
Berlin oder Ankara, wem gehört der Kebab?
Man stelle sich vor: Ein schlafloser Freitagabend, ein schaler Atem von Bier und das leuchtende, hypnotische Surren eines Dönermessers, das sich langsam um das Fleischkarussell dreht. Zwischen fettigen Papiertüten, Currysoßenflecken und der Sehnsucht nach sättigendem Trost erhebt sich das eigentliche, alles verschlingende Fragezeichen: Wem gehört der Kebab? Berlin oder Ankara? Der Hauptstadt des Exils oder dem Herzen Anatoliens? Und ist es überhaupt von Belang, wenn doch die Hauptsache ist, dass er knusprig, saftig und idealerweise doppelt Fleisch enthält?
Doch diese Frage ist nicht so banal, wie sie klingt. Sie ist kein einfacher Streit zwischen Gastronomienationen, sondern ein metaphorisches Schlachtfeld der Identitätspolitik, des Nationalstolzes und der postmodernen Debatte über kulturelle Aneignung. Denn der Döner – oder besser gesagt, der Döner Kebab – ist mehr als nur ein Produkt. Er ist ein Symbol: für Migration, Integration, Transformation. Und, wie alle Symbole, zieht er Verklärung, Missbrauch und Mythenbildung an wie die betrunkenen Nachtschwärmer seinen würzigen Duft.
Ankara – Wie alles begann (oder doch nicht?)
Die Erzählung beginnt, wie so viele Heldengeschichten, im Staub und Glanz vergangener Jahrhunderte. Wer den Ursprungsmythos des Kebabs sucht, findet sich schnell in den labyrinthischen Hallen der türkischen Geschichte wieder – oder zumindest in einer Version davon. Hier, im Herzen des Osmanischen Reiches, soll das „vertikal gegrillte Fleisch“ seinen Anfang genommen haben. War es der wandernde Nomade, der seinen Hammelspieß über die Glut hielt? War es ein findiger Koch aus Bursa, der das Fleisch am drehenden Spieß erfand und damit den modernen Drehspieß begründete? Oder war es gar ein zufälliger Unfall, wie bei so vielen kulinarischen Meisterwerken, als ein hungriger Sultan auf die Idee kam, sein gesamtes Schaf am Lagerfeuer zu rotieren?
Die Wahrheit ist, dass der Kebab in der Türkei weniger ein Gericht, sondern eine Philosophie ist. „Kebab“ bedeutet schlicht „gegrilltes Fleisch“, und seine Varianten sind so vielfältig wie die Menschen, die ihn zubereiten. Adana, Urfa, Iskender – die Liste ist endlos. Doch der „Döner“, das „sich drehende Fleisch“, ist der Star der Show. Ein Symbol türkischer Kreativität, sagen die einen. Ein Rezept für Herzinfarkte, sagen die anderen.
Berlin – Der Döner wird revolutioniert
Doch wie so oft, wenn es um Kultur und Essen geht, hat die Geschichte des Döner Kebabs einen Twist. Denn während Ankara den Kebab erfand, hat Berlin ihn neu definiert. Es war das Jahr 1972 – oder vielleicht 1971, wer weiß das schon genau –, als ein türkischer Gastarbeiter namens Kadir Nurman das Konzept des Kebabs auf einen anderen Level hob. Was in den Straßen Ankaras traditionell als Tellergericht serviert wurde, verwandelte sich hier, im hektischen Berlin, in die handliche, portable Speise für die hungrige Mittelschicht.
Mit Fladenbrot, Salat, Soße und Fleisch wurde der Döner Kebab zur perfekten Lösung für ein Stadtleben, das keine Zeit für Messer und Gabel hat. Es war keine Hommage an die türkische Küche, sondern eine pragmatische Anpassung an die Berliner Realität. Der Döner, sagen manche, wurde damit von einem türkischen Gericht zu einem deutschen Kulturgut. Aber ist das fair? Oder ist es ein weiterer Akt kultureller Aneignung?
Der große Streit – Kultur oder Kommerz
Die Frage, wem der Kebab „gehört“, ist nicht nur eine akademische oder patriotische. Sie ist ein Mikrokosmos der modernen Globalisierung. Denn der Döner ist längst nicht mehr „türkisch“ oder „deutsch“. Er ist multinational, omnipräsent, ein kulinarisches Chamäleon, das sich an jede Kultur anpasst. In London wird er mit Minze serviert, in Sydney mit Guacamole, in Tokio sogar mit Sushi kombiniert.
Aber mit dieser globalen Verbreitung kommen auch die Konflikte. Ist es „kulturelle Aneignung“, wenn deutsche Imbissbudenbesitzer den Döner verkaufen, ohne die Türkei zu erwähnen? Ist es eine Form von Respektlosigkeit, wenn der Döner „mit Schweinefleisch“ angeboten wird? Und, noch polemischer: Ist der Döner in Berlin wirklich ein türkisches Gericht, wenn die Mehrheit der Zutaten – vom Brot bis zur Soße – in Deutschland produziert wird?
Döner-Krieg und Identitätspolitik
Die Debatte um den Döner spiegelt größere gesellschaftliche Spannungen wider. Sie handelt von Migration, Integration und dem ewigen Dilemma der „Zugehörigkeit“. Für viele Türken in Deutschland ist der Döner nicht nur ein Gericht, sondern ein Stück Heimat. Ein Symbol für ihre Kultur, das sie in ein fremdes Land mitgebracht haben. Für viele Deutsche hingegen ist der Döner ein Zeichen der erfolgreichen Migration, ein Beweis dafür, dass Integration nicht nur möglich, sondern auch lecker ist.
Aber ist diese Sichtweise nicht naiv? Denn hinter den glänzenden Fassaden der Dönerbuden verbergen sich oft Geschichten von Ausbeutung, schlechten Arbeitsbedingungen und einem knallharten Markt. Und während wir den Döner feiern, vergessen wir oft die Menschen, die ihn herstellen – und die oft selbst unter prekären Bedingungen leben.
Kapitel 5: Mahlzeit oder Ögun – Warum es letztlich egal ist
Am Ende jedoch bleibt die Frage, wem der Döner gehört, vielleicht irrelevant. Denn der Döner, so könnte man argumentieren, gehört uns allen – oder niemandem. Er ist ein Produkt der Migration, der Innovation, der Anpassung. Er ist ein Symbol dafür, dass Kultur keine festen Grenzen hat, sondern ständig im Fluss ist.
Und vielleicht, nur vielleicht, ist das die eigentliche Lektion des Döner Kebabs: Dass Essen uns verbindet, auch wenn wir uns streiten, wem es gehört.
Quellen und weiterführende Links
- „Döner oder nicht Döner? Ein kulinarischer Streit“, Artikel aus der Süddeutschen Zeitung, 2022.
- „Kadir Nurman: Der Mann, der den Döner nach Deutschland brachte“, Dokumentation auf Arte, 2021.
- „Kulturelle Aneignung oder Integration? Der Döner in der Globalisierung“, Studie des Zentrums für Migrationsforschung, 2020.
- „The Global Kebab: How a Turkish Dish Conquered the World“, Artikel in The Guardian, 2019.
- Deutsches Döner Institut – Zahlen und Fakten rund um den Döner in Deutschland.
- Türkisches Kulturzentrum Berlin – Über die Rolle der türkischen Küche in der deutschen Gesellschaft.
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