“ zu befreien versucht – einer Ära, die von Vorwürfen des Antisemitismus begleitet war – scheint der Schatten von Corbyn noch immer über den Hallen von Labour zu hängen. Und so lesen wir seine Worte nicht ohne eine gewisse, eher zynische Brille. Was bedeutet es, wenn ein politischer Führer in einem so kritischen Moment des geopolitischen Konflikts auf Gaza und Palästina verweist und sich dabei den Eindruck zu erwecken versucht, er würde die muslimische Gemeinschaft in Großbritannien nicht nur in den Mittelpunkt seiner politischen Überlegungen rücken, sondern sie auch als Opfer stilisieren? Ist es nicht genau die Art von Rhetorik, die viele seiner Kritiker als „unreflektierte Solidarität“ und nicht als einen ernsthaften politischen Diskurs bezeichnen würden?

Vielleicht sollte er sich fragen: Inwieweit ist es wirklich eine „sehr schwierige Zeit“ für die Muslime im Vereinigten Königreich? Sollen wir annehmen, dass Muslime in Großbritannien kollektiv und einheitlich in einer schweren Krise stecken, die ausschließlich von den dramatischen Entwicklungen in Gaza abhängt? Aber was ist mit den anderen Gemeinschaften, den anderen Minderheiten, den anderen betroffenen Bevölkerungsgruppen im Land? Haben sie keine „schwierige Zeit“? Haben die jenen, die unter dem Brexit leiden, die Armen, die Obdachlosen, die Arbeitslosen oder die viel zu vielen Menschen, die unter der britischen Regierung der letzten Jahre zu leiden hatten, nicht auch ihre eigenen Ängste und Nöte, die durch politische Fehlentscheidungen und gesellschaftliche Apathie genährt werden?

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Ein verschwörerisches Spiel mit den Wahrheiten

Was Starmer mit seinem Satz in Wahrheit anstrebt, ist ein wahres Meisterstück der politischen Opportunität. In einer Zeit, in der der Konflikt in Gaza erneut alle Schlagzeilen dominiert und die westliche Welt in ihrer Unfähigkeit, den alten Konflikt zu lösen, zunehmend in Resignation verfällt, stellt sich der Labour-Chef als der „besorgte Vater“ einer Gemeinschaft dar, die in seiner Darstellung ständig mit den gewaltigen Belastungen eines nicht enden wollenden Konflikts zu kämpfen hat. Doch anstatt den politischen Finger auf die wahren Ursachen dieses Konflikts zu richten oder gar auf die strukturellen Probleme hinzuweisen, die die westliche Außenpolitik über Jahrzehnten hinweg befeuert hat, gibt er sich dem Spiel der Vereinfachung hin. Einem Spiel, das das Leid der Palästinenser und die Herausforderungen der Muslime in Großbritannien auf eine Weise verknüpft, die weder eine Lösung anbietet noch wirklich weiterführt.

Keir Starmer macht es sich leicht, indem er mit der „schwierigen Zeit“ und dem „Leiden“ der Palästinenser in Gaza ein Zitat wie ein magisches Mantra über den Raum schwenkt. Und was bleibt am Ende? Eine hohle Geste, die weder konkrete politische Forderungen stellt noch den Mut hat, sich wirklich mit den komplizierten Fragen auseinanderzusetzen, die der Nahost-Konflikt aufwirft. Der eigentliche Witz ist, dass er dies tut, ohne jemals in den Spiegel zu blicken und sich zu fragen, ob sein eigenes Handeln, seine eigene politische Agenda nicht oft genug an der „schwierigen Zeit“ vieler anderer Menschen in Großbritannien vorbeigeht.

Der Pomp und die Phrasen

Es ist schon fast tragikomisch, wie sehr die große politische Bühne oft in den Nebel der Phrasendrescherei und der scheinbar tiefgründigen Aussagen abtaucht. Diese Kunst des Sprechens, die uns glauben machen will, dass Worte allein die Welt verändern können – und das oft mit einer solchen Raffinesse, dass wir uns in den fein gesponnenen Netzen der Bedeutung verlieren. Keir Starmer, der in dieser Hinsicht genauso brillant agiert wie ein Jongleur in einem Zirkus, entblößt sich doch immer wieder als jemand, der in seinen „moralischen“ Erklärungen ebenso sehr die Augen vor den realen politischen und gesellschaftlichen Problemen verschließt. Und so bleibt am Ende nur eines: der Zynismus. Der Zynismus, dass in all der Rhetorik und den schönen Worten der eigentliche Sinn von Politik – die Sorge um das Wohl der Menschen, die Verantwortung für die Gemeinschaft und die Bereitschaft, sich unbequemen Wahrheiten zu stellen – für immer weiter verloren geht.

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