Eintritt in den Nahverkehr

Willkommen in der Arena des täglichen Lebens

Die Türen öffnen sich zischend. Ein erster Hauch von abgestandener Luft, vermischt mit einem Hauch billigem Parfum und dem süßen Aroma kalten Schweißes, weht dir entgegen. Willkommen in der deutschen U-Bahn, wo der Nahverkehr zum Nahkampf mutiert, und das Abenteuer des Alltags wartet. Dein Platz in diesem grandiosen Theater? Als Frau, irgendwo zwischen tragischer Protagonistin und unfreiwilligem Statisten im Spektakel der Fahrgastgesellschaft.

Es dauert keine zwei Stationen, bis die ersten körperlichen Annäherungen stattfinden. Kein Grund zur Sorge, es handelt sich lediglich um einen höflichen Ellbogen im Rücken und ein Knie, das irgendwie den Weg in deine persönliche Komfortzone gefunden hat. Aber Moment, da war noch etwas – ein Blick! Dieser unmissverständliche, lüsterne Blick eines Mitreisenden, der die Kunst des Augenkontakts als Einladung missverstanden hat. Und schon rollt sie an, die stählerne Bühne, auf der Frauen ihre täglichen Nahverkehrsdramen erleben: Angst, Unwohlsein, und manchmal – wenn es besonders gut läuft – die stille Hoffnung, dass die nächste Station schneller kommt als die nächste Bemerkung eines pöbelnden Fußballfans.

Die Zahlen, die kein Zugticket brauchen

Die Bundespolizei spricht Klartext. 25.000 Gewaltdelikte an Bahnhöfen und Zügen allein im Jahr 2023. Nein, das ist keine neue Serie auf Netflix, das ist Alltag auf deutschen Schienen. Wer hätte gedacht, dass der eigentliche Nervenkitzel beim Bahnfahren nicht der unzuverlässige Fahrplan ist, sondern die Frage, ob man körperlich unversehrt ankommt? Und während die männlichen Mitfahrer in der Regel nur das Drama verspäteter Anschlusszüge beklagen, schwingen für Frauen beim täglichen Pendeln weitaus existenziellere Fragen mit.

Die Berliner Statistik könnte man fast für den Plot eines düsteren Indie-Films halten: 391 sexuelle Übergriffe im Nahverkehr, die meisten davon gegen Frauen. Aber keine Sorge, liebe Frauen: Die nächste Notrufsäule ist nur 50 Meter entfernt – vorausgesetzt, du erreichst sie, bevor der nächste Aggressor dich entdeckt hat.

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Die moderne Arche Noah

Antje Kapek, jene furchtlose Ritterin der Berliner Verkehrspolitik, präsentiert eine Lösung, die direkt aus dem Drehbuch einer dystopischen Zukunftsvision stammen könnte: Frauen-Waggons! Inspiriert vom japanischen Vorbild, sollen diese rollenden Schutzräume künftig auch auf deutschen Schienen fahren. Ein Waggon für Frauen, ein anderer für Männer – fehlt nur noch einer für frustrierte Pendler und ein weiterer für passionierte Klatschbasen, und das soziale Gefüge der Bahnfahrt wäre perfekt segmentiert.

Doch die Idee polarisiert. Während einige Frauen erleichtert aufatmen und sich bereits im Geiste den luxuriösen Frieden eines testosteronfreien Waggons ausmalen, fragt sich der zynische Beobachter: Ist das die Lösung oder nur eine besonders elegante Kapitulation vor dem Problem? Frauen sollen geschützt werden, ja – aber wäre es nicht sinnvoller, die Täter konsequent aus dem Verkehr zu ziehen, statt die Opfer in eigene Abteile zu sperren?

Sicherheit als Illusion

Neben den Frauen-Waggons sind natürlich auch technologische Maßnahmen vorgesehen. Kameras, Notrufsäulen, markierte Zonen – eine regelrechte Festung des Sicherheitsgefühls soll entstehen. Doch jeder, der jemals in einer deutschen U-Bahn gefahren ist, weiß: Diese Maßnahmen sind so effektiv wie ein Regenschirm im Tornado. Die Kameras zeichnen alles auf, aber niemand schaut hin. Die Notrufsäulen? Ein Relikt aus einer Zeit, als man glaubte, dass Technologie Verbrechen verhindern könnte. Und markierte Zonen? Ach ja, die farbigen Rechtecke auf dem Bahnsteig, die wie eine stille Erinnerung daran wirken, dass der Rest der Fläche praktisch vogelfrei ist.

FLINTA und der Widerstreit der Ideale

Besonders bemerkenswert ist der ursprüngliche Ansatz der Grünen, nicht nur Frauen, sondern die gesamte FLINTA-Gruppe (Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nicht-Binäre, Transgender und Agender) zu schützen. Doch irgendwann wurde klar: Der Versuch, alle zu beschützen, endete in einer Debatte darüber, ob überhaupt jemand geschützt werden kann. So beschränkte man sich auf Frauen – ein Kompromiss, der innerparteilich so viel Freude auslöste wie ein Leitz-Ordner im Weihnachtswichteln.

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Der Nahverkehr als Mikrokosmos der Gesellschaft

Der öffentliche Nahverkehr ist längst mehr als nur ein Transportmittel. Er ist ein Spiegel unserer Gesellschaft, ein Kaleidoskop menschlicher Schwächen und ein Prüfstein für den Zustand des sozialen Miteinanders. Gewalt gegen Frauen im Nahverkehr ist keine isolierte Erscheinung, sondern das Symptom eines viel größeren Problems: der tief verwurzelten Missachtung weiblicher Sicherheit und Autonomie. Frauen-Waggons mögen kurzfristig helfen, das akute Problem zu entschärfen. Doch sie lösen nicht das grundlegende Dilemma, dass Frauen in unserer Gesellschaft immer noch als Freiwild betrachtet werden – ob in der U-Bahn, am Arbeitsplatz oder auf der Straße.

Ein Ticket für die Zukunft

Der Nahverkehr bleibt ein politisches Schlachtfeld, auf dem Frauen täglich um Sicherheit und Würde kämpfen. Frauen-Waggons, Kameras und Notrufsäulen sind bestenfalls Pflaster auf einem Problem, das eine Operation benötigt. Denn solange die Gesellschaft die Täter nicht zur Rechenschaft zieht, bleibt der öffentliche Nahverkehr ein gefährliches Terrain.

Und vielleicht, nur vielleicht, wird es eines Tages einen Ort geben, an dem Frauen ohne Angst reisen können. Bis dahin bleibt die Fahrt mit der Bahn für viele ein riskantes Abenteuer. Der Preis? Ein Fahrschein. Die Kosten? Nicht in Geld messbar.


Quellen und weiterführende Links

  1. Bundespolizei-Bericht zu Gewaltdelikten im Nahverkehr (2023).
  2. Berliner Polizeistatistik zu sexuellen Übergriffen im ÖPNV.
  3. Antje Kapek zur Debatte um Frauen-Waggons, Berliner Zeitung.
  4. Artikel zur FLINTA-Debatte in der Grünen-Partei, taz.
  5. „Frauen im Nahverkehr: Angst als Dauerzustand?“ – Der Spiegel.
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