Jung, jünger, Vietnam

Ein Krieg ist immer eine Mahnung, ein mahnendes Bild von Verlust und Zerstörung, doch es gibt keinen Krieg, der in seiner Brutalität so tief in das Herz einer Nation schneidet wie der Vietnamkrieg. Und wer könnte das besser illustrieren als die schockierende, fast lyrische Zahl der Gefallenen? Über 58.000 US-Soldaten fielen in diesem Konflikt, und das Bild, das sich uns dabei aufdrängt, ist ein erschütterndes: eine Armee von jungen Männern, deren Leben gerade erst zu beginnen schien. Ihre Durchschnittsalter betrug nicht einmal das eines frisch gepressten College-Absolventen. Sie waren jung, verloren und, was noch schlimmer ist, sie starben jung – in einem fremden Land, auf einem fremden Kontinent, ohne wirklich zu wissen, was sie dort suchten. Und doch war es nicht der Krieg selbst, der den Großteil ihrer Zahl forderte, sondern vielmehr der gelebte Wahnsinn der kriegsführenden Nationen, deren Imperium auf den Schultern dieser Jünglinge ruhte. Wer von uns könnte sich nach einem Blick auf diese Alterspyramide nicht fragen: Wo liegt die Würde des Krieges, wenn er in solch blutiger Weise die Unschuld fordert?

Eine verwirrende Altersstruktur

Beginnen wir mit einer durch und durch entlarvenden Tatsache: Die Mehrheit der Gefallenen war jung. Und wie jung? Die große Mehrheit der Toten des Vietnamkriegs war zwischen 18 und 24 Jahren alt. Es ist fast schon eine absurde Ironie, dass gerade die Jahrgänge, die ihr Leben gerade erst begannen, am härtesten getroffen wurden. Wie viele der 58.000 hatten überhaupt die Gelegenheit, in den Genuß einer unbeschwerten Jugend zu kommen? Wie viele von ihnen hatten ihre ersten Zigaretten noch im Mundwinkel, als sie zum Militärdienst eingezogen wurden? Und wie viele von ihnen trugen in ihren Taschen mehr Träume als Ausrüstungen für das, was sie bald erleben würden?

Fast die Hälfte der Toten, 50%, gehörte der Altersgruppe der 18- bis 19-Jährigen an. Da staunt man nicht schlecht, wenn man sich vor Augen hält, dass diese Gruppe mit ihrer gerade mal frisch abgeschlossenen Schulbildung und ihrer noch vor sich liegenden „Zukunft“ in den fernen Dschungel geschickt wurde, um die militärischen Ideale ihrer Nation zu verteidigen. In welchem Albtraum erstrahlte der amerikanische Traum, wenn er durch diese Kinderaugen hindurch gesehen wurde?

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Krieg als Beruf: Die 20- bis 21-Jährigen

Doch die Tragödie dieses Krieges bleibt nicht auf die ganz jungen Rekruten beschränkt. Auch die 20- bis 21-Jährigen, etwa 30% der Gefallenen, gehörten noch jener Generation an, die den Krieg nicht mit Lebenserfahrung konfrontiert fand. Sie waren die gerade erwachsenen, mehr oder weniger reifen Jungen und Mädchen, die in eine Welt katapultiert wurden, die sie sich kaum hätten vorstellen können. Es war der Moment des Erwachsens, der mit einer Kapitulation der Kindheit verknüpft war. Von der Universität, dem Beginn der Karriere oder auch der ersten Liebe aus, fanden sich viele in einem Albtraum wieder, der an Märchen aus längst vergangenen Jahrhunderten erinnerte. Der Krieg wurde für sie zur einzigen „Berufserfahrung“, die sie je sammeln sollten.

