Ist die Brandmauer eigentlich ein antifaschistischer Schutzwall

Die rhetorische Architektur der Mauern

Deutschland und Mauern – eine tragikomische Liebesgeschichte, die sich durch die Jahrhunderte zieht, von Limes über Berliner Mauer bis zur neuesten Schöpfung politischer Abgrenzungskunst: der ominösen „Brandmauer“ gegen Rechts. Wer sich auch nur oberflächlich mit den diskursiven Eigenheiten dieses Landes beschäftigt, wird feststellen, dass Mauern hierzulande nie einfach nur Mauern sind. Sie sind Monumente der Gesinnung, architektonische Metaphern für Gut und Böse, Fortschritt und Rückschritt, Demokratie und Diktatur. Sie sind, wenn man so will, die Außenmauern des deutschen Diskurses – und selbstverständlich ein ewiger Quell für heitere Absurditäten.

Eine Mauer, die trennt – und verbindet

Die „Brandmauer“ ist kein bauliches, sondern ein sprachliches Konstrukt, das sich in die lange Tradition deutscher Barrierefantasien einreiht. Ihre Protagonisten – die sich gerne als Verteidiger der Demokratie inszenieren – behaupten, mit ihr den Vormarsch des Autoritären zu verhindern. Tatsächlich jedoch erinnert das Konzept frappierend an andere deutsche Schutzwälle, deren Symbolik stets janusköpfig war: Der antifaschistische Schutzwall der DDR beispielsweise sollte offiziell den Kapitalismus draußen halten, in Wahrheit hielt er aber die eigenen Bürger drinnen. Ist die Brandmauer gegen Rechts also ein Bollwerk für die Demokratie – oder eher ein ideologisches Gefängnis für jene, die nicht exakt der vorgegebenen Meinung folgen?

Die paradoxen Parolen der Verteidiger

Die Brandmauer-Fraktion agiert mit einer bemerkenswerten Rhetorik. Einerseits wird jede Berührung mit dem politischen Gegner als tödlich betrachtet – das Anklopfen an der Mauer allein reicht bereits für den Vorwurf des Verrats. Andererseits ist es aber durchaus gestattet, dem rechten Rand Wählerstimmen abzujagen, indem man dessen Themen kopiert, leicht umdeutet und mit moralischem Heiligenschein versieht. Offenbar ist nicht die Idee selbst, sondern allein ihr Urheber das Problem. Wer sich in dieser Logik verirrt, findet sich in einer politischen Geisterbahn wieder, in der die Maßstäbe täglich wechseln, doch die Alarmglocken nie verstummen.

Die Kraft der Exkommunikation

Die große Stärke der Brandmauer liegt nicht in ihrer physischen Existenz, sondern in ihrer symbolischen Wirkung. Sie markiert, wer noch am Tisch der politischen Kultur sitzen darf und wer hinauskomplimentiert wird. Ihr Fundament ist dabei weniger die Verfassung als vielmehr eine Art moralischer Reinheitskult. Parteien oder Personen, die als zu kontaminiert gelten, werden aus dem demokratischen Prozess ausgeschlossen – egal, ob ihre Forderungen möglicherweise berechtigte gesellschaftliche Anliegen betreffen. Das Prinzip dahinter ist die Exkommunikation nach politischen Opportunitätskriterien: Wer sich mit den Falschen gemein macht, wird selbst zu einem der Falschen. Und so wird das Konzept der Demokratie, das eigentlich auf Meinungsvielfalt und Debatte gründet, zu einer Art exklusivem Club, dessen Türsteher sich als Sachwalter des einzig Wahren und Guten verstehen.

TIP:  Brandmauer oder Brandbeschleuniger

Die Ironie des Unbeabsichtigten

Der vielleicht größte Treppenwitz an der deutschen Brandmauer ist ihre unfreiwillige Förderung jener Kräfte, die sie zu bekämpfen vorgibt. Wer politische Konkurrenz nicht argumentativ stellt, sondern ausgrenzt, treibt sie in die Arme der Protestwählerschaft. Und wer allzu oft „Nazi!“ ruft, ohne echte Nazis vor sich zu haben, erzeugt Abstumpfung gegenüber dem tatsächlichen Extremismus. Die deutsche Geschichte hat gezeigt, dass politische Bewegungen selten verschwinden, nur weil man sie ignoriert oder dämonisiert – oft ist das Gegenteil der Fall.

Mauerbau mit Abrissbirne

Die Frage bleibt also: Ist die Brandmauer ein Bollwerk gegen den Autoritarismus oder eine Karikatur ihrer eigenen Absicht? Ist sie ein antifaschistischer Schutzwall oder ein überdimensionaler Maulkorb, getarnt als moralische Notwendigkeit? Vielleicht wäre es ratsam, Mauern nicht nur zu errichten, sondern auch Mechanismen des Abrisses mitzudenken – oder, noch besser, den politischen Diskurs als etwas zu begreifen, das Mauern eigentlich überflüssig machen sollte. Aber das wäre dann ja fast schon eine Demokratie im eigentlichen Sinne. Und mit der hat Deutschland, wie wir wissen, seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht.

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