Goma – Tor zur Hölle

Es gibt Städte, deren Name für Hoffnung steht – Paris, die Stadt der Liebe; New York, die Stadt, die niemals schläft; Rom, die ewige Stadt. Und dann gibt es Goma. Goma, das unaufhörlich brennende, zerschundene, ausgeweidete Herz des Kongo. Eine Stadt, die nicht einmal der Hölle gleicht, sondern vielmehr der Eingangspforte zu einem Reich, in dem sich die Hölle längst eingenistet hat, komfortabel, routiniert, mit gut geölter Maschinerie der Grausamkeit. Denn Goma, das ist nicht nur eine Stadt. Goma ist ein Symbol. Ein Menetekel. Ein Fanal für die unendliche Tragödie Zentralafrikas.

Nun also wieder Goma. Wieder marschieren die Rebellen der M23 auf die Stadt zu. Wieder fliehen Zehntausende. Wieder geraten UN-Blauhelme in die unangenehme Lage, Zeugen, aber nicht Beschützer zu sein. Wieder sind die internationalen Zeitungen voll von den üblichen Sätzen, die eine Mischung aus betretenem Achselzucken und semantischer Bankrotterklärung darstellen: „Die Lage ist kompliziert.“ – „Ein vielschichtiger Konflikt.“ – „Historische Wurzeln, schwer aufzulösen.“ Oder – mein persönlicher Favorit – die ultimative diplomatische Bankrotterklärung: „Wir rufen alle Seiten zur Zurückhaltung auf.“

Man könnte lachen, wenn es nicht so bitter wäre. Seit Jahrzehnten zieht sich dieser Krieg dahin, immer mit neuen Namen, neuen Akteuren, neuen Vorwänden – aber stets mit dem gleichen blutdurchtränkten Drehbuch. Der Krieg im Kongo ist nicht einfach nur ein Bürgerkrieg. Er ist ein organisiertes Desaster, ein perfektioniertes System aus Massaker, Bereicherung und heuchlerischer Anteilnahme. Er ist kein Chaos, sondern ein Geschäftsmodell.

Der große Rohstoff-Raubzug

Man kann den Krieg in der Demokratischen Republik Kongo nicht verstehen, wenn man nicht versteht, dass es dabei nie um Ideologie ging. Nicht um Volksgruppen, nicht um Religion, nicht um historische Kränkungen. All das sind nur hübsche Narrative für westliche Diplomaten und ihre Scheinbesorgnis-Seminare. Nein, im Kern geht es um etwas viel Einfacheres: um Bodenschätze. Um Coltan, Kobalt, Gold, Kupfer, Lithium. Die Schätze des Kongo sind ein Fluch. Wer sie besitzt, besitzt Macht – aber keine Sicherheit.

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Die M23, jene schattenhafte Rebellenmiliz, die mal als Freiheitskämpfer, mal als terroristische Plage tituliert wird (je nachdem, wen man fragt), ist nichts anderes als ein weiteres Instrument in diesem ewigen Raubzug. Man munkelt – und wer in Goma lebt, weiß, dass solche „Gerüchte“ oft mehr mit Realität zu tun haben als offizielle Presseerklärungen – dass der große Nachbar Ruanda kräftig seine Hände im Spiel hat. Warum auch nicht? In Kigali weiß man, dass sich die Reichtümer des Kongo viel leichter plündern lassen, wenn man dort ein permanentes Chaos aufrechterhält.

Und während in Brüssel und Washington verlegen an der diplomatischen Krawatte gezupft wird, machen die globalen Konzerne, von denen unser geliebtes westliches Leben so abhängig ist, was sie immer tun: Sie sichern ihre Lieferketten. Denn Coltan, jenes magische Erz, ohne das kein Smartphone funktioniert, fällt nicht einfach vom Himmel. Es wird unter unmenschlichen Bedingungen aus kongolesischer Erde gegraben – oft von Kindern, fast immer unter der Kontrolle von Bewaffneten. Aber keine Sorge, die internationalen Tech-Giganten versichern uns, dass sie alles tun, um „nachhaltige und ethische Rohstoffquellen“ zu garantieren. In etwa so, wie die Mafia sich verpflichtet, nur fair gehandelten Schutzgeld-Erpressungen nachzugehen.

UN-Blauhelme: Hilflose Riesen in einem Minenfeld der Zyniker

Die UN ist in Goma so präsent wie machtlos. Ihre Truppen, MONUSCO genannt, stehen dort seit Jahren herum, eine Art teure Dekoration aus gepanzerten Fahrzeugen und hilfloser Rhetorik. Blauhelme – eine ironische Farbwahl, denn während sie den Frieden symbolisieren sollen, stehen sie oft nur da und beobachten, wie der Krieg sich ungerührt weiter entfaltet.

Es wäre zu einfach, den Soldaten selbst die Schuld zu geben. Die meisten von ihnen sind nicht nur unterbezahlt, sondern auch völlig unterausgerüstet für die Brutalität, mit der die M23 und andere Gruppen operieren. Es ist das Mandat der UN, das sie lähmt – ein Mandat, das so widersprüchlich ist, dass es mehr einem diplomatischen Sudoku als einer ernsthaften Friedensmission gleicht.

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Manchmal schießen sie. Manchmal nicht. Manchmal retten sie Zivilisten, manchmal können sie nichts tun. Und immer wieder kommt dann die Frage: Warum sind sie überhaupt hier? Die bittere Antwort lautet: Weil es die Weltöffentlichkeit beruhigt. Ein paar Blauhelme in Goma geben uns das Gefühl, „etwas zu tun“. Sie sind das geopolitische Äquivalent eines Feigenblatts.

Die große westliche Heuchelei

Während die Kämpfe in Goma eskalieren, verurteilen westliche Politiker den „inakzeptablen Gewaltausbruch“ – als ob Gewalt in dieser Region je anders als „akzeptiert“ gewesen wäre. Man verspricht Hilfen, spendet ein paar Millionen für humanitäre Einsätze, rügt Ruanda halbherzig und geht dann zur Tagesordnung über.

Die wahren Profiteure des Chaos bleiben unbenannt. Die großen Minenunternehmen, die Zwischenhändler, die undurchsichtigen Netzwerke von Geschäftsmännern, die das kongolesische Blut in saubere Bankkonten umwandeln. Niemand stellt die unangenehme Frage, warum Kobalt aus dubiosen Quellen weiterhin in unsere Elektroautos fließt. Niemand will genau wissen, wie die Rohstoffe für unsere glänzenden Smartphones und Laptops beschafft wurden. Es wäre zu unbequem.

Goma brennt – und die Welt schaut zu

Und so bleibt Goma, was es immer war: Eine Stadt am Rande der Apokalypse. Eine Bühne für ein Drama, dessen Drehbuch seit Jahrzehnten unverändert ist. Eine Pforte zur Hölle, durch die jede Generation von Kriegsherren, Rebellen und Söldnern marschiert, ohne dass sich jemals etwas grundlegend ändert.

Vielleicht, wenn das nächste Mal ein westlicher Politiker betroffen dreinschaut und von „der Komplexität des Konflikts“ spricht, sollte man ihn fragen: Ist es wirklich so komplex? Oder ist es einfach nur bequem, wegzusehen?

Bis dahin bleibt Goma, was es immer war: Ein Ort, an dem das Blut der Unschuldigen billig ist – und die Rohstoffe teuer.

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