Und doch gibt es hier auch eine finstere, aber keineswegs abwegige Erkenntnis: Der Vietnamkrieg war für viele von ihnen ein „Berufseinstieg“. Wie viele junge Amerikaner hatten in den späten 60er-Jahren die Möglichkeit, etwas anderes zu tun, als sich dem Militär zu verschreiben? Wie viele dieser jungen Erwachsenen waren nicht gerade auf der Suche nach einer Möglichkeit, aus dem Alltagsdruck des sich wandelnden Amerika zu entkommen? Der Krieg war für sie eine Art existenzielles „weiter, immer weiter“, ein Ventil für die Entfaltung ihrer Männlichkeit, das vielleicht nie wirklich hinterfragt wurde. Was bleibt von dieser Form von „Berufserfahrung“? Nur die schmutzigen Uniformen, das unendliche Echo von Schüssen und das lange Verweilen im Dunkel der Erinnerung.

Erfahrene Soldaten in einem unmenschlichen Spiel

Betrachtet man die Altersgruppen von 22 bis 24 Jahren, in denen noch rund 12% der Gefallenen ihren Dienst in einem Krieg fanden, wird ein weiteres, tiefzerrüttendes Bild sichtbar: Es handelt sich hier um Männer, die in der Regel schon etwas mehr Lebenserfahrung hatten. Sie waren keine frisch gepressten Teenager mehr, sondern hatten bereits den „Ernst des Lebens“ erfahren – entweder durch eine abgeschlossene Berufsausbildung, eine erste Familie oder auch durch den Militärdienst. Sie wurden als erfahrene Soldaten in einen Krieg geschickt, dessen Regeln sie nicht kannten. Ihr Wissen über das Leben war nicht die Art von „street-smart“ Taktik, die man im Krieg braucht, sondern das langsame Wissen um die schmerzliche Einsicht, dass der Mensch – trotz allem Überlebenswillen – ein schwaches Geschöpf ist. Auch diese Gruppe verlor mehr als nur ihre körperliche Unversehrtheit. Sie verloren die letzten Reste von Vertrauen in ein System, das sie als „verantwortungsvoll“ und „erfahren“ in den Kampf schickte.

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Ein Tropfen Erfahrung, der im Kriegsmeer ertrinkt

Und dann gibt es die „alten“ Soldaten, jene, die schon über 25 Jahre alt waren – eine kaum nennenswerte Gruppe mit 8% der Gefallenen. Aber vielleicht sind gerade sie die bitterste Pille, die der Krieg zu schlucken hat. Denn sie waren die Berufsmilitärs, die Führungskräfte, diejenigen, die den blutigen Tanz der Massen organisierten und planten. Sie wurden in den Konflikt gesandt, um das Chaos zu lenken, ohne zu wissen, dass ihre Erfahrungen in einer anderen Welt nie in einem so monströsen Setting aufgehen würden. Ihr Tod steht symbolisch für das Scheitern eines Militärsystems, das glaubt, durch Erfahrung eine gewisse Immunität gegen das Absurde des Krieges zu besitzen. Doch auch die älteren Soldaten fielen – nicht weil sie nicht wussten, wie man kämpft, sondern weil sie nicht wussten, wie man in einem Krieg bleibt, der nicht mehr nach den Regeln des menschlichen Anstands spielte.

Eine Generation, zerstört durch den Krieg

Die Frage bleibt, was uns diese Altersstruktur der Gefallenen lehrt. Es ist der bittere Gedanke, dass der Vietnamkrieg eine ganze Generation von Jungen und Männern forderte, die nicht nur in ihrer Unschuld geschlachtet wurden, sondern die auch in einer absurden Mischung aus Ideologie, Patriotismus und der Tragödie des jugendlichen Übermuts in den Krieg geschickt wurden. Der Vietnamkrieg war der „Erwachsenwerdungsprozess“ einer Nation, die niemals reif genug war, den wahren Preis des Krieges zu zahlen. Die Zahl 58.000 ist nicht nur eine Zahl von Toten. Sie ist eine Erinnerung an all das, was eine Generation von jungen Amerikanern nie kennenlernen durfte. Und der Vietnamkrieg? Ein mahnendes Bild, das sich mit jeder Stunde weiter in die Geschichte eingräbt und uns sagt: „Vergesst nicht, was ihr tut. Vergesst nicht, wie jung diese Männer waren.“

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