
Wenn die Realität zur Zumutung wird
Es ist schwer, sich vorzustellen, wie sehr es schmerzen muss, wenn man aus den erhabenen Höhen der moralischen Überlegenheit plötzlich ins Tal der politischen Realität herabgestürzt wird. Für Katrin Göring-Eckardt und die Grünen war die Europawahl 2024 genau dieser Moment: Ein erbarmungsloser Schlag ins Gesicht des grünen Selbstverständnisses, verabreicht von einem Wähler*innen-Kollektiv, das einfach nicht verstehen will, was gut für sie ist. Besonders Ostdeutschland, dieser Hort des rückwärtsgewandten Unverständnisses, wählte in Scharen die AfD – eine Partei, die aus Sicht der Grünen wohl geradewegs aus der finsteren Vergangenheit aufgestiegen zu sein scheint, um die Zukunft zu sabotieren.
Doch wer ist schuld? Natürlich nicht die Grünen, die sich, wie Göring-Eckardt im Deutschlandfunk betonte, nichts vorzuwerfen haben. Der Fehler liegt bei den Wähler*innen, die sich „am Alten festhalten“, als ob sie nichts von der strahlenden Utopie begriffen hätten, die die Grünen ihnen bereitwillig vor die Nase halten. Und dieses „Alte“? Das sind nicht etwa irgendwelche obskuren Traditionen, sondern offenbar so banale Dinge wie die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie man lebt, wohnt und heizt. Es ist also nicht die grüne Politik, die möglicherweise zu weit gegangen ist – nein, es ist der verblendete Bürger, der einfach noch nicht mit der Realität Schritt halten kann.
Grüne Askese als Naturgesetz
Göring-Eckardt lässt keinen Zweifel: Grüne Politik ist unvermeidlich. Sie spricht davon, als handele es sich um ein ehernes Naturgesetz, das sich dem menschlichen Willen entzieht. So wie der Apfel vom Baum fällt, so müssen die Heizungen in deutschen Haushalten erneuert, die Autos elektrifiziert und die Fleischportionen verkleinert werden. Wer sich dem entgegenstellt, ist ein Narr, der versucht, den Mond mit einem Kescher einzufangen. Der „Wohlstand des Weniger“, ein von Göring-Eckardt geprägter Begriff, der bereits vielen Menschen die Nackenhaare aufstellen ließ, ist also nicht etwa eine persönliche Entscheidung, sondern eine historische Notwendigkeit. Wer jetzt noch hofft, dass ein wenig Komfort in seinem Leben bleiben darf, hat den Wandel der Zeit nicht verstanden.
Die Frage, ob die Grünen möglicherweise „die Schraube beim Klimaschutz überdreht“ haben, verneint Göring-Eckardt dann auch mit der Selbstsicherheit eines Naturwissenschaftlers, der gerade die Schwerkraft erklärt hat. Was die Grünen gemacht hätten, sei „der Realität entsprechend“. Und da ist sie wieder, die magische „Realität“, die so oft in politischen Reden beschworen wird, um die eigene Agenda als unausweichlich darzustellen. Man hat den Eindruck, dass Göring-Eckardt hier weniger als Politikerin auftritt, sondern als Hohepriesterin einer neuen Glaubensbewegung: Dem Klima-Imperativ, dem sich alles unterordnen muss, auch die Lebensfreude und der gesunde Menschenverstand.
Politik für alle – aber bitte im KiTa-Format
Nun könnte man denken, dass nach einer Wahlniederlage ein wenig Demut angebracht wäre. Vielleicht eine vorsichtige Selbstkritik, ein anerkennendes Nicken in Richtung der vielen Bürger, die sich von der grünen Politik überfahren fühlen. Aber weit gefehlt. Göring-Eckardt bleibt auf Kurs: Die Grünen haben nichts falsch gemacht, sie haben ihre heilsbringenden Botschaften einfach nicht gut genug „vermittelt“. Man müsse mehr erklären, die Menschen an die Hand nehmen und ihnen zeigen, wie wunderbar und unvermeidbar die grüne Politik ist. Es klingt fast so, als wäre der gesamte Wahlkampf eine Art Infoveranstaltung im Stil von „Sendung mit der Maus“ gewesen – nur dass die Bürger*innen diesmal nicht genug aufgepasst haben.
Göring-Eckardt spricht im besorgten Ton einer KiTa-Erzieherin, die nicht verstehen kann, warum die kleinen Racker sich einfach weigern, ihren Spinat zu essen. „Wir sorgen dafür, dass jeder mitmachen kann“, verkündet sie in einem Tonfall, der eher an eine Bastelstunde als an die harte Realität politischer Entscheidungen erinnert. Es ist dieser infante Grünen-Sprech, der den mündigen Bürger zum willenlosen Kind degradiert. Wer die grüne Politik nicht mag, hat sie schlicht noch nicht richtig verstanden. Denn wenn man sie richtig erklären würde – so der unterschwellige Glaube – dann würden alle freudig mitmachen.
