
oder: Wenn der Rechtsstaat auf High Heels durchs Elend stolziert
Sie haben es wieder getan. Ganz leise. Mit samtbezogenen Handschuhen, damit man den Schlag nicht hört. Wieder wurde ein Stück Rechtsstaatlichkeit zu Grabe getragen, und niemand hat den Leichenschmaus bemerkt, weil der Friedhof inzwischen als Parlament durchgeht und der Totengräber im Designeranzug auftritt. Was da im Namen der „Resozialisierung“ durchgewunken wurde, klingt harmlos, fast nach humanitärer Fortschrittsrhetorik, aber in Wahrheit handelt es sich um nichts Geringeres als die endgültige Aushöhlung eines Prinzips, das man früher unter „Gleichheit vor dem Gesetz“ kannte, heute jedoch nur noch im Museum für politische Folklore besichtigen kann. Die Fußfessel – einst als Brücke aus dem Gefängnis ins Leben gedacht – wird jetzt zur goldenen Eintrittskarte für eine neue Kaste der Halbstraflosen: Die Elite-Häftlinge, die Verurteilten mit Vitamin B, mit Bankerfreund, Baugrund und BMW vor dem Haus, die auch in der Schande noch nach Zitrone duften und deren Reuegefühle sich in Fünf-Sterne-Wellnessanlagen vollziehen dürfen, während der Pöbel seine Schuld im Zellenloch abtragen darf, wo weder Fußfessel noch Fußbodenheizung vorgesehen sind.
Wer zahlt, schafft an – auch beim Strafvollzug
Was hier geschieht, ist nicht etwa ein Justizskandal, sondern der gelebte Sarkasmus eines Systems, das sich längst damit abgefunden hat, dass Moral und Gesetz zwei getrennte Bücher führen. Der neue „Resozialisierungspfad“ ist nur für jene begehbar, die sich ihre Schuld mit Kreditkarte leisten können. Eine schöne neue Welt, in der Gerechtigkeit nicht mehr blind ist, sondern kurzsichtig, auf Reichtum fokussiert und von Lobbyisten mit Gucci-Gestell ausgestattet. Wer zahlt, schafft an – auch beim Strafmaß. Wer das Glück hat, in einer Villa mit Alarmanlage und Gartenpool zu wohnen, darf sich über einen formvollendeten Hausarrest mit Aussicht freuen. Wer hingegen in einer Einzimmerwohnung lebt, darf im stinkenden Anstaltsflur über Gerechtigkeit nachdenken. Es ist, als hätte man das Sprichwort „Hinter Schloss und Riegel“ neu interpretiert: Der Schlüssel passt nur noch in goldene Türschlösser.
Grasser, Grasser über alles – oder: Wie man aus 8 Jahren 1 macht
Betrachten wir die Realität anhand eines Einzelfalls, dessen Name inzwischen als Marke für politische Frechheit gelten darf: Grasser. Karl-Heinz, der ewige Sunnyboy der neoliberalen Ära, für den das Wort „Verantwortung“ immer klang wie eine Beleidigung, steht beispielhaft für das, was mit diesem Gesetz nun institutionalisiert wurde: Straffreiheit für Stilvolle, Milde für Millionäre. Acht Jahre Haft, urteilte das Gericht – aber wer geglaubt hat, das bedeute acht Jahre Haft, war entweder naiv, oder kein Jurist. Ein Jahr in echter Haft – der Rest ist Spa-Resozialisierung im Eigenheim mit Wellnessbereich. Die Fußfessel, das Accessoire des modernen Delinquenten mit Netzwerk, ersetzt heute die Häftlingskleidung – maßgeschneidert, GPS-überwacht, aber stets tragbar mit polierter Gürtelschnalle.
Dass Grasser seine Strafe möglicherweise in Form eines „beschäftigten Alltags“ am Golfplatz oder im „Außendienst“ verbüßen darf, ist nicht nur zynisch, es ist das neue Normal. Arbeiten darf er – sofern ein Freund ihn „beschäftigt“. Und da er viele Freunde hat, die noch nie einem Ethik-Kurs beigewohnt haben, ist das kein Problem. Es ist ein Job auf Zuruf, eine Haft im Homeoffice, ein Fegefeuer mit Catering.
Der neue Standesstaat – aus den Ruinen des Rechts gebaut
Mit dieser Neuinterpretation der Strafvollzugsordnung wird nicht etwa das Prinzip der Gnade gepflegt, sondern jenes der Kastengesellschaft. Es entsteht eine neue Form des Standesstaats: oben die Delinquenten mit Einfamilienhaus und Steuerberater, unten die Schuldigen ohne Anwalt, ohne Vitamin B, ohne Lobby. Für die einen bedeutet eine Verurteilung: Karriereknick und Fußfessel. Für die anderen: Existenzvernichtung, Knast und Stigmatisierung fürs Leben. Während Grasser mit GPS-Sender im Garten schlendert, sitzt sein armer Zeitgenosse ohne Freunde, Wohnung oder Golfpartner in der Justizanstalt und faltet Briefkuverts für fünf Euro pro Tag – abzüglich Haftkosten. Er ist nicht nur inhaftiert, sondern auch noch verschuldet durch die Vollstreckung seiner Strafe. Die einen kassieren, die anderen zahlen – selbst im Strafvollzug. Willkommen in der Realsatire.
Zwischen Zynismus und Systemversagen – ein Nachruf auf die Gerechtigkeit
Wir erleben die langsame Transformation eines Rechtsstaates in ein Dekorationsobjekt für Sonntagsreden. Gerechtigkeit ist längst nicht mehr Maßstab, sondern Kulisse. Die politische Klasse täuscht Empörung vor, während sie an der Aushebelung fundamentaler Prinzipien werkt – mit juristischer Präzision und moralischer Flexibilität. Man könnte meinen, es handle sich um ein dunkles Kapitel unserer Demokratie – in Wahrheit ist es bereits das nächste Kapitel, und die nächsten Seiten werden bereits geschrieben. Wer heute die Fußfessel umlegt, dem reichen morgen vielleicht Hausarrest im Ausland oder ein digitales Ehrenwort. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – zumindest nicht für die, die sie sich leisten können.
Die Wahrheit ist bitter und spöttisch zugleich: In einem System, in dem der Geldbeutel über die Form der Strafe entscheidet, wird das Recht nicht mehr gesprochen, sondern verhandelt – auf Augenhöhe mit jenen, die sich nie ducken mussten. Die Fußfessel ist nicht mehr Symbol der Integration, sondern der Segregation. Sie trennt – nicht gut von böse, sondern arm von reich. Der Rechtsstaat? Er lebt noch, aber nur auf Widerruf – und mit GPS-Tracking in der Villa am Stadtrand.