
Wer folgt wem
Man stelle sich vor, wir befinden uns auf einem Maskenball, der vom Wesen der Macht organisiert wurde. Die beiden prominentesten Gäste – Politik und Gesetz – wirbeln anmutig durch den Raum, elegant ineinander verschlungen, die Blicke aller auf sich gezogen. Doch wer führt hier eigentlich? Tanzen sie im Gleichklang, oder ist einer von ihnen nur ein williges Spielzeug, das von der unsichtbaren Hand des anderen geführt wird?
Auf den ersten Blick scheint alles klar: In einem Rechtsstaat ist es doch wohl die Politik, die sich an die Regeln des Gesetzes zu halten hat, oder? Das Gesetz ist der Rahmen, die Politik agiert innerhalb dieses Rahmens. Schön wär’s. Doch wie so oft sind die Dinge, wenn man genauer hinsieht, weit komplizierter – und nicht selten grotesker. Ein genauerer Blick auf das scheinbare Gleichgewicht zwischen Gesetz und Politik enthüllt, dass die beiden in Wahrheit kein harmonisches Paar sind, sondern vielmehr Rivalen in einem permanenten Machtkampf. Und ja, der Tanz endet meist mit blutigen Füßen.
Ein Fabelwesen in der Steppe der Realität
Was also ist der Rechtsstaat? Klingt erst einmal nobel: Der Staat ist an Gesetze gebunden, die von ihm selbst geschaffen wurden. Ein Akt reiner Vernunft und ethischer Größe, könnte man meinen. Aber halt, bevor wir uns in der trügerischen Gewissheit wiegen, dass der Rechtsstaat eine unerschütterliche Bastion gegen die Willkür sei, sollten wir einen Blick darauf werfen, wer die Gesetze denn überhaupt macht. Die Politik – die illustre Gemeinschaft von Machern, Schachspielern, Intriganten und Selbstdarstellern.
Ist es nicht köstlich ironisch? Die Politik macht die Gesetze, um sich dann stolz an diese selbstverfertigten Gesetze zu halten. Das Gesetz, dieser viel gepriesene „Herrscher über die Herrscher“, wird von jenen gestaltet, die sich ihm dann demütig unterwerfen sollen. Das ist in etwa so, als ob ein Metzger seine eigenen Gesundheitskontrollen durchführt und uns dann stolz versichert, dass das Fleisch, das er uns verkauft, völlig unbedenklich sei. Glauben Sie das?
Schauen wir uns die Realität an: Die Gesetze werden geschrieben, neu verfasst, ausgedehnt, eingeschränkt, verwässert – je nach dem, was die jeweilige politische Agenda gerade verlangt. Es wird stets behauptet, dass das Gesetz von einer übergeordneten moralischen Instanz getragen sei. In Wirklichkeit gleicht es einem weichen Wachs, das sich der Politik anpasst, sobald es heiß hergeht.
Die großen Gesetzesjongleure
Nun könnte man naiv fragen: Ist das denn so schlimm? Politiker sind ja immerhin gewählt, sie tragen die Verantwortung für das Gemeinwohl. Sollten sie also nicht auch die Freiheit haben, das Gesetz in ihrem Sinne zu formen? Oh, wie entzückend! Das wäre etwa so, als würden wir einem Fuchs das Hühnerhaus anvertrauen, mit der Begründung, dass er schließlich für die Sicherheit der Hühner verantwortlich ist.
Unsere Politiker sind gewiefte Jongleure. Sie werfen uns große Worte wie „Rechtsstaatlichkeit“, „Gerechtigkeit“ und „Transparenz“ zu, während sie auf den hölzernen Seilen der Macht balancieren. Aber wehe, jemand zieht am Gesetz, das den Rahmen ihres Spiels vorgibt – dann zeigt sich, dass die Politik nicht etwa dem Gesetz folgt, sondern es bei Bedarf zynisch verbiegt. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das „Notstandsgesetz“ – ein Gesetz, das dann hervortritt, wenn der Staat sich selbst in Gefahr wähnt. Plötzlich wird das, was vorher als unverrückbare Regel galt, mit ein paar Federstrichen außer Kraft gesetzt. Und das Ganze nennt man dann „rechtsstaatliches Handeln in besonderen Zeiten“.