Vom großen Umbruch, den nur die Grünen erkennen
Der zentrale Glaubenssatz der Grünen ist, dass wir uns in einer Zeit „großer Umbrüche“ befinden, die nur sie richtig deuten können. Die Welt verändert sich, und die Grünen sind die einzigen, die diesen Wandel nicht nur erkennen, sondern auch angemessen darauf reagieren. Dass sie dabei über Leichen – in Form von Existenzen, Arbeitsplätzen und Lebensentwürfen – gehen, wird als unvermeidlicher Kollateralschaden des Fortschritts abgetan. Die Grünen sind die Propheten einer neuen Weltordnung, und wer ihnen nicht folgen will, ist ein Ignorant, der den Lauf der Geschichte aufhalten will.
Hier zeigt sich der Kern des grünen Dilemmas: Sie verstehen sich nicht als Vertreter einer von vielen politischen Optionen, sondern als die einzige legitime Antwort auf die Herausforderungen der Zeit. Wer nicht ihrer Meinung ist, der hat die Realität schlicht nicht begriffen. Es gibt keine Grauzonen, keine Kompromisse, kein Abweichen von der heiligen Schrift des Klimaschutzes. Diese Überzeugung ist es, die viele Bürger abschreckt und die Wahlniederlage erklärt – doch das wird von den Grünen nicht gesehen. Stattdessen erklären sie sich ihre Niederlage damit, dass sie ihre Botschaft einfach nicht „deutlich genug“ gemacht haben.
Die große Enttäuschung der moralischen Erhabenheit
Und so sitzen die Grünen, namentlich Katrin Göring-Eckardt, nun da und weinen bittere Tränen. Nicht etwa, weil sie wirklich an Selbstkritik interessiert wären, sondern weil sie enttäuscht sind von einer Bevölkerung, die einfach nicht einsieht, wie gut sie es eigentlich mit ihr meinen. Die Entfremdung zwischen Politik und Bürger ist greifbar. Während Göring-Eckardt über den „Wohlstand des Weniger“ philosophiert, müssen sich die Bürger mit der Realität steigender Lebenshaltungskosten, explodierenden Energiepreisen und einer unsicheren Zukunft herumschlagen. Die Grünen predigen Verzicht als Tugend, während der Rest der Bevölkerung sich schlicht fragt, wie sie ihren Alltag bewältigen sollen.
Man kann den Grünen ihren Idealismus nicht vorwerfen – Idealisten haben in der Geschichte immer eine wichtige Rolle gespielt. Doch der Idealismus der Grünen hat sich in eine Form der Arroganz verwandelt, die keine Kritik zulässt. Wer sie wählt, ist erleuchtet; wer sie nicht wählt, lebt im Schatten der Unwissenheit. Und so wird jede Wahlniederlage als Kommunikationsproblem abgetan: „Wir haben nicht genug erklärt.“ Aber vielleicht, nur vielleicht, haben die Grünen auch einfach das falsche Verständnis von der Lebensrealität der Menschen?
Grüne Utopie in der Warteschleife
Am Ende steht die Erkenntnis: Es sind nicht die Grünen, die etwas falsch gemacht haben. Es sind die Bürger*innen, die zu dumm, zu verängstigt oder zu bequem sind, um die Genialität grüner Politik zu erkennen. Die Grünen-Politik bleibt alternativlos, die Bürger müssen sich eben noch ein wenig gedulden, bis sie es auch merken. Bis dahin bleibt Göring-Eckardt in ihrer Rolle als moralische Instanz: mit erhobenem Zeigefinger und einem immerwährenden Lächeln, das uns versichert, dass der „Wohlstand des Weniger“ bald unsere neue Glückseligkeit sein wird – ob wir wollen oder nicht.
Quellen und weiterführende Links
Adorno, Theodor W., und Max Horkheimer. Dialektik der Aufklärung. Fischer, 1944 – eine Pflichtlektüre für alle, die das Elend der politischen Aufklärung verstehen wollen.
Göring-Eckardt, Katrin. Interview im Deutschlandfunk zur Europawahl 2024, 2024.
Böll, Heinrich. Ansichten eines Clowns. Kiepenheuer & Witsch, 1963 – für den Fall, dass Sie den subtilen politischen Humor der Grünen noch nicht erkannt haben.
Foucault, Michel. Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses. Suhrkamp, 1976 – für eine tiefere Analyse, wie Ideologie als Herrschaftsinstrument dient.
Weber, Max. Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. 1904 – für ein besseres Verständnis des „Wohlstands des Weniger“.