Man kann sich alles schönreden.

Wenn Abstürze Erfolge sind, ist Scheitern das neue Gewinnen

Es gibt Tage, da möchte man sich verwundert die Augen reiben, sich kneifen, sich noch einmal kneifen, um sicherzugehen, dass die Welt nicht vollends in die surreale Kulisse einer absichtlich schlechten Satire-Show abgedriftet ist. So ein Tag war der Sonntag, als die „Spectrum“-Rakete des Unternehmens Isar Aerospace – oder sollte man besser sagen: Isar Aerodesaster? – mit donnerndem Ehrgeiz startete, um nur wenige Sekunden später auf die unnachgiebige Realität des Bodens zurückgestürzt zu werden. Und während die Trümmerteile noch dampften und der gesunde Menschenverstand sich ins Exil verabschieden wollte, erklärte das Münchner Unternehmen allen Ernstes: Das war ein Erfolg.

Eine neue Definition von Triumph: Bodenständigkeit in der Raumfahrt

Ja, natürlich, in einer Welt, in der selbst ein Toastbrot als glutenfreie Innovation gefeiert wird, könnte man auch den Sturzflug einer Rakete als Meilenstein der Unabhängigkeit interpretieren. Immerhin hat das Unternehmen eines bewiesen: Man kann auch ohne Hilfe von außen, ganz ohne die NASA, ESA oder SpaceX, grandios scheitern. Europa macht sich also tatsächlich unabhängiger in der Raumfahrt – unabhängiger von erfolgreichen Starts.

Und überhaupt: Ist es nicht gerade die Bodenständigkeit, die man einer europäischen Rakete zutrauen sollte? Während amerikanische Raketen hoch hinaus wollen und chinesische sogar auf dem Mond spazieren gehen, bleibt der europäische Anspruch traditionell bescheiden: kurz durchstarten, dann zurück zur Erde – am besten direkt und ohne Umwege. Effizienz ist schließlich alles.

Die Kunst des positiven Framings: Vom Feuerball zur „heißen Entwicklung“

Aber halt! Vielleicht liegt ja hier das wahre Talent: das Framing. Denn wenn es eine Kunst gibt, die in der modernen PR-Arbeit zur Perfektion gebracht wurde, dann ist es das Schönreden. Ein simpler Satz wie „Das System hat eine kritische Fehlfunktion gezeigt und ist explodiert“ wäre zu einfach, zu direkt, zu nah an der Wirklichkeit. Viel besser klingt: „Unser Prototyp hat wertvolle Daten geliefert und einen Meilenstein erreicht.“ Oder: „Der Testflug hat viele wichtige Erkenntnisse gebracht.“ Und besonders schön: „Der erste Start markiert einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit.“ Natürlich, warum sollte man nicht die misslungene Raketenmission als Befreiungsschlag feiern? Der Satellit kann sich ja jetzt auch ohne Rakete auf den Weg machen, irgendwie, zur Not mit dem Postversand.

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Europa auf dem Weg zur Raumfahrtmacht: Ein optimistischer Trümmerhaufen

Und so sehen wir ein Europa, das sich ehrgeizig zur Raumfahrtmacht erklärt – mit Raketen, die den Boden nicht verlassen möchten. Ein mutiges Europa, das technologische Höchstleistungen anstrebt – mit Flugobjekten, die das Prinzip der Gravitation eindrucksvoll bestätigen. Ein zukunftsorientiertes Europa, das stolz die Vision einer neuen Unabhängigkeit verkündet – während die Trümmer noch aufgeräumt werden.

Ja, man kann sich wirklich alles schönreden. Manchmal reicht ein guter PR-Berater, ein Hauch von Optimismus und eine ordentliche Portion Chuzpe. Der nächste Raketenstart wird also zweifellos ein noch größerer Erfolg. Egal, was passiert.

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