Das Gesetz als Instrument der Macht
Doch genug der Klagen über die Politiker. Das Gesetz selbst ist nicht unschuldig. Wie ein dienerischer Beamter steht es oft bereit, den Anweisungen seiner Meister zu folgen. Man könnte fast meinen, das Gesetz habe eine Art masochistische Freude daran, sich in den Dienst der Macht zu stellen. Wie sonst ist es zu erklären, dass in vielen Diktaturen das „Recht“ der Hauptverbündete der Unterdrückung ist? Von den „Ermächtigungsgesetzen“ der Vergangenheit bis hin zu heutigen autoritären Regimen: Das Gesetz wird nicht selten zu einem Werkzeug der Unterdrückung, das den Schein von Legitimität wahrt, während die Politik damit ihre schmutzigen Geschäfte durchführt.
Und damit wir uns nicht in Sicherheit wiegen: Auch in Demokratien wird das Gesetz gerne als Instrument der Herrschaft eingesetzt. Das Gesetz der Überwachung, das Gesetz der Ausgrenzung, das Gesetz der Enteignung. Immer im Namen der „öffentlichen Sicherheit“ und des „Gemeinwohls“. Es wird nicht lange gedauert haben, bis auch die moderne Politik erkannte: Nichts legitimiert Machtmissbrauch so gut wie ein fein formuliertes Gesetz. Was vorher als unantastbar galt, wird plötzlich im Wind der politischen Stimmungslage flexibel wie ein Biegeplastik.
Die Perversion der Gesetzgebung
Aber Moment, da fehlt noch etwas. Die Politik formt nicht nur das Gesetz, sie bestellt es oft geradezu auf Abruf. Und hier kommen die mächtigen Akteure ins Spiel, die im Schatten agieren: Lobbyisten, Interessenverbände, Konzerne – sie alle schreiben die Gesetze mit. Nicht selten werden Gesetzesentwürfe in den Hinterzimmern mächtiger Unternehmen vorbereitet und dann als „staatliche Regelung“ im Parlament eingebracht. Und während die Politiker in der Öffentlichkeit so tun, als hätten sie lange und gewissenhaft daran gearbeitet, lassen sie insgeheim die Champagnerkorken knallen, weil sie es wieder einmal geschafft haben, ein Gesetz im Sinne ihrer Gönner zu platzieren.
Das Gesetz als Spiegelbild des Volkswillens? Diese romantische Vorstellung muss endlich der Realität weichen: Gesetze sind oft nichts weiter als willfährige Werkzeuge, die den Mächtigen dienen. Wer es sich leisten kann, formt das Gesetz in seinem Sinne und tut dies unter dem Deckmantel des „Gemeinwohls“.
Wer führt wen? Eine absurde Pointe
Wir stehen also vor der großen Frage: Folgt die Politik dem Gesetz, oder folgt das Gesetz der Politik? Die Antwort scheint klar, und doch bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Denn was wir hier erleben, ist kein geregelter Tanz, sondern ein chaotischer Kampf um die Vorherrschaft, bei dem die Grenzen zwischen Gesetz und Politik längst verwischt sind. Die Politik macht die Gesetze, bricht sie, ändert sie, beugt sie – ganz wie es ihr beliebt. Das Gesetz, das den Schein der Ordnung wahren soll, ist dabei der formale Vorwand, mit dem die Politik ihre Machenschaften rechtfertigt.
Und was bleibt uns? Ein bitteres Lächeln über die Ironie des Ganzen. Denn der Tanz geht weiter, und wir, die Zuschauer, dürfen uns weiter darüber freuen, dass sich die Politik an „ihre“ Gesetze hält – so lange, bis sie es eben nicht mehr tut. Dann wird das Gesetz einfach neu geschrieben. Und die Show beginnt von vorne.
Quellen und weiterführende Links:
- Max Weber: Politik als Beruf. Über die Macht der Politiker und das Recht, das sie lenken.
- Carl Schmitt: Politische Theologie. Eine Analyse der Herrschaft und des Ausnahmezustands.
- Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Das Recht als Instrument der Kontrolle und Macht.
- Weiterführende Links: