
… oder: Der Krieg ist vorbei, die Dividende lebt
Am 8. Mai 2025 bekennt sich die deutsche Wirtschaft. 49 Unternehmen unterschreiben eine feierlich-verantwortungsbewusste Erklärung zum 80. Jahrestag des Kriegsendes. Mit der Betroffenheitsprosa eines institutionellen Schuldbekenntnisses, das wie ein Messingplättchen auf die Vergangenheit genietet wird. Nicht, weil es wehtut, sondern weil es gut aussieht. Man gedenkt, man erinnert, man übernimmt Verantwortung. So wie man CO2 kompensiert – man produziert weiter, aber pflanzt symbolisch einen Baum.
Die Vorstandsetagen von Bayer, BASF, Siemens und Evonik haben Auschwitz überlebt, sogar glänzend. Sie haben sich gewandelt, gereinigt, transformiert – aus den Dreckslöchern der Geschichte empor in die Hochglanzbroschüren der Gegenwart. Heute sprechen sie vom Gedenken, damals lieferten sie Zyklon B, Stahl, synthetischen Treibstoff. Ein Jahrhundert später ist aus der Kriegsbeihilfe die „Vision für eine nachhaltige Zukunft“ geworden. Transformation durch Zeitablauf – oder: Wenn der Geschichtsspeicher überläuft, archiviert man ihn in PDF.
Was also unterscheidet das heutige „Nie wieder!“ von gestern? Nur der Kontext. Früher wurde produziert, heute wird erinnert. Früher für den Endsieg, heute für das Employer Branding. Früher war der Geschäftspartner das Reich, heute ist es die Weltgemeinschaft. Und irgendwo dazwischen liegt das moralisch neutralste aller deutschen Erfolgsmodelle: die betriebswirtschaftliche Resilienz.
Die Säuberung beginnt im Sprachgebrauch – oder: Wenn sich Verantwortung wie ein Vorstandsprotokoll liest
Die Erklärung der Wirtschaft zum 8. Mai liest sich wie ein Ethik-Leitfaden für Juristen mit Medienscheu. Voller pathosgesättigter Wendungen über Verantwortung, Erinnerung und Mahnung. Kein Wort zu den konkreten Gewinnen in der NS-Zeit. Kein Wort zu Zwangsarbeit, zu Kriegskrediten, zu Produktionsausweitungen im Zeichen der „Mobilmachung“. Dafür jede Menge moralisches Korrektiv in schönem Zukunftssprech.
Die Machtübernahme von 1933, heißt es, wäre ohne das „Versagen der damaligen Entscheidungsträger“ nicht möglich gewesen. Ach. Versagen? Oder vielleicht doch lieber: aktive Unterstützung, freiwillige Kooperation, glasklarer Opportunismus? Doch so etwas passt nicht in einen Satz, den auch ein PR-Berater formuliert haben könnte, ohne ins Schwitzen zu kommen.
Es ist faszinierend, wie die semantische Kur in solchen Texten funktioniert. Aus Tätern werden „verstrickte Akteure“, aus Profiteuren „Entscheidungsträger mit Verantwortungspotenzial“. Und aus Unternehmen, die sich einst an Menschenversuchen und Rüstungsaufträgen bereicherten, werden heute „Verantwortungsträger im Kampf gegen Antisemitismus“. Es ist ein Sprachwandel der Eleganz – eine Umschreibung, so glatt, dass man sich darin spiegeln könnte. Wenn man wollte.
Die neue Moral heißt Imagepflege – oder: Auschwitz als Kommunikationsstrategie
Was bei all dem Gedenken auffällt: Es ist selektiv. Es blendet aus, was unangenehm wäre. Kein Satz zu den heutigen Verflechtungen dieser Konzerne mit autoritären Staaten. Kein Wort zu Rüstungsexporten, zu Arbeitsbedingungen in der globalisierten Lieferkette, zu Gewinnmargen im Schatten geopolitischer Konflikte. Denn was zählt, ist das Symbol. Und Symbole sind bekanntlich steuerfrei.
Das Auschwitz-Gedenken wird hier zum Moralkitt einer Öffentlichkeit, die gelernt hat, mit Vergangenheit zu handeln wie mit Aktien: Man kauft billig ein, hofft auf steigenden Kurs der Reue, und verkauft mit Gewinn die neue Haltung. Der Holocaust als Hintergrundfolie für ESG-Reports – nicht als Abgrund, sondern als Alibi.
Und so gedenken heute Vorstände, die gleichzeitig mit einem Bein in Asien, mit dem anderen im Silicon Valley stehen. Sie sprechen von Demokratie, während sie weltweit Arbeitsrechte flexibilisieren. Sie erinnern an Zivilcourage, während sie Betriebsräte ausbremsen. Sie beklagen das Schweigen von 1933 – und schweigen 2025 zu allem, was sich nicht mit Compliance verträgt.
Schlussstrichdebatte reloaded – oder: Wenn der Schlussstrich als Denkpause kommt
„Einen Schlussstrich darf und wird es mit uns nicht geben.“ Das klingt so wunderbar entschlossen, dass man kurz klatschen möchte. Aber was heißt das eigentlich? Vielleicht, dass es keinen Schlussstrich gibt, solange sich auf der richtigen Seite der Geschichte noch etwas Kapital schlagen lässt. Vielleicht heißt es auch, dass man die Geschichte weiterverwendet – wie eine Lizenz, die man immer wieder neu auflegt. Version 8.0, updatefähig, mit Haltungskomponente.
Das Gedenken der Unternehmen ist kein Schlussstrich – aber auch kein Neuanfang. Es ist ein Zustand der historischen Betriebsbereitschaft: Die Vergangenheit wird besichtigt wie ein Museum, nicht durchlitten wie eine Schuld. Sie ist ein Geschäftsbereich. Und das hat sie ja auch immer schon gut gemacht.
Fazit: Erinnerung ja, Verantwortung nur auf Anfrage
Die Erklärung zum 8. Mai ist gut gemeint. Und das ist das Problem. Sie ist nicht mutig, nicht konkret, nicht selbstkritisch. Sie ist ein Manifest der gut gebürsteten Selbstvergewisserung – ein Gedenkpapier mit Firmenlogo. Und sie passt hervorragend in unsere Zeit: Eine Zeit, in der man alles reflektiert – solange man nicht handeln muss. Eine Zeit, in der sogar der Krieg zum Teil der Corporate Identity wird.
Denn wie sagte Bertolt Brecht so treffend?
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Und heute steht auf dem Etikett:
„Made in Germany – nachhaltig, verantwortungsvoll, zukunftssicher.“