Eine Anweisung zur moralisch reinen Selbstaufopferung

Für alle, die meinen, die Ukraine MUSS gewinnen:

Es gibt Haltungen, die sind so erhaben, dass sie sich von der schnöden Realität längst emanzipiert haben. Eine davon ist die Überzeugung, dass die Ukraine unbedingt gewinnen MUSS — ein Imperativ so unumstößlich wie der Satz des Pythagoras oder die Pflicht, Soja-Milch in den Kaffee zu schütten. Wer diesen Imperativ anzweifelt, offenbart nicht nur einen Mangel an sittlicher Reinheit, sondern gerät unweigerlich in Verdacht, ein geheimer Agent des Bösen zu sein — oder, noch schlimmer: jemand, der den Frieden einem gerechten Krieg vorzieht.

Der Luxus der Fernempörung

Nun ist es eine der größten Errungenschaften unserer Zeit, dass man an Kriegen teilnehmen kann, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Die Leinwand ist das Smartphone-Display, die Waffe der Tweet, der Schützengraben die Kommentarspalte. Und so sitzen sie da, die digitalen Clausewitz-Epigonen, und mahnen mit zitternder Stimme zur letzten Verteidigung der Freiheit — von der heimischen Couch aus, die Wärmflasche im Rücken, der Chardonnay im Glas.

Dabei ist das Schöne an dieser Art von Bellizismus, dass er völlig risikofrei ist. Man kann sich in aller Lautstärke für den Sieg einsetzen, ohne selbst die kleinste Unannehmlichkeit in Kauf zu nehmen. Der Aufruf zu Waffenlieferungen, immer aus sicherer Entfernung abgefeuert, klingt eben mutiger als die Bitte um Friedensverhandlungen — und kostet nichts außer ein paar Likes in der eigenen Filterblase.

Wenn Haltung zur Ersatzreligion wird

Die moralische Pflicht zur Parteinahme kommt mit einem kleinen, aber feinen Kniff daher: Wer sie hinterfragt, outet sich als Ketzer. „Neutralität ist keine Option“ — ein Satz, der sich mit der Inbrunst eines Glaubensbekenntnisses wiederholt. Denn der moderne Kriegsbefürworter sieht sich nicht mehr als politisches Subjekt, sondern als Prediger in eigener Sache. Was bleibt, ist ein binäres Weltbild: Hier die Lichtgestalten des Widerstands, dort die Finsternis der Appeasement-Verräter.

Natürlich wäre es konsequent, die eigene Begeisterung für den Sieg der Guten mit einem kleinen Ausflug an die Front zu krönen. Ein Helm wird sich schon finden, eine AK47 auch — und wenn nicht, dann wenigstens ein hipper Stahlhelm im Vintage-Look passend zur Ostfront. Doch erstaunlicherweise endet die Bereitschaft zur Solidarität oft genau dort, wo der eigene Körper ins Spiel kommt.

TIP:  Wird demnächst Dostojewski Pflichtlektüre?

Warum seid ihr noch hier?

Wäre es nicht der ultimative Akt der Kohärenz, wenn die tapferen Twitter-Generäle ihre Accounts löschen, sich den Freiwilligenverbänden anschließen und der Welt vorleben, was Haltung wirklich bedeutet? Stattdessen wird auf der sicheren Seite der Geschichte gestanden, während andere auf der blutigen Seite der Geographie sterben.

Das ist die eigentliche Pointe dieser ganzen moralischen Aufrüstung: Wer am lautesten fordert, dass die Ukraine siegen MUSS, trägt oft am wenigsten zum Sieg bei. Man empört sich mit reiner Seele, aber sauberen Händen.

Ein bisschen Selbstironie tut nicht weh

Natürlich könnte man jetzt einwenden, dieser Text sei zynisch, unfair oder gar defätistisch. Aber vielleicht ist das eigentliche Problem, dass die moralischen Hochdruckgebiete unserer Zeit wenig Humor vertragen. Ein bisschen Augenzwinkern schadet dem Ernst der Lage keineswegs — im Gegenteil: Wer sich über seine eigene Entrüstung lustig machen kann, ist in der Regel näher an der Wahrheit als jene, die sich mit tränenerstickter Stimme selbst zum Widerstandskämpfer stilisieren.

Deshalb bleibt am Ende nur eine Frage: Warum seid ihr eigentlich noch hier? Die Ukraine MUSS doch gewinnen. Auf, auf — es ist nie zu spät für ein Ticket nach Kiew. Ein Helm wird sich schon auftreiben lassen.